Diese Woche (16. - 20. Dezember 2024) findet in Genf vor dem Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen die 10. Verhandlungsrunde für ein UN-Abkommen zu Wirtschaft und Menschenrechten (Binding Treaty) statt. Auslöser für den Prozess zur Erarbeitung des Abkommens waren Fälle, wie der des US-amerikanischen Konzerns Chevron, der eine Ölverschmutzung im ecuadorianischen Amazonasgebiet verursachte und das Land verließ, um sich seiner Verantwortung zu entziehen. Sie zeigen: Um schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen durch multinationale Unternehmen zu verhindern, reicht es nicht, wenn einzelne Staaten Lieferkettengesetze haben. Vielmehr braucht es Regeln auf internationaler Ebene. Ziel des Prozesses ist ein völkerrechtlich verbindliches Abkommen, das Staaten weltweit verpflichtet, ihre Unternehmen zu grundlegenden Menschenrechtsstandards anzuhalten. Zum Beispiel sollen Unternehmen die Zustimmung von indigenen Gemeinschaften einholen müssen, auf deren Land sie Projekte umsetzen wollen. Zudem ist vorgesehen, dass Betroffene im Fall von Menschenrechtsverletzungen endlich Zugang zu Recht bekommen und etwa eine Entschädigung einklagen können. Denn bislang scheitert dies in aller Regel an rechtlichen und praktischen Hürden.
Das besondere an dem Prozess ist die breite und kontinuierliche Unterstützung durch die Zivilgesellschaft. Jedes Jahr reisen rund 200 Mitglieder betroffener Gemeinschaften, zivilgesellschaftlicher Organisationen, Gewerkschaften und sozialer Bewegungen nach Genf, um die Verhandlungen vor Ort zu verfolgen. Auch Brot für die Welt und viele Partnerorganisationen haben den Prozess von Beginn an begleitet.
Von den Staaten, insbesondere Industriestaaten, gab es dagegen lange nur sehr wenig Aufmerksamkeit. Die Verhandlungen waren von unauflösbar scheinenden Konflikten geprägt und liefen sehr schleppend. Zwischen den Verhandlungsrunden passierte nahezu garnichts.
“Renewed hope and commitment”
Im letzten Jahr hat sich dies grundlegend gewandelt. Die ecuadorianische Verhandlungsleitung brachte eine sogenannte procedural decision auf den Weg, durch die zusätzliche Ressourcen und Kapazitäten für die Durchführung der Verhandlungen geschaffen wurden. Zudem gibt es nun weitere “intersessional” Konsultationen zu bestimmten Aspekten des Abkommens. Und eine Gruppe von fünf internationalen Rechtsexpert*innen wurde eingesetzt, um den Prozess zu unterstützen.
Die 10. Verhandlungsrunde stand dadurch unter einem viel besseren Vorzeichen als vergangene Runden. Eröffnet wurde sie vom Hochkommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte, Volker Türk, der zum ersten Mal auch persönlich vor Ort war. Er rief seine Zuhöhrer*innen dazu auf, sich vorzustellen, wie viele menschenrechtliche Katastrophen hätten verhindert und in wie vielen Fällen Betroffenen hätte Recht zugesprochen werden können, wenn der Treaty vor 10 Jahren verabschiedet worden wäre. Er hob das starke Gefühl von “renewed hope and commitment” der Verhandlungsrunde hervor. Mit diesem Spirit starteten die Verhandlungen.
Zahlreiche Menschenrechts- und Umweltaktivist*innen berichteten von den schweren Folgen, die Unternehmen in ihren Ländern verursacht haben: Die Zerstörung von fünf Gemeinden und gewaltsame Vertreibung von tausenden Familien durch einen Landrutsch im Zusammenhang mit Bergbauaktivitäten in Brasilien; die Vergiftung von Land, Wasser und Anwohner*innen durch eine Asbest-Mine in Swasiland oder der Ökozid eines Flusses in Guatemala, um nur ein paar der Beispiele zu nennen. Sie verdeutlichten damit auf dramatische Weise, warum internationale Regeln zur Verhinderung solcher Fälle dringend nötig sind.
Die Verhandlungen der Staatenvertreter*innen untereinander ließen in diesem Jahr zum ersten Mal deutlich erkennen, dass man sich Fortschritte in dem Prozess wünscht. Verhandelt wurde über den sogennanten “third revised draft”. Dieser Entwurf wurde Absatz für Absatz durchgegangen. Die Staatenvertreter*innen brachten hierzu überwiegend konstruktive konkrete textliche Vorschläge ein und bezogen sich dabei aufeinander sowie auf die von zivilgesellschaftlichen Organisationen abgegebenen Statements. Unterstützt wurde das Ganze durch die anwesenden Rechtsexpert*innen, die von den Staatenvertreter*innen zu bestimmten rechtlichen Konzepten befragt wurden und dazu unter Bezugnahme auf internationale Standards Auskunft gaben. Es gibt zwar noch Konfliktpunkte, etwa zu der Frage, ob sich der Anwendungsbereich nur auf transnationale Unternehmen beziehen soll (wie von vielen Staaten des Globalen Südens befürwortet) oder möglichst alle Unternehmen erfassen soll (wie überwiegend von Staaten des Globalen Nordens gefordert). Die Konfliktlinien erscheinen aber nicht mehr so verhärtet wie noch vor einem Jahr.
Und die EU?
Ein Wehrmutstropfen war, dass die EU es erneut nicht geschafft hatte, rechtzeitig ein Verhandlungsmandat zu verabschieden. Ein solches Mandat ist Voraussetzung dafür, dass sich sowohl die EU als auch die Mitgliedstaaten mit konkreten Vorschlägen an den Verhandlungen beteiligen, den Prozess voranbringen und die Gestaltung des Abkommens beeinflussen können. Bislang wurde das fehlende Mandat darauf geschoben, dass man zunächst die Verabschiedung der EU-Lieferkettenrichtlinie abwarten wolle. Da die Richtlinie in diesem Sommer in Kraft getreten ist, gibt es nun eigentlich keinen Grund noch länger zu zaudern. Dass die EU und Mitgliedstaaten, wie Deutschland, es trotzdem tun, ist umso ärgerlicher als die Verhandlungen dieses Jahr richtig an Fahrt aufgenommen haben. Die EU brachte sich darin zwar mit Statements ein und sprach sich zum Beispiel gegen die von Saudi-Arabien verlangte Streichung des gendersensiblen Zugangs zu Recht aus. Während aber die Forderung von Saudi-Arabien im Text vermerkt wurde, wurde die Gegenrede der EU nicht festgehalten, da sie offiziell nicht zum Text verhandelt. Das zeigt, dass die EU endlich ein Verhandlungsmandat braucht, damit sie das Abkommen mitgestalten und verhindern kann, dass die Verhandlungen an mancher Stelle falsch abbiegen. Von der Bundesregierung fordern wir, dass sie sich dafür mit Nachdruck einsetzt.