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Vor uns die Sintflut: Hilfe in der Ukraine

In Kriegszeiten ist ein verlässlicher Partner überlebenswichtig. Nach der verheerenden Explosion des Kachowka-Staudamms musste das Rehabilitationszentrum St. Paul in Odessa, ein Partner von Brot für die Welt, für schnelle Hilfe in überfluteten Gebieten umdisponieren. Im Interview reflektiert ihr Leiter Vitaliy Mykhaylyk riskante Einsätze unter Lebensgefahr und unverhoffte Hilfe durch Freiwillige.

Von Miriam Meyer am
Von der Flutkatastrophe betroffene Menschen erhalten Brot von der Hilfsorganisation St. Paul aus Odessa

Nach der Explosion des Kachowka-Staudamms half das Hilfsteam vom Rehabilitationszentrum St. Paul in Odessa Betroffenen in der Region um Cherson Lebensmittel-Transporten.

Bereits seit 467 Tagen führt Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Dann explodiert in der Nacht zum 6. Juni 2023 der Kachowka-Staudamm in der Südukraine. Mit weitreichenden Folgen: Gewaltige Wassermassen stürzen in den Fluss Dnipro, der durch die Ukraine zum Schwarzen Meer führt. Sie überfluten 80 Ortschaften flussabwärts in den ukrainischen Verwaltungsbezirken Dnipropetrowsk, Saporischschja und Cherson.

Zum Zeitpunkt des Terroraktes – wie die Ukraine die Sprengung später verurteilen wird – leben hier nach Angaben der örtlichen Behörden etwa 16.000 Menschen auf beiden Seiten des Flusses. Links im ukrainisch kontrollierten Gebiet, rechts in der von Russland okkupierten Zone.

„In den nächsten Stunden und Tagen musste alles sehr schnell gehen“, erzählt Vitaliy Mykhaylyk, Leiter der NGO Rehabilitationszentrum St. Paul in Odessa, der mit seinem Teambereits kurz nach der Katastrophe vor Ort in Cherson war. Ihre Arbeit umfasst vor allem psychologische Beratungen und Hilfe zu Traumata-Bewältigung bei Binnen-Flüchtlingen, HIV-positiven Menschen und ehemaligen Soldaten und deren Angehörigen. Seit 2022 helfen er und sein Team jedoch vor allem mit  Transporten, Essens- und Wasserlieferungen in die weiterhin stark umkämpften Gebiete, um die dringendsten Bedürfnisse der Menschen zu decken.

Flexible Hilfsleistungen helfen in Kriegszeiten

„Gott sei Dank war Brot für die Welt so flexibel, dass sie einen Teil ihrer Unterstützung und Gelder sofort auf humanitäre Hilfe umstellen konnten!“ So hätten sie beim Rehabilitationszentrum St. Paul zum Beispiel ihr Budget von 100 Euro pro Monat auf 10.000 Euro kurzfristig erhöhen können, um die wichtigsten Anschaffungen wie Boote zu besorgen. Über ein Netzwerk an freiwilligen Helfern, die zum Zeitpunkt der Katastrophe vor Ort im Flutgebiet waren, erhielten sie die aktuellsten Informationen. „So konnten wir direkt wissen, was genau die Betroffenen im Flutgebiet am dringendsten brauchen: Besonders Trinkwasser und Ready-to-eat-Produkte wie Brot, Konserven und Proteinriegel – denn heißes Wasser und Strom zum Kochen fielen durch die Überflutung direkt aus.“

Einsatz unter Extrembedingungen

Um die Hilfsgüter in die Gebiete zu bringen, wären Vitaliy und sein Team normalerweise mit Autos in das Gebiet gefahren. Doch dieses Mal mussten sie per Boot in das Gebiet: „Zu Beginn der Krise hatten wir nur eine begrenzte Anzahl an Booten und wenig Platz. Nach Cherson fahren wir in Komplett-Ausrüstung hin – in kugelsicheren Schutzwesten und mit einem First-Aid Kit im Gepäck.“ Genauso riskant wie ihr Weg zu den überfluteten Orten ist auch weiterhin die Sicherheitslage in der Region: „Wir dachten, wir könnten direkt dorthin, um mindestens Hilfsgüter dorthin zu bringen. Doch das ging gar nicht, es war lebensgefährlich – die Russen schießen auf alle Boote. Auch auf die Boote von Hilfsorganisationen.“

Sie mussten umdisponieren. Die Hilfsgüter – Essen, Hygieneprodukte, Wasser, Pumpen und Schlauchboote – gaben sie an Sammelpunkten der ukrainischen Armee ab. Von dort brachten qualifizierte Seeleute das Material in die Dörfer. Doch in der äußerst gefährlichen Lage bekam Vitaliys Team unerwartet große Unterstützung von vor allem freiwilligen Helfern. „Sie konnten besser einschätzen, wann und wo es für unsere Transporte zu gefährlich werden könnte. Das hilft ungemein, weil wir aus Odessa die Situation nur schwierig einschätzen können – und uns damit in Lebensgefahr gebracht hätten“, erklärt er. 

