Nach gut einer Woche hat sich bei der Weltklimakonferenz in Warschau noch immer wenig getan. Zum Leidwesen vor allem der Länder, die am stärksten vom Klimawandel betroffen sind - wie die Philippinen.
Maria Theresa hat sich verspätet. »Erst mal musste ich zu Hause aufräumen«, sagt die Philippinerin. Zwar wütete der Taifun Haiyan nicht ganz so schlimm in Manila. »Aber trotzdem gab es einige Schäden in unserem Viertel.« Seit vergangenem Samstag ist Maria Theresa Nera-Lauron nun in Warschau. Und friert. »Bei uns auf den Philippinen sind jetzt 29 Grad«, sagt die zierliche Frau. Verständlich, dass ihr Polens Hauptstadt bei null Grad wie der sibirische Winter vorkommen muss.
Die 45-Jährige ist Mitglied der philippinischen Regierungsdelegation auf der Weltklimakonferenz. »Sagen wir: ein halbes Mitglied.« Denn eigentlich ist die Expertin der Nichtregierungsorganisation IBON nicht direkt an den Verhandlungen beteiligt. »Meine Aufgabe ist es, die Arbeit der Regierung zu überwachen.« In Warschau soll ein neues Klimaschutzabkommen auf den Weg gebracht werden, das 2015 in Paris beschlossen werden soll und erstmals alle Staaten verpflichtet, ihren Treibhausgasausstoß zu verringern. Auch die Philippinen.
Gegründet wurde IBON zu Beginn der Marcos-Diktatur Anfang der 1970er Jahre von der Kirche. »Damals ging es darum herauszufinden, was hinter den Lügen des Regimes steckt«, sagt Maria Theresa. Als junge Frau hat sie sich beispielsweise gegen die Unterdrückung an den Universitäten eingesetzt. Und landete prompt im Gefängnis. Zwar ist die Militärjunta längst Geschichte, der Auftrag aber ist geblieben. »Ich sitze mit am Regierungstisch, um dann der Zivilgesellschaft zu Hause zu berichten, wie in Warschau über unsere Zukunft verhandelt wurde.«
Ihr werde auf dem Konferenzparkett sehr viel Mitgefühl entgegengebracht, sagt die kaum 1,40 Meter große Frau. »Alle fragen mich, ob es auch in meiner Familie Opfer gegeben hat.« Tatsächlich lebt die eine Hälfte ihrer Familie im besonders betroffenen Süden, die Zahl der Todesopfer ist mittlerweile auf offiziell 3982 angestiegen, 1602 Menschen werden noch vermisst. »Wir hatten aber Glück.« Keiner ihrer Verwandten ist vermisst, schwer verletzt oder wurde gar in den Tod gerissen.
Wobei Glück in diesen Tagen auf den Philippinen relativ ist: »Unter den Verwandten sind Kaufleute, ihr Laden ist komplett zertrümmert. Andere sind Bauern - sie haben die ganze Ernte und ihre Bleibe verloren.« Ein halbwegs normales Leben wird im nächsten halben Jahr für keinen von ihnen möglich sein.
Auf dem Terminkalender steht jetzt ein Strategietreffen der philippinischen Regierungsdelegation