Dieser Blog – darauf weist vielleicht auch schon die etwas spärliche Regelmäßigkeit hin – ist kein Erlebnisbericht dessen, was sich hier zuträgt.
Es fällt mir schwer, die letzten Monate zusammenzufassen, nicht, weil viel Zeit verstrichen ist.
Es sind nur sehr unterschiedliche Dinge passiert, mir zugestoßen, die ich noch nicht in eine Linie reihen will, später erst.
Deshalb heute ein paar Aufnahmen von Momenten, die für mich alle aus der Reihe tanzen... Ich lege sie einfach alle zusammen auf einen Tisch, wie die Malereien oben auf dem Bild, die aus dem Leben eines jeden Kindes erzählen und außer dem äußeren Rahmen manchmal vielleicht gar nicht viel gemeinsam haben.
Im Dezember gastierte ein Straßenzirkus in Itatí, der für vier Wochen an vier Tagen die Woche Workshops für Kinder gegeben hat. Der circo en movimiento (Zirkus in Bewegung) ist von Studenten der Universität La Plata und einem Historikprofessor geleitet und zieht durch die verschiedenen armen Viertel, die sich im Großraum Buenos Aires befinden.
Die Kinder wurden grob nach Altersgruppen, jedoch nicht nach Mädchen und Jungen getrennt, um angemessene athletische Herausforderungen stellen zu können, wobei Konzentration gelernt werden sollte, Gruppengefühl, Toleranz, und ich könnte noch ein paar solcher Begriffe einwerfen. War ein tolles Projekt, ich habe da ein bisschen mitgeholfen und vor allem zu Beginn Kinder von der Straße dorthin begleitet, mit ihren Müttern, damit sie in das Projekt eingeschrieben würden; die Annäherung an die fremden Leute vom Zirkus brauchte seine Zeit, vor allem von Seiten vieler Mütter und Väter, die sich erst allmählich dazu animieren ließen, ihren Kinder das Mitmachen zu ermöglichen.
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Es sind Sommerferien, die großen Ferien, und das Apoyo Escolar (Schulunterstützung) ist geschlossen. Zweimal die Woche sammeln wir jedoch die Kinder aus dem Viertel ein und verbringen den Nachmittag in einem Schwimmbad, das uns von der Kirche kostenfrei zur Verfügung gestellt wird. Im Chaos aus Wasser und Kindern versuchen wir, den Kindern Schwimmen beizubringen.
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Manchen Abend der Woche verbringe ich im centro de chicas. Das ist eine kleine Wohnung neben der Kapelle von Itatí, die Aldana (Name geändert) drei Tage in der Woche aufschließt. Von 17 bis 22 Uhr macht sie daraus einen Ort für Mädchen, sehr junge Mütter. Zurzeit kommen meist sechs Mädchen, zwei von ihnen sind zum ersten Mal schwanger, andere haben Kinder im Säuglingsalter bis etwa fünf Jahre. Es wird zusammen gekocht, Fernsehen geschaut, an manchen Tagen mit der Hilfe anderer Frauen Handwerkliches gebastelt, so gestern Bilderrahmen für Fotoaufnahmen, die wir vom letzten gemeinsamen Ausflug im Januar für die Mädchen entwickelt haben.
Ich habe mich lange nicht getraut, zu diesem Ort zu gehen. Die Bilder sind sehr drastisch, die Geschichten der Mädchen sehr berührend, so berührend, dass ich sie hier nur ungern wiedergebe. Ich erzähle aber gern einmal persönlich davon.
Ich habe mich sehr geöffnet dort und mich sehr berühren lassen.
Ich wollte nicht bloß Mitleid fühlen, ich wollte mitfühlen. An diesen Punkt bin ich nach zweimonatigem Dortsein nun gekommen und das ist verändernd.
Mütter, die ihre Kinder nicht lieben, weil sie selbst nicht geliebt wurden. Viele wurden schon früh verlassen, lebten auf der Straße, liefen aus dem Kinderheim weg. Sie verließen früh die Schule und waren auf der Straße, auch wenn sie vielleicht Häuser haben. Einige leben jetzt mit ihren 15-jährigen Ehemännern, die oft mit Drogen handeln, und sie verstricken sich dort auch hinein;
Immer noch schaue ich sehr viel zu, aber allmählich beginne ich zu begreifen, wie dieser Ort funktioniert. Alles wichtige passiert dabei nebenbei.
In den kleinen Dingen und Sätzen wird versucht, den Mädchen etwas mitzugeben. Denn leben tun viele allein und erklären tut ihnen fast niemand etwas. Dieser Ort kann sie vielleicht noch erreichen.
Ich bin sehr glücklich dort zu sein. Ich bleibe bis zum späten Abend, und schlafe die Nacht in einem Haus der Franziskanerschwestern, weil ich zu dieser Uhrzeit nicht mehr nach Hause zurückkehren kann. Manchmal spielen wir bis tief in die Nacht Burako.
Morgens dort in Itatí aufzuwachen, zu frühstücken, von dort den Tag zu beginnen, macht mir Freude. Und hat diese Viertel mir fast ein kleines Zuhause werden lassen, nicht bloß einen Ort, den ich nur zum Arbeiten betrete. Das ist ein großer Unterschied.
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Manchmal mache ich viel Musik. Ich bin in einem Studentenchor, habe eine Gitarre und eine Geige mittlerweile, und mit Freunden eine a cappella-Musikgruppe gegründet. Wir ziehen durch die Bars von Quilmes, singen bald auf einer Hochzeit und verdienen uns da ein wenig Geld für Pizza und Bier.
Die Bilder sind von unserem ersten Auftritt in der Bar Cultural Rie, meines Erachtens die schönste Bar, die Quilmes hier zu bieten hat. Wir haben Tango gesungen.
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Kleinere Reisen habe ich ab und zu an Wochenende mit Freunden unternommen,
die größeren Reisen stehen im Februar an.
Nach einem einwöchigen Seminar mit allen Freiwilligen der Gegend, mach ich mich auf gen Norden, über La Paz und den Lago Titicaca Richtung Perú und zum bolivianischen Karneval. Im März kehre ich über den Norden Argentiniens zurück.
Es fällt mir gar nicht leicht, für diese Zeit hier mein Leben zurückzulassen, das mir nicht selten wie ein Leben aus vielen Leben vorkommt, weil manchmal das eine mit dem anderen nicht viel zu tun hat. Ich bin auch froh, mich nun einmal zu entfernen und von dort auf all das hier zu blicken - um zu sehen, was mich eigentlich am meisten zurückzieht, für das kommende halbe Jahr.
Mit diesem Gedanken alles Liebe, und ich hoffe, dass Berichte, die mehr in die Breite als in die Tiefe gehen, trotzdem auch schön zu lesen sind.
Elena