Angesichts der Corona-Krise warnen die Vereinten Nationen vor „Hungersnöten biblischen Ausmaßes“. Wie beurteilen Sie die Lage?
In der Tat muss man davon aus gehen, dass die Zahl der hungernden Menschen in diesem Jahr noch einmal dramatisch steigen wird. Die Welternährungsorganisation FAO spricht sogar von bis zu 130 Millionen Hungernden. Grund dafür ist die wirtschaftliche Rezession in vielen Ländern der Welt sowie die lang andauernden Ausgangssperren. Sie haben dafür gesorgt, dass viele Familien kein Einkommen erzielen konnten. Zudem fiel allein für 600 Millionen Kinder lange Zeit die einzige tägliche Mahlzeit aus, weil die Schulen geschlossen waren.
Schon vor Corona litten weltweit fast 700 Millionen Menschen Hunger. Was sind die Ursachen dafür?
Neben lokalen Katastrophen wie Dürren oder der Heuschreckenplage in Ostafrika sind Kriege und Konflikte, die Folgen des Klimawandels und eine schlechte wirtschaftliche Entwicklung in vielen Ländern für den Hunger verantwortlich. Zudem ist das Land oft sehr ungleich verteilt. Wenige Großgrundbesitzer haben riesige Plantagen, während viele Kleinbauernfamilien zu wenig Land besitzen, um ihre Familien zu ernähren. Manche haben auch zu wenig Dünger für ihre Pflanzen oder die Märkte sind weit entfernt, so dass sie ihre Produkte schlecht verkaufen können. Hinzu kommen Billigimporte aus den Industrieländern, auch der EU, die dazu führen, dass einheimische Produkte nicht mehr gekauft werden.
Wie steht Brot für die Welt den Betroffenen bei?
Da muss man unterscheiden: In der aktuellen Krise unterstützen wir die Nothilfe unserer Partnerorganisationen in der ganzen Welt. Sie verteilen Pakete mit unverderblichen Lebensmitteln ‒ Getreide, Hülsenfrüchte, Öl, Salz und Zucker. Ansonsten ist unsere Hilfe eher langfristig ausgerichtet.
Was heißt das konkret?
Ich gebe Ihnen drei Beispiele aus unseren Projekten: In Bangladesch haben wir unsere Partnerorganisation unterstützt, zusammen mit den Bauern lokale Reissorten zu entwickeln, die trotz häufiger Überflutungen mit salzigem Meerwasser gute Erträge aufweisen. In Kenia können die Bauern ihre Gärten besser bewässern, weil sie über Dachrinnen Wasser in Zisternen sammeln. Und in Ruanda lernen die Kleinbauernfamilien in unseren Workshops, Gemüsepflanzen anzubauen, damit sie Nahrungsmittel haben, die nährstoff- und vitaminreich sind und somit gegen Mangelernährung helfen.
Was ist aus Ihrer Sicht der größte Erfolg von Brot für die Welt?
Wir entwickeln gemeinsam mit den Bauern Lösungen, die die soziale Lage der Familien verbessern und nachhaltig wirken. Ebenso unterstützen wir sie dabei, selbstorganisiert ihre Regierungen zu überzeugen, eine bessere Agrarpolitik zu machen, die auch den Armen und Benachteiligten dient. Ich glaube, der größte Erfolg ist, dass wir die Betroffenen unterstützt haben, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen und würdevoll durchs Leben zu gehen. So konnten wir schon Millionen von Menschen helfen.