In der ansonsten so geschäftigen Kreuzberger Markthalle 9 ist am Freitagabend eine prächtige Tafel eingedeckt. In einem mehrgängigen Menü werden einheimische Fischsorten serviert und Podiumsgespräche bieten Informationen über Fischimporte und Überfischung der Weltmeere. ExpertInnen der Deutschen Umwelthilfe, der Lighthouse Foundation, vom Erzeuger- und Verbrauchernetzwerk Slowfood Deutschland, von OCEAN2012 sowie dem EED, erläutern die Entwicklung der europäischen Importabhängigkeit: „In den Kühltheken der Supermärkte ist die Überfischung der Meere nicht sichtbar. Wohlgemeinte Nachhaltigkeitssiegel kaschieren den immensen Schaden durch übermäßige Nutzung,“ erklärt Nina Wolff, Meeresschutz-Expertin der Deutschen Umwelthilfe und Koordinatorin von OCEAN2012 in Deutschland. „Seit dem Jahr 2000 rückt das errechnete Datum der Abhängigkeit von Fischimporten in der gesamten EU im Kalender beständig nach vorne. Heute wird der „Fish Dependence Day“ fast einen Monat früher erreicht als noch zur Jahrtausendwende.“
Schon heute stammt die Hälfte der europäischen Fischimporte aus Gewässern von Entwicklungsländern. Peter Arthur, Pfarrer aus Ghana und selbst Sohn eines Fischers, verdeutlicht, wie die Gewässer vor den Küsten Afrikas in den letzten Jahrzehnten leergefischt wurden. Seitdem Edelfischarten wie Doraden, Thunfisch und der in Spanien sehr beliebte Tintenfisch in Europa dezimiert wurden, werden sie in afrikanischen Gewässern gejagt. Nicht nur die Edelfischarten, sondern auch die kleinen Oberflächenschwarmfische, wichtigste Proteinquelle der Armen, seien als Beifang in den Schleppnetzen ausländischer Trawler verschwunden. Man geht davon aus, dass sie in Ghana um 90 Prozent reduziert wurden. „Was bleibt den Afrikanern anderes, als in der Migration oder in der Piraterie einen Ausweg zu suchen?“, resümiert er.
EED-Referent Stig Tanzmann unterstreicht in seinem Redebeitrag: “Wir haben kein Recht, mit unserer Genusssucht den Menschen im Süden ihre Ernährungsgrundlagen zu nehmen! Sie sind, viel mehr als wir, auf Fisch als tierische Eiweißquelle und Grundlage für ihren Lebensunterhalt angewiesen. Für die Ärmsten gibt es keine vergleichbar günstigere Alternative.“
Verbraucher können durch bewussten und ausgewählten Konsum, vor allem von heimischem Fisch, zum Erhalt der Meeresökosysteme und zur weltweiten Ernährungsgerechtigkeit beitragen. Wer jedoch meint, Fische aus Aquakulturen seien eine Alternative, täuscht sich. Raubfische wie Seelachs, Shrimps und Thunfische, müssen massenhaft mit Fischmehl gefüttert werden, zur Erzeugung von 1kg Fisch benötigt man 3-4kg Fischfutter. Selbst Pflanzenfresser wie Pengasisus und Tilapia werden zusätzlich damit gemästet . Dieses Fischmehl stammt von Oberflächen-Schwarmfischen, der Ernährungsgrundlage frei lebender Fische und sehr armer Bevölkerungsschichten in den Ländern des Südens. Heute ist es unmöglich, noch mit gutem Gewissen einmal in der Woche Fisch zu essen.
Die politische Botschaft des Bündnis OCEAN2012 lautet: In der Fischereipolitik sollen die kleinen volkswirtschaftlich und kulturell wichtigen Produktionsstrukturen den Vorrang erhalten, um nachhaltiger und effizienter wirtschaften zu können. Zudem müssen ökologische Fangbeschränkungen, lückenlose Rückverfolgbarkeit und faire Preise durchgesetzt werden.