189 Millionen Menschen in Indien sind unterernährt, das entspricht 14 Prozent der Bevölkerung. Der Staat hat dafür in den letzten Jahren zahlreiche Programme aufgelegt. Doch das reiche nicht, besonders angesichts der aktuell zunehmenden Hungersituation, schätzen Expert*innen von der Brot-für-die-Welt-Partnerorganisation CASA. Der indische Staat hat deswegen im Mai entschieden, vorerst keinen Weizen zu exportieren.
„Gerade für Familien, die sich mit geringen Einkommen als Tagelöhner und Anbau auf kleinen, oft gepachteten Flächen durschlagen müssen, wird das Überleben immer schwerer“ sagt CASA-Programmdirektor Jayant Kumar. So wie für Aradhna Devi. Sie lebt im nordindischen Bundesstaat Uttar Pradesh und ernährt ihre zehnköpfige Familie gemeinsam mit ihrem Mann als Tagelöhner. „Im Moment finden wir kaum an ein oder zwei Tagen in der Woche eine bezahlte Arbeit“, so Devi. Grund dafür sei die Corona-Pandemie, durch die auch die Löhne noch einmal gesunken sind. Gestiegen sind hingegen die Preise für Nahrungsmittel: in einigen Weltregionen seit Mitte 2020 bis zu 75 Prozent laut Welternährungsorganisation FAO.
Wenn Landwirtschaft zu teuer wird
Das wenige, was das Ehepaar Devi verdient, reicht nicht, um ihre Familie zu ernähren oder das Schulgeld für die Kinder zu zahlen. Auch mit der Landwirtschaft zur Selbstversorgung und dem Verkauf des Überschusses ist es schwierig: Auf ihrem halben Hektar großen Stück Land baut die Familie im Winter Weizen an, ein Hauptnahrungsmittel in Nordindien. Allerdings hat die letzten zwei Jahre die Menge und Qualität des angebauten Weizens aufgrund der Klimaveränderungen bereits abgenommen.
Das berichtet auch VanshLal. Seine dreizehnköpfige Familie lebt davon, auf 2,5 Hektar Land Weizen und Reis anzubauen. „Wir haben immer schon gekämpft, um ausreichend zu essen zu haben, aber der Preisanstieg jetzt parallel zur Klimakrise ist eine ernsthafte Bedrohung für unsere Familie“, sagt VanshLal. Die extreme Hitze trockne die Böden aus, gleichzeitig werde Wasser knapper und reiche nicht für die Bewässerung der Felder.
Dreifache Krise: Krieg, Klimakrise und Corona-Pandemie
Die Ernährungssituation sei aktuell „alarmierend“, sagt Jayant Kumar. In diesem Jahr haben die extreme Hitze im April/Mai mit Extremwetter bis zu 50 Grad Celsius und starken Überschwemmungen, die die Ernten nochmal deutlich geringer ausfallen lassen. Die Weizenernte habe nur 95 Millionen Tonnen Weizen statt wie sonst 111,3 Millionen Tonnen erbracht. Besonders trifft das die Ärmsten: Ihnen fehlt es an ihrem Grundnahrungsmittel und mehr denn je an Kaufkraft.
Der Staat greift ein
VanshLals Familie sowie Familie Devi sind darauf angewiesen, staatlich subventionierten Weizen und Reis zu erhalten. Diese kauft der indische Staat bei lokalen Bauern und verteilt sie über das sogenannte PDS-System an alle, die dafür eine Berechtigung haben. 70 Prozent der Haushalte im bevölkerungsreichen Indien zählen mittlerweile dazu. Sie erhalten bis zu 35 Kilo Weizen oder Reis im Monat. „Solche Maßnahmen zur Ernährungssicherung sind essentiell in einem Land wie Indien, wo zwei Drittel der Bevölkerung in Armut leben”, so Jayant Kumar von CASA. Weil die Preise so hoch sind, ernähren sich viele Menschen in Indien immer einseitiger. Deswegen sei es so wichtig, dass der Staat nicht nur Weizen und Reis verbilligt anbiete, sondern auch andere Nahrungsmittel.
„Um den Hunger in Indien zu bekämpfen braucht es einen mehrgleisigen Ansatz: Diversifizierung der Landwirtschaft, die Förderung klimaresistenter Sorten, eine auf die jeweilige Klimazone abgestimmte Planung sowie die Konzentration auf Bezirke mit geringer Produktion und großem Potenzial“, sagt Kumar. Außerdem müsse die Regierung mehr Mittel in Programme zur Bekämpfung von Mangel- und Unterernährung stecken. Jetzt kündigte der indische Agrarminister an, den Exportstopp von Weizen etwas zu lockern. Der Weltmarktpreis für Weizen scheint damit zu fallen. Wenn jedoch mit dem Export die Weizenpreise in Indien anziehen, droht das den Hunger in Indien zu verschärfen.