Barmherziger Gott,
auch wenn unter uns immer wieder Stimmen laut werden,
die Geschichte nach so vielen Jahren ruhen zu lassen,
so ist doch der Name eines jeden Opfers,
das durch Verbrechen des deutschen Volkes
an unseren jüdischen Geschwistern ausgelöscht wurde,
für immer in dein Gedächtnis geschrieben.
Mach uns wach und hellhörig für alle tagtäglichen Versuche,
Rassismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit unter uns salonfähig zu machen;
gib (gerade angesichts der unsäglichen Judenfeindlichkeit des gefeierten Reformators Martin Luther)
deiner Kirche Mut, sich nie wieder einschüchtern zu lassen von den Meinungen des Volkes oder
der gegenwärtigen Stimmung im Lande,
sondern gewissenhaft der Stimme Jesu zu folgen,
die uns zu denen ruft, die keine Stimme haben,
damit wir deine Barmherzigkeit denen verkünden,
die auf sie hoffen; in den verschlossenen Wohnungen der Einsamkeit,
in den Flüchtlingsunterkünften und den Aufnahmestätten für Obdachlosen,
den Krankenhäusern und den Gefängnissen.
Im Gedenken an den Fall der Mauer lass dein Werk ans Licht treten,
weil Friede und Gerechtigkeit ein Volk stark machen.
In diesen Zeiten, wo die Erinnerung sich verändert,
weil unsere Kinder oft schon keine Vorstellung mehr haben
über das Leben in den beiden deutschen Staaten,
halte das Zeugnis der Mütter und Väter des Glaubens in uns wach,
die uns dein Reich als ein Reich des Friedens
und der Erneuerung unseres Lebens vor Augen stellen,
damit auch die Rechtlosen und die ohne Hoffnung unter uns
neuen Mut finden und wir den Mut zur Wahrheit täglich neu aufbringen.