Künftige Wege in der kirchlichen Entwicklungszusammenarbeit in Schwellenländern
Die Landkarte von Arm und Reich verändert sich. Schwellenländer wie China, Indien und Brasilien sind zu Wachstumsmotoren der Weltwirtschaft geworden. Die Grenzen zwischen den Gebern und Nehmern von Entwicklungshilfe lösen sich auf. Das zwingt die Regierungen der Industrieländer und die nichtstaatlichen Organisationen dazu, ihre Konzepte von Entwicklung und die Zusammenarbeit mit ihren Partnern zu überdenken.
Die Diskussion ist in vollem Gang – auch bei der Entwicklungspolitischen Konferenz der Kirchen und Werke, zu der Anfang April über 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmer in Berlin zusammen kamen. Unter dem Bibelwort „Euer Überfluss diene ihrem Mangel“ aus dem Korintherbrief gingen sie der Frage nach, ob die Schwellenländer noch Hilfe im Kampf gegen die Armut brauchen – und wenn ja, wie die aussehen sollte.
Die Macht verschiebt sich nach Asien
Der Direktor des Deutschen Institutes für Entwicklungspolitik, Dirk Messner, sprach von einer „tektonischen Machtverschiebung“ in Richtung Asien. Die globale Mittelschicht werde bis 2030 auf knapp fünf Milliarden Menschen wachsen – und 80 Prozent von ihnen leben dann in Schwellenländern. Zugleich sind dort zwei Drittel der extrem Armen auf der Welt zuhause: 650 Millionen Kinder, Frauen und Männer, die mit weniger als 1,25 US-Dollar am Tag auskommen müssen.
Eine Entwicklungspolitik, die Armut weiter reduzieren will, dürfe den Eliten im globalen Süden die Verantwortung nicht abnehmen, forderte Messner. Internationale Zusammenarbeit müsse außerdem zum Ziel haben, Entwicklung nachhaltig zu gestalten. Denn bislang geht das dynamische Wachstum in China, Indien und Brasilien auf Kosten der Natur und verschärft die Ungleichheit: Die Umweltschäden sind riesig und die soziale Kluft wächst. Die Zerstörung der Umwelt berge das Risiko, dass „die Ärmsten noch ärmer“ werden, warnte Messner.
„Wir brauchen Zusammenarbeit, keine Entwicklungshilfe“
Der brasilianische Politologe Paulo Alfredo Schönardi gab sich bei der Konferenz selbstbewusst. „Wir können den Norden bei der Lösung der globalen Probleme wie dem Kampf gegen den Klimawandel unterstützen“, sagte er. Sein Land habe es geschafft, mit Hilfe von Sozialprogrammen wie Bolsa Familía die Armut in den vergangenen zehn Jahren zu halbieren – unter dem starken Druck der Zivilgesellschaft.
Trotzdem hält er Unterstützung aus dem Norden weiter für sinnvoll, vor allem in der ökologischen Landwirtschaft. „Wir brauchen Entwicklungszusammenarbeit, keine Entwicklungshilfe“, betonte Schönardi, der mit einem Stipendium von Brot für die Welt – Evangelischer Entwicklungsdienst in Hamburg studiert. Die Zusammenarbeit könne auch dazu beitragen, der Mittelschicht ihre Verantwortung für die Umwelt bewusst zu machen.
Die Direktorin des Third World Network, Yoke Ling Chee, mahnte zur Vorsicht: Zwar sei die Dynamik in Indien und China beeindruckend, doch die Volkswirtschaften hingen stark vom Export von Rohstoffen und Konsumgütern ab und seien damit anfällig für Krisen. „China ist immer noch ein Entwicklungsland“, sagte Chee, die in Peking lebt.
Für „Brot für die Welt“ bleiben viele Aufgaben
Gegenwärtig formten sich immer mehr Initiativen, die für soziale und wirtschaftliche Rechte eintreten oder sich gegen die Umweltverschmutzung zur Wehr setzen, berichtete Chee. Mit ihnen sollten die Kirchen und kirchlichen Hilfswerke aus Deutschland zusammenarbeiten, um Werte wie Solidarität und Menschenwürde zu stärken und Räume für einen Dialog zu eröffnen.
Das sieht die Präsidentin von „Brot für die Welt“, Cornelia Füllkrug-Weitzel, ähnlich. „Wir haben noch eine ganze Reihe von Aufgaben in den Schwellenländern“, sagte sie. Trotz des hohen Wirtschaftswachstums bleibe eine gravierende soziale Ungerechtigkeit. „Wir planen keinen Rückzug aus Indien oder China.“
Im Gegenteil: Die Zivilgesellschaft dort werde weiter darin gestärkt, Einfluss auf die nationale Sozialpolitik zu nehmen. Gemeinsam mit Partnern aus dem Süden setze sich „Brot für die Welt“ zudem in internationalen Verhandlungen für ein ökologisch und sozial verträgliches Wachstum ein. Außerdem würden Projekte gefördert – etwa ein Programm zur Wasserversorgung im Nordosten Brasiliens – , die als Modell dienen können. Füllkrug-Weitzel: „Wir sind auf dem richtigen Weg, aber der ist noch nicht zu Ende.“
Gesine Kauffmann