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Friedliche Wahlen in Sierra Leone

Von Online-Redaktion am

Sierra Leone hat politische Reife gezeigt und sich und der Welt eindrücklich bewiesen, dass Wahlen in einem ehemaligen Bürgerkriegsland friedlich ablaufen können. Friedlich fängt auch der Wahltag in Freetown an. Es ist still. Dort, wo normalerweise Autos Stoßstange an Stoßstange ums Vorwärtskommen kämpfen, wild hupen und Motorradfahrer sich dazwischen drängeln, um als erste ans Ziel zu kommen, herrscht Stille. Die Regierung hat anlässlich der Wahlen ein 24-stündiges Fahrverbot verhängt. Auch an den Straßenrändern, wo sich sonst ein kleiner Verkaufsstand an den anderen reiht - gähnende Leere. Freetown gleicht einer Geisterstadt. Die Menschen stehen in dichten Trauben vor den Wahllokalen, viele tausend Wähler haben sich lange vor Sonnenaufgang auf den Weg gemacht. Seit 7.00 Uhr früh sind die 9.200 Wahllokale im Land geöffnet.

Engagierte Wahlhelfer

Viele der Wahlhelfer haben wegen des Fahrverbotes gleich neben den Wahllokalen übernachtet. Von Erschöpfung keine Spur. Voller Enthusiasmus bereiten sie Wahlen vor. Damit die Abstimmungen transparent und glaubwürdig verlaufen können, sind neben nationalen und internationalen Beobachtern auch Parteienvertreter anwesend, die den Ablauf mit Argusaugen überwachen. Bei so viel Aufmerksamkeit muss alles glatt laufen, damit es keine Einsprüche gegen das Verfahren gibt. Die Regierung hat dafür extra ein Gericht eingesetzt, das Einsprüche bei der Wahl verhandelt.

Motivierte Wähler

Auch viele Wähler haben zur Sicherheit vor den Wahllokalen übernachtet oder haben sich in aller Frühe angestellt. Die Stimmung ist heiter. Wer es nicht allzu weit hatte, hat sich gleich einen Plastikstuhl von zu Hause mitgebracht und es sich darin gemütlich gemacht. Sie alle eint die Hoffnung auf friedliche Wahlen. „Wir haben so viel mitgemacht in den letzten Jahren, nun müssen wir weiter vorankommen“, sagt ein betagter Mann, der sich lächelnd auf seine Krücke stützt. Ein anderer ist hier, weil er für „Entwicklung, bessere Straßen, eine bessere Gesundheitsversorgung und kostenlose Bildung“ stimmen will. Dass die APC das Land in einem autoritären Einparteiensystem von 1961 bis 1992 regierte und für den Bürgerkrieg mitverantwortlich war, interessiert den jungen Mann in der Schlange vor dem Wahllokal nicht. „Ich habe schon immer die Regierungspartei APC gewählt. Ich bin überglücklich mit der Entwicklung unseres Landes“, verkündet er lautstark. Die anderen nicken und warten weiter geduldig auf Einlass.

Viel Lob für Regierung

Der regierende Präsident Ernest Bai Koroma, ein ehemalige Versicherungsagent, hat den Ausbau der Infrastruktur vorangetrieben. Freetown war bis vor einigen Jahren die einzige Hauptstadt Afrikas, die nicht an ein Stromnetz angeschlossen war und wo Wasserleitungen purer Luxus waren. Da hat sich in den vergangenen Jahren einiges zum Besseren gewendet. Und das ist bei den Menschen angekommen. Die Inflationsrate ist auf 12 Prozent gesunken, gegenüber 18 Prozent in 2011. Auch die Einführung kostenloser medizinischer Behandlung für Kinder unter fünf Jahren und schwangere Frauen bringt dem Präsidenten viel Lob bei Wählern ein. Doch trotz aller Erfolge: Sierra Leone gehört nach wie vor zu den ärmsten Ländern der Welt. Mehr als umgerechnet ein Euro bleibt den meisten der rund sechs Millionen Einwohnern nicht zum täglichen Leben. Demokratischer Fortschritt und wirtschaftliche Entwicklungen sind daher auch die zentralen Themen, über die die Menschen heute abstimmen.

Wähler hoffen auf bessere Zukunft

Egal vor welchen Wahllokal in der Hauptstadt Freetown, die Menschen wollen ein besseres Leben und darüber stimmen sie ab. „Die Wirtschaft muss stärker werden, wir brauchen mehr Entwicklung“, sagt ein Mittdreißiger. Ein 18-Jähriger will nur eins: Arbeit. „Ich bin jung und arbeitslos, wie die meisten hier in Freetown. Wir brauchen alle eine Zukunft.“ „Wir brauchen mehr Bildung für unsere Kinder“, sagt eine junge Mutter mit ihrem Baby auf dem Rücken. Die anderen Mütter nicken zustimmend. Bessere Straßen, eine sichere Versorgung mit Elektrizität, das wünschen sich viele, die stundenlang geduldig auf ihre Stimmabgabe warten.

