Der seit Jahren schwelende internationale Konflikt um das Vorhaben der
EU, den Flugverkehr in den europäischen Emissionshandel einzubeziehen,
eskaliert. Mit Beginn des neuen Jahres legt die EU Obergrenzen für die
Emissionen aus allen Flügen fest, die in EU-Ländern starten oder landen.
Als Referenz dienen die Jahre 2004 bis 2006. Die Fluggesellschaften
erhalten kostenlose Emissionsrechte im Umfang von 85 Prozent ihrer
durchschnittlichen Emissionen in diesem Zeitraum. Emittieren sie mehr,
müssen sie zusätzliche Emissionsrechte kaufen oder durch
Klimaschutzmaßnahmen im Rahmen des "Clean Development Mechanism"
generieren. Da die Emissionen aus dem Flugverkehr in den letzten fünf
Jahren stark gestiegen sind (der Flugverkehr ist der Sektor mit dem
größten Emissionsanstieg) und die meisten Maßnahmen zur
Emissionsbegrenzung sehr teuer sind, werden dies praktisch alle Airlines
tun müssen.
Zu internationalen Spannungen führt vor allem, dass nicht nur
innereuropäische Flüge erfasst werden, sondern auch alle Starts nach und
Landungen von außereuropäischen Zielen. Dabei werden die Emissionen
angerechnet, die während des gesamten Flugs entstehen. Dadurch werden
auch außereuropäische Fluggesellschaften in den Emissionshandel
einbezogen, sie müssen ihre Emissionen aus den Flügen in die EU an die
dortigen Behörden melden und höchstwahrscheinlich Emissionszertifikate
kaufen. Dagegen sind Flüge, die EU-Gebiet überqueren, aber dort nicht
starten oder landen, nicht betroffen.
Fluggesellschaften vor allem aus den USA, China und Indien laufen
gegen dieses "unilaterale Handelshemmnis" Sturm. Amerikanische Airlines
hatten in Großbritannien eine Klage gegen die einschlägige EU-Verordnung
angestrengt, die das zuständige Gericht an den Europäischen Gerichtshof
weiterleitete. Der EuGH kam in seinem Urteil vom 21.12.2011 zu dem
Schluss, dass die Verordnung weder gegen internationale vertragliche
Verpflichtungen der EU noch gegen das Völkergewohnheitsrecht verstoße.
So werde nicht zwischen Unternehmen aus verschiedenen Ländern
diskriminiert. Da es sich beim Emissionshandel nicht um eine Steuer
handelt (sondern die Airlines sogar theoretisch Einnahmen erzielen
können, wenn sie die ihnen zugeteilten Zertifikate verkaufen), liege
auch kein Verstoß gegen das Open Skies Abkommen zwischen EU und USA vor,
das Steuern und Gebühren beschränkt.
WTO spielt vorerst keine Rolle
Damit bleiben den Fluggesellschaften und den sie unterstützenden
Regierungen kaum mehr juristische Möglichkeiten, um den Emissionshandel
für den Flugverkehr zu stoppen. Ein Streitfall in der WTO hätte keine
Aussicht auf Erfolg. Der Flugverkehr ist zwar an sich vom
Dienstleistungsabkommen GATS erfasst, der einschlägige Anhang befasst
sich aber nur mit der Reparatur und Wartung von Flugzeugen und Buchungs-
und Reservierungsdiensten. Die EU ist auch nur für diese Teilsektoren
Liberalisierungsverpflichtungen eingegangen. Bei den eigentlichen
Flugdienstleistungen hat sie daher noch einen relativ großen
Politikspielraum. Dies erweist sich nun als Glücksfall, da sich in den
allgemeinen Ausnahmen zum GATS-Abkommen kein Bezug zum Schutz
natürlicher Ressourcen findet. Im älteren Güterhandelsabkommen GATT
wurde diese Bestimmung erfolgreich genutzt, um umweltpolitische
Maßnahmen mit Handelseffekten zu verteidigen. Im GATS wäre dies nicht
möglich.