Kriegsbedingungen erschweren Kontrollmechanismen

Mit der Übergabe der Hilfsgüter ans Militär geben die Hilfsorganisationen allerdings auch ihre Kontrolle ab. „Natürlich versuchen wir die Nachverfolgung der Güter mit Fotos aufrecht zu erhalten.“ Aber die Realität sehe oft anders aus, wie Vitaliy beschreibt: „Besonders Übergaben auf dem Wasser sind schwierig. Noch während wir Hilfspakete übergeben haben, wurde bereits schon öfter auf uns geschossen. Also vertrauen wir unseren lokalen Partnern.“

Ohne ihre Mithilfe wären Transporte nach und aus Gebieten wie Cherson organisatorisch nicht möglich. Obwohl es hell ist, sei ab 20 Uhr bis 6 Uhr am nächsten Tag niemand mehr draußen unterwegs. „Spätestens dann wird wieder geschossen – von Ukrainern auf Russen, von Russen auf Ukrainer. Diese Zeiten sind fast schon so ‚normal‘ geworden wie sonst zur Arbeit zu gehen.“

Tiefpunkt für psychische Verfassung der Betroffenen

Zurück in Odessa verteilen Vitaliy und sein Team gezieltHilfspakete an die Leute, die sich mit ihren Dokumenten als Inlands-Flüchtlinge ausweisen können. Viele, die bei ihnen kurzzeitig Zuflucht suchten, hätten gemischte Gefühle, erklärt er: „Jeder nimmt eine solche Katastrophe anders auf. Aber eine Frau, die erst vor Kurzem zu uns kam, formulierte es sehr direkt: ‚Wir wurden lange von den Russen unterdrückt – und haben es überlebt. Sie haben auf uns geschossen – und wir haben überlebt. Und jetzt wollten sie uns ertränken, aber wir haben wieder überlebt.‘“ 

Andere Menschen dagegen würden wiederum optimistisch bleiben. „Einige sind nach der Überflutung oft nur in Nachbardörfer ausgewichen, um direkt wieder in ihre Häuser zurückzukehren. Aber viele konnten ihre Häuser gar nicht mehr wiederfinden, ihr Zuhause wurde mit der Flut weggespült. Ich selber habe auch in Odessa gesehen, wie riesige Stücke Land ins Meer stürzen. Aber auch tote Katzen, Hunde oder Rehe.“

Inzwischen hätten viele Ukrainerinnen mit dem Wiederaufbau begonnen – auch wenn der Krieg weitertobt. „Hier ist ihr Zuhause, wo sie trotz allem wieder leben wollen.“ Dabei hoffen die meisten besonders auf eine zukünftige Unterstützung durch die ukrainische Regierung.

Verlässlichkeit gegen Chaos im Krieg

Die noch kommenden Kriegs-Monate sieht Vitaliy pragmatisch: „In Kriegszeiten herrscht viel Chaos. In einer solchen Phase sind verlässliche Zusagen das Wichtigste.“ Mit den Spendengeldern von Brot für die Welt kann St. Paul so seinen Mitarbeitenden weiterhin ihren Lohn zahlen – und sie damit im Vergleich zur Arbeit mit freiwilligen Helfenden auch vertraglich binden. Es war eine der wenigen Sicherheiten, die sie nach den ersten schlimmen Kriegswochen gehabt hätten, wie er reflektiert: „Die heftigen Explosionen, die vielen schlechten Nachrichten und russische Truppen schon kurz vor Mykolajiw. Zu dem Zeitpunkt bin ich selber weg aus Odessa, weil ich nicht wusste, was sonst mit meiner Familie passiert. Wir sind nachts nach Lwiw gefahren, einfach Richtung Westen. Ich wusste nicht, wohin genau oder wo wir übernachten, das haben wir alles auf dem Weg entschieden. Aber nach dem ersten Schock sind wir wieder zurück – und bleiben.“

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