Wie viele Kinder und Jugendliche arbeiten in Paraguay?
Nach Angaben der nationalen Behörde für Statistik von 2013 arbeiten etwa 436.000 Kinder und Jugendliche zwischen sechs und 17 Jahren. Das sind 23,5 Prozent. Kinder, die sichtbar in der Öffentlichkeit arbeiten, also auf den Märkten, Straßen oder in Bahnhöfen, bilden dabei die große Ausnahme. Das sind nur etwa drei Prozent. Wesentlich höher ist die Zahl der Kinder und Jugendlichen, die gefährlichen Arbeiten auf dem Bau, in der Landwirtschaft oder in privaten Haushalten nachgehen. Das betrifft 95 Prozent aller arbeitenden Kinder. Aktuellere Zahlen liegen leider nicht vor.
Welche Ursachen hat die Kinderarbeit in Paraguay?
Hauptgrund ist die strukturelle Armut. Die stammt noch aus Zeiten der Diktatur und ist tief in diesem Land verwurzelt. Paraguay ist ein Agrarstaat. Seit den 1990er Jahren verdrängt der Sojaanbau zunehmend Kleinbauernfamilien und indigene Gemeinden von ihrem Grund und Boden. Zusätzlich macht ihnen der Klimawandel zu schaffen. Die Familien flüchten also in die Städte und arbeiten hier im informellen Sektor. Als fliegende Händlerinnen, Müllsammler oder Bauarbeiter können sie ihre Familien aber nicht ernähren. Die Kinder müssen helfen. Manche tun das in den Gemeindegärten oder im Haushalt. Andere begleiten ihre Eltern bei der Arbeit oder schuften eigenständig als Schuhputzer, Verkäuferin oder private Haushaltshilfe
Ist Kinderarbeit in Paraguay nicht verboten?
Laut Gesetz dürfen Jugendliche in Paraguay erst ab 14 Jahren arbeiten. Das geht aber völlig an der Lebensrealität großer Bevölkerungsgruppen vorbei. Früher gab es öfter Razzien, bei denen arbeitende Kinder festgenommen wurden. Das hat aber überhaupt nichts verändert. Um es klar und deutlich zu sagen: Die Arbeit eines Kindes hilft oftmals, das Überleben seiner Familie zu sichern. Wenn dieses Kind es schafft, sein Mittagessen, sein Schulheft oder seine Schuluniform zu finanzieren, hat es die Chance, den Schulabschluss zu schaffen und eine Ausbildung zu beginnen. Deshalb kämpft Callescuela vor allem für das Recht des Kindes auf Schutz vor wirtschaftlicher Ausbeutung, das auch in der UN-Kinderrechtskonvention steht.
Wofür geben die arbeitenden Kinder ihr Geld aus?
Wer Obst oder Gemüse verkauft oder Schuhe putzt, verdient 20.000 bis 60.000 Guarani pro Tag. Das sind etwa drei bis neun Euro. Meistens geben die Kinder das Geld für ihr Mittagessen am Arbeitsplatz aus, für Busfahrkarten oder Schulmaterialien. Den Rest geben sie zu Hause ab. Das ist zwar nicht viel, aber es hilft, die Strom- oder Wasserrechnung zu bezahlen.
Wie unterstützt Callescuela die arbeitenden Kinder und Jugendlichen in Asunción?
Die Hilfe passiert auf drei Ebenen: Zunächst einmal führen wir Sozialprojekte auf dem Großmarkt, dem Busbahnhof und in ausgewählten Gemeinden durch. Hier bieten wir Unterstützung in einem geschützten Raum an, wie ein Glas Milch, Mittagessen, Hausaufgabenhilfe oder Freizeitangebote. In den Armensiedlungen geht es überwiegend um die Prävention von ausbeuterischer Kinderarbeit, damit die Kinder gar nicht erst auf der Straße landen. Wichtig ist auch der Schutz vor Risiken wie Drogenkonsum, sexueller Ausbeutung, Kriminalität oder Teenagerschwangerschaften. Gleichzeitig setzen wir uns für die Umsetzung eines nationalen Kinderschutzkonzeptes ein. Zu diesem Zweck betreiben wir Forschung, Öffentlichkeitsarbeit und Lobbyarbeit. So fordern wir vom Staat, seinen Pflichten nachzukommen und wirksame Kinderschutzmaßnahmen zu ergreifen. Drittens unterstützen wir die eigenständigen Organisationen der Kinder und Jugendlichen, zum Beispiel mit Workshops oder Freizeitangeboten wie einem Sommerzeltlager. Besonders interessant ist in diesem Zusammenhang die Neuorganisation der Kinder in den städtischen Siedlungen der Indigenen, die gerade durch das Projekt von Brot für die Welt entsteht. Das ist für uns eine neue Etappe, auf die wir sehr gespannt sind.
