1992 haben sich die UN-Mitglieder in der Erklärung von Rio auf das Vorsorgeprinzip verständigt. Im Falle schwerwiegender Umweltschäden dürfen demnach auch bei nicht vorhandener wissenschaftlicher Gewissheit Gegenmaßnahmen ergriffen werden, die durchaus auch Kosten verursachen können.
Das Vorsorgeprinzip ist eines der wichtigsten Ergebnisse von Rio 1992, dass jedoch schon zwei Jahre später in Marrakesch bei der Gründung der Welthandelsorganisation WTO wieder ausgehebelt wurde. Dort heißt es, dass eine Diskriminierung im Güterhandel (also etwa ein Importverbot, um gleich die höchste Eskalationsstufe anzunehmen) nur dann erfolgen darf, wenn der Nachweis von Schädigungen für Umwelt und Gesundheit (im Importland!) auf gesicherter wissenschaftlicher Grundlage erbracht wurde.
Für die Umwelt ist dies keine gute Nachricht. Streitet sich die Wissenschaft in einem spezifischen Sachverhalt noch (was in der Regel der Fall ist), so kann die gesicherte wissenschaftliche Grundlage angezweifelt werden, ein Beschwerdeverfahren des WTO-Mitglieds, das sich benachteiligt fühlt, hätte Aussicht auf Erfolg. Nach dem Rio-Vorsorgeprinzip könnte eine entsprechende Maßnahme durch wissenschaftlich begründete Hinweise gerechtfertigt werden.
Tatsächlich existieren hier zwei Prinzipien nebeneinander. Dies ist möglich, weil die WTO nicht Teil des Systems der Vereinten Nationen ist. Hinzu kommt, dass die Rio-Erklärung völkerrechtlich unverbindlich ist, während die entsprechenden WTO-Bestimmungen Teil eines völkerrechtlich verbindlichen Abkommens sind.
Nicht zuletzt auch, weil sich die WTO als Wirtschaftsabkommen in der Praxis als sehr viel wirkungsmächtiger erwiesen hat als die auf Umweltschutz zielenden Grundsätze der Rio-Erklärung, lohnt es sich, in Rio für das Vorsorgeprinzip dafür zu kämpfen, das Vorsorgeprinzip zu stärken – und zwar, wenn es irgendwie geht, nicht nur allgemein und subsumiert unter einer allgemeinen Bestätigung der Rio-Erklärung in der Präambel, sondern operationalisiert in den entsprechenden Artikeln der Abschlusserklärung von Rio+20.
Grundsatz 15 im Wortlaut:
Zum Schutz der Umwelt wenden die Staaten im Rahmen ihrer Möglichkeiten allgemein den Vorsorgegrundsatz an. Drohen schwerwiegende oder bleibende Schäden, so darf ein Mangel an vollständiger wissenschaftlicher Gewissheit kein Grund dafür sein, kostenwirksame Maßnahmen zur Vermeidung von Umweltverschlechterungen aufzuschieben.