Der Internationale Rat des Weltsozialforums hat nach einer intensiven Diskussion entschieden dem Vorschlag des maghrebinischen Sozialforums und dessen Organisationskomitee zu folgen und auch das nächste Weltsozialforum 2015 in Tunis zu veranstalten.
Dem Rat lagen zwei ausgearbeitete Konzepte und ein weiterer Vorschlag vor, der noch Zeit bedurft hätte konkretisiert zu werden. Neben Tunis bewarb sich schon seit längerer Zeit ein Bündnis sozialer Bewegungen aus der kanadischen Provinz Quebec. Seit dem Ausbruch sozialer Unruhen in 2010 hat sich dort die Idee von Sozialforen entwickelt. Eine sehr professionelle Präsentation von jungen gut vernetzten Aktivistinnen aus Quebec beeindruckte die Ratsmitglieder. Weniger überzeugend war der Vorschlag eines südasiatischen Bündnisses, der nur durch den nepalesischen Delegierten vertreten werden konnte. Die indischen Vertreter mussten absagen wegen eines wichtigen Termins für das südasiatische Sozialforum im März 2014.
Am Ende kam es zu einer Neuerung in der Geschichte der Weltsozialforen. Alle drei Vorschläge wurden als Paket beschlossen und sollen poltisch gemeinsam vorbereitet werden. Tunis 2015, Quebec 2016 zeitgleich mit einem asiatischen WSF oder sonst 2017 in Indien, sollten die südasiatischen Bündnisse das wünschen.
Die Idee von Sozialforen setzt sich in Nordafrika und im Nahen Osten fest
Auch wenn vielleicht äußerlich die Präsentationen dem Werben um die Olympischen Spiele glichen, war die Entscheidung doch hoch politisch motiviert und konnte nur im Konsens, dem Einigungsprinzip des Internationalen Rates, entscheiden werden.
Politisch spricht viel dafür zurückzukehren nach Tunis. In der Folge des WSF 2013 hat sich eine breite Sozialforumseuphorie über die Region gelegt, bis hinein in den Nahen Osten. Es finden vielfältige regionale und thematische Foren statt, wo sich Jugendliche, wie z.B. beim ägyptischen Jugendforum oder Frauen zu ihren Foren treffen. Themen, wie Migration oder selbst Fragen zum poltischen Islamismus werden auf thematischen Foren mit breiter Beteiligung aus der Region behandelt.
Die Idee von Sozialforen in der Region startete 2009 mit dem ersten mesopotamischen Sozialforum mit Beteiligung von KurdInnen aus Syrien, Iran und Irak und führte dieses Jahr in Bagdad zu einem ersten Sozialforum in einer spannungsgeladenen Situation, in dem sich die zivilgesellschaftlichen Gruppen gegen die Spaltungsversuche der eigenen Regierung, gegen die weiter bestehende Einmischung der USA, aber auch gegen den täglichen Terrorismus aussprachen und für eine irakische Zukunft, in der religiöse oder ethnische Unterschiede keine Rolle spielen.
Mit Spannung wird auch ein erstes palästinensisches Sozialforum für Sommer 2014 erwartet, das anders als das Solidaritätsforums, Free Palastine im fernen Porto Alegre auch in Palästina stattfinden soll. Die Gesellschaften dieser Region, vor allem Jugendliche finden Gefallen an diesen Formen des unverbindlichen aber dennoch hochpolitischen Zusammenkommens, frei von staatlicher Gängelung aber auch von ideologischer Bevormundung durch politische Gruppen. Es geht um Kennenlernen, Netzwerken, Verabreden und das Ausprobieren von elektronischen Möglichkeiten für soziale Bewegungen.
Erstes Weltsozialforum in einem Industrieland
Auch die Bewerbung aus Quebec sprühte diesen Geist neuer horizontaler Bewegungen. Es begann als Bewegung gegen Studiengebühren. Inzwischen hat der Widerstand auch soziale Gruppen ergriffen, die sich nicht um Gewerkschaften oder NROs gruppieren. Indigene im Kampf gegen das Fracking in Ostkanada, MigrantInnen oder Obdachlose in den Metropolen. So wird im August 2016 zum ersten Male das Weltsozialforum in einem Industrieland Land stattfinden – im kanadischen Quebec: Auf der Webseite wird das gebührend gefeiert.