Was genau passiert in diesem Projekt?
Als Kinderschutzorganisation wollen wir die Kinderrechte in den städtischen Siedlungen der Indigenen stärken. Diese Bevölkerungsgruppe ist extrem vernachlässigt. Zunächst haben wir eine Bestandsanalyse durchgeführt. Jetzt treffen wir uns regelmäßig mit den Vertreterinnen und Vertretern dieser Gemeinden, um das Thema Kinderschutz voranzutreiben. Dazu gehört in diesem Falle vor allem das Recht auf Wohnen, also Landtitel für ihre Siedlungen, und Bildung. Daneben wollen die Indigenen, dass sich ihre arbeitenden Kinder organisieren und ihre Rechte beim Staat einfordern.
Was sind die größten Herausforderungen bei ihrer Arbeit?
Am schwierigsten ist es, die Einstellung der Erwachsenen in den verantwortlichen Institutionen zu verändern. Die meisten sehen Kinderschutz als Mildtätigkeit für Arme. Sie denken, es reiche, den Kindern Essen zu geben. Oder sie ergreifen repressive Maßnahmen, indem sie arbeitende Kinder ins Heim stecken. Uns geht es darum, dass alle Maßnahmen die Autonomie der Kinder respektieren. Kinder sind Akteure ihrer eigenen Entwicklung. Dieser Gedanke hat sich in Paraguay noch lange nicht durchgesetzt. Kinder sind unsere Zukunft, egal ob sie arbeiten, auf dem Land leben oder Indigene sind. Sie sind die Wegbereiter einer emanzipatorischen Kultur, die den demokratischen Wandel vorantreibt und mehr soziale Gerechtigkeit bringt. Deshalb legen wir viel Kraft und Anstrengung in die Partizipation der Kinder.
Was ist der wichtigste Erfolg von Callescuela?
Wir haben eine ganze Reihe von wichtigen Erfolgen erzielt. Zum Beispiel hat der Staat einige menschenrechtsbasierte Programme übernommen, die wir Schutz und Chancen Im Kinderzentrum von Callescuela kümmert sich Erzieherin Pura Limpia Zayas (32) liebevoll um Kinder aus dem Armenviertel. Projektinformation Paraguay – Kinder kämpfen für ihre Rechte entwickelt haben. Dazu gehört Abrazo, ein Präventionsprogramm gegen Kinderarbeit auf der Straße. Oder die niedrigschwellige Anlaufstelle für drogenabhängige Straßenkinder am Großmarkt. Auch die Verabschiedung des staatlichen Kinderschutzgesetzes hat Callescuela maßgeblich vorangetrieben. Und wir haben die Koordinationsstelle für Kinderrechte mitinitiiert, eine Koalition aus mehr als 30 Organisationen, die sich für Kinderrechte einsetzen. Der größte Erfolg ist für mich aber die eigenverantwortliche Organisation der Kinder und Jugendlichen. Sie organisieren sich, um würdevoll arbeiten zu können. Sie widerstehen dem Drogenkonsum, der Kriminalität, der Prostitution. Und sie vertreten ihre Interessen gegenüber den Behörden und den Erwachsenen in der Zivilgesellschaft. Dadurch werden sie als eigenständige soziale Akteure wahrgenommen und anerkannt. Darauf bin ich stolz.
Was bedeutet für Sie die Zusammenarbeit von Brot für die Welt?
Brot für die Welt gilt durch seine Arbeit mit den indigenen Gemeinden in Paraguay als großer Verteidiger der Menschenrechte. Wir hätten aber niemals eine Zusammenarbeit für möglich gehalten, weil wir bisher keine direkten Projekte mit indigenen Gemeinden hatten. Über den Kinderschutz haben wir jetzt diese Lücke geschlossen und viel von Brot für die Welt gelernt. Wir haben eine Studie über die aktuelle Lebenssituation von indigenen Kindern und Jugendlichen erstellt, die diese jetzt selbst als Argumentationshilfe gegenüber den Behörden verwenden. Das ist großartig. Auch der ganzheitliche Blick von Brot für die Welt auf Kinderrechte und die Angebote zur eigenen Organisationsentwicklung gefallen uns sehr. Wir bekommen viele Anregungen, die uns weiterbringen, das motiviert uns sehr.