Drohungen auf vielen Ebenen
Obwohl oder vielleicht gerade weil ihnen praktisch keine rechtlichen
Möglichkeiten mehr zur Verfügung stehen, fahren die außereuropäischen
Regierungen rhetorisch schwere Geschütze auf: US-Außenministerin Clinton
forderte in einem Brief mehrere EU-Kommissare auf, die Verordnung
zurückzunehmen oder zumindest auszusetzen. Andernfalls werde die USA
"Gegenmaßnahmen" ergreifen. Welche Gegenmaßnahmen dies sein könnten,
wird nicht weiter beschrieben. Auch der Spruch des EuGH hat laut einer
Stellungnahme des US-Außenministeriums die amerikanischen Bedenken nicht
ausgeräumt. Das US-Repräsentantenhaus hat schon im Oktober in einer in
letzter Zeit sehr raren parteiübergreifenden Zusammenarbeit ein Gesetz
verabschiedet, das es US-amerikanischen Fluggesellschaften verbietet, am
europäischen Emissionshandel teilzunehmen. Bevor es in Kraft tritt,
muss es allerdings noch vom Senat und vom Präsidenten unterzeichnet
werden. Sollte dies geschehen, hätten vor allem US-amerikanische
Airlines ein Problem, da sie vor der Wahl stünden, entweder
amerikanisches oder europäisches Recht zu brechen. Der einzig legale
Ausweg wäre womöglich, die kostenlos zugeteilten Zertifikate selbst zu
verbrauchen und keine zuzukaufen, was aber zu weniger Flügen und
entsprechend weniger Umsatz führen würde.
Indien initiierte eine Resolution bei der Internationalen
Organisation für zivile Luftfahrt (ICAO), in der der Plan der EU als
diskriminierend bezeichnet wird, da er gegen die nationale Souveränität
anderer Staaten verstoße. China, Russland und mehr als 20 weitere
Staaten unterstützten die Resolution, die damit in der nur 36 Länder
umfassenden ICAO eine klare Mehrheit fand. Die Resolution betont - wie
auch die USA und China - der Schritt der EU behindere eine notwendige
internationale Debatte zur Emissionskontrolle im Rahmen der ICAO. Dass
diese seit Jahren nicht voran kommt, wird dabei natürlich nicht erwähnt.
EU will hart bleiben
Bislang zeigt sich die EU-Kommission von den Drohungen wenig
beeindruckt. Sie will die Verordnung wie geplant umsetzen.
US-Gesellschaften haben schon angekündigt, sich unter Protest zu
beteiligen und kostenlose Zertifikate beantragt. Für alle Gesellschaften
wird der Emissionshandel erst im Laufe des Jahres relevant, wenn sie die
kostenlosen Zertifikate aufgebraucht haben. Auch dann steigt der Preis
für ein Ticket in die USA nach Schätzunge von Experten um weniger als 20
US-Dollar.
Auch aus den Mitgliedstaaten wird die Kommission unterstützt - in
Deutschland spricht sich nur die FDP dafür aus, den Emissionshandel für
den Flugverkehr zunächst auszusetzen. Nervöser sind die Airlines, die
befürchten, von den angedrohten Gegenmaßnahmen als erste betroffen zu
werden, etwa durch neue Abgaben.
In der Auseinandersetzung zeigt sich tendenziell eine ähnliche
Konstellation wie in den Klimaverhandlungen insgesamt: Die EU, die
wenigstens behutsame Schritte Richtung Klimaschutz gehen will,
unterstützt von kleinen und verletzlichen Entwicklungsländern
einerseits, und die USA und die großen Schwellenländer, die fürchten,
Klimaschutz könnte ihrer Wirtschaft schaden, auf der anderen Seite. Bis
sich zumindest in einer signifikanten Minderheit aus dieser Gruppe die
Erkenntnis durchsetzt, dass die Wirkungen des Klimawandels die
Wirtschaft weitaus stärker belasten als Klimaschutzmaßnahmen, besteht
kaum Hoffnung auf echte Bewegung.
Umso wichtiger ist es, dass die EU ihre Vorreiterrolle beibehält und
ausbaut. Der Streit um den Flugverkehr wird daher wohl nicht der letzte
internationale Handelsstreit um Klimaschutz bleiben.
Michael Frein, Tobias Reichert