Bleibt abzuwarten, wie die sehr restriktive Visavergabepraxis der stockkonservativen kanadischen Regierung sich auf die Teilnahme von AktivistInnen aus Afrika, Asien und Südamerika auswirkt.
Ob ein zweites Forum parallel in Asien stattfindet und auch unterstützt wird, entscheidet sich beim Südasiatischen Forum, eventuell ist 2017 ein realistischerer Termin für ein indisches Forum.
Das wäre erst das zweite Mal nach dem Weltsozialforum in Mumbai 2005.
Occupy und andere neue soziale Bewegungen in das WSF integrieren
Der Rat aber diskutierte nicht in erster Linie den Ort des nächsten WSF. Im Mittelpunkt der ersten Tage standen Analysen der Bewegungen gegen die weltweiten Krisenfolgen, besonders den sozialen Kämpfen, die neu auch in Südeuropa geführt werden. Es wurde bemängelt, dass es dem Weltsozialforum immer weniger gelingt alle globalen Bewegungen zu integrieren, vor allem die, die eine gesellschaftliche Alternative zum profitorientierten neoliberalen Kapitalismusmodell wollen. Aber auch ehemals integrierte Bewegungen, zum Beispiel die Bewegung der Landlosen und Kleinbauern und ihre Organisationen, wie MST und Via Campesina sind nicht mehr so aktiv im WSF, wie zuvor.
Viele globale gesellschaftliche Auseinandersetzungen, wie die zum Klimawandel oder zum Freihandel, werden in eigenen Bewegungen und Netzwerken geführt. Es wurde beschlossen eine Kommission einzusetzen, die auf diese neuen Bewegungen im Namen des Internationalen Rates zugehen soll, um eine Verbreiterung des Rates und des Forums zu erreichen. Dennoch wurden die Aufgaben des Rates enger an der Ermöglichung und methodischen Begleitung der Weltsozialforen definiert. Die für die Durchführung der Weltsozialforen autonomen örtlichen Organisationskomitees sollen besser unterstützt werden.
Die Teilnahme an den Weltsozialforen webbasiert erweitern
Ein schon länger verfolgtes Projekt des Internationalen Rates soll noch stärker unterstützt werden. Es ist die Verbesserung der Teilnahme aller Interessierter an den WSF Diskursen durch die schon länger bestehende offene Webplattform der Weltsozialforen. Auch die Erweiterung der interaktiven Beteiligung an den Sitzungen des internationalen Rates steht weiter auf der Tagesordnung und wurde, wenn auch unter technischen Schwierigkeiten, in Casablanca praktiziert, wo der größte Teil der Ratssitzung im Internet übertragen wurde und über einen Chatraum nicht anwesende Ratsmitglieder in die Diskussion eingreifen konnten. Fehlende Bandbreite verhinderte aber die Übertragung der Simultanübersetzungen. Das WSF würde bei einer Bewältigung dieser Schwierigkeiten ein Vorreiter in der interaktiven Kommunikation sozialer Bewegungen und zivilgesellschaftlicher Akteure werden.
Die Sitzung des Internationalen Rates zeigte, dass die Sozialforumsidee lebt. Das WSF ist nicht mehr selbst ein globaler Akteur zur gesellschaftlichen Veränderung, wie vielleicht in den ersten Jahren, als das Weltsozialforum die alternative Ideenbörse zum Weltwirtschaftsforum in Davos war. Spätestens nach dem 2008 die Analysen über die Folgen eines total deregulierten Finanzmarktes eintrafen und in Talkshows selbst von Bankern wiederholt wurden, verloren Forderungen, wie eine Finanztransaktionssteuer ihre systemkritische Kraft.
Tunis 2013 zeigte aber, wie wichtig die Weltsozialforen für Begegnungen und den Erfahrungs- und Ideenaustausch der globalen und regionalen Bewegungen geworden sind. Auch wenn Aktivisten der ersten Stunde dies nicht wahr haben wollen, ist diese einmalige Gelegenheit für viele kleinere Gruppen, Netzwerke, NROs und Bewegungen, die sonst nicht am „Alternativzirkus“ von internationalen Konferenzen teilnehmen können, ein immer wichtigerer Ort. Daher wird Brot für die Welt auch in Zukunft im Rat und auf den Sozialforen präsent sein und es unterstützen und seinen Partnerorganisationen die Teilnahme mit ermöglichen.
„Eine andere Welt ist möglich – besser: Eine andere Welt ist notwendig!“
Casablanca, 18. Dezember 2013