Friedliche und demokratische Wahlen

Friedlich und frei sollen die Wahlen sein. Damit dieses Ziel auch erreicht wird, sind mehr als 9.000 nationale Wahlbeobachter im Einsatz. Unterstützt werden sie von Internationalen Wahlbeobachtern und Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Die Menschen freuen sich über so viel Interesse und Anteilnahme. „Bitte sorgt dafür, dass hier alles mit rechten Dingen zugeht“, sagt ein besorgter junger Mann vor einem Wahllokal im Osten der Stadt. Sierra Leones Demokratie ist noch jung und die Angst, dass die Wahlen nicht glaubwürdig verlaufen, ist groß. So werden die Wahlbeobachter überall mit offenen Armen empfangen. „Ich bin froh, dass ihr hier seid, da wird wenigstens nicht geschummelt“, sagt eine ältere Frau. Auch bei „Culture Radio“, einem Radiosender in Freetown, ist die Stimmung angesichts des Wahlverlaufs bestens. Sie haben Reporter überall ins Land geschickt. Die Rückmeldungen, überwiegend positiv. Die Wahlen verlaufen friedlich. Auch die Hörer sind mit dem Verlauf der Wahlen höchst zufrieden. Die meisten beschweren sich über das verhängte Fahrverbot. Das macht es schwieriger, das Wahllokal zu erreichen. Wenige berichten über Pannen. So kam es zu Verzögerungen bei der Auslieferung der Wahlunterlagen, Wahllokale öffneten verspätet. Aber Freude und Erleichterung dominieren.

Freude über friedlichen Verlauf

Ebun James, Generalsekretärin des Kirchenrates (CCSL), ist erleichtert über den positiven Wahlverlauf. „ Wir haben den Glauben an den demokratischen Prozess gefestigt. Auch Polizei und Militär respektieren nun demokratische Werte und haben für einen friedlichen und reibungslosen Wahlverlauf gesorgt.“ „Das war die beste Wahl, die es jemals in diesem Land gegeben hat“, und die Erleichterung darüber ist Alusine Koroma, Journalist eines gesellschaftspolitischen Magazins, ins Gesicht geschrieben. Heiko Meinhardt, Koordinator der internationalen Wahlbeobachter von Brot für die Welt, ist beeindruckt vom friedlichen Wahlverlauf. Gleichwohl merkt er kritisch an: „Es gab viele logistische Unzulänglichkeiten. Viele Wähler fanden in den Wahlzentren ihre Wahllokale nicht, weil die Anordnung der Namen chaotisch organisiert war. Das hat zu unnötiger Unruhe geführt“. Sehr viel bedenklicher stimmt ihn, „ dass ich in zwei Wahllokalen bereits blanko unterschriebene Ergebnislisten der Auszählungen gefunden habe“. Er merkt zwar an, dass es sich um isolierte Ereignisse handelte, dennoch können diese das noch wacklige Vertrauen in demokratische Wahlen erschüttern. Der Nachrichtensender Aljazeera hat ein Fernsehteam ins Land geschickt. Und Reporterin Caitlin Mc Bee ist von der Demokratiefähigkeit der Menschen überzeugt: „Ich habe viel politischen Willen beobachtet. Die Menschen wollen wählen, sie wollen nach vorne und nicht zurückgehen.“ Auch der Leiter der EU Wahlbeobachter Richard Howitt, ist zufrieden. „Es gab einige Unregelmäßigkeiten, aber alles in allem haben wir enthusiastische Wähler und eine tolle Atmosphäre beobachtet."

Wer wird gewinnen?

Für die Regierungspartei All People’s Party (APC) ist Präsident Ernest Bai-Koroma angetreten, der seit 2007 das Land regiert. Die APC Hochburg ist im Norden des Landes und teilweise in Freetown. Derzeit ist es völlig offen, ob er die benötigten 55 Prozent der Wählerstimmen bekommen hat. Oder, ob er sich einer Stichwahl spätestens Mitte Dezember stellen muss. Julius Maada Bio, ein ehemaliger Junta General, ist der Kandidat der größten Oppositionspartei Sierra Leone People’s Party (SLPP). Sie bezieht die meisten Wählerstimmen aus dem Süden Sierra Leones. Wie groß seine Unterstützung in Freetown ist, ist schwer zu beurteilen. Zur Überraschung aller haben dort tausende Menschen die Wahlabschlussveranstaltung der SLPP am vergangenen Donnerstag besucht.

Reine Nervensache?

Doch jetzt beginnt das eigentliche Nervenspiel. Die Nationale Wahlkommission (NEC) ist laut Verfassung verpflichtet, das Ergebnis innerhalb von zehn Tagen bekannt zu geben. Die große Frage wird sein, ob der Verlierer der Wahl das Ergebnis anerkennen wird. Unabhängig davon, ob ein Sieger im ersten Wahlgang oder erst bei den Stichwahlen ermittelt wird, es wartet nicht weniger als eine Herkulesaufgabe auf die nächste Regierung: nach wie vor leben rund 70 Prozent der Bevölkerung in absoluter Armut und das große Heer arbeitsloser Jugendlicher ist eine ernsthafte Gefahr für den Frieden.

Iris Liethmann

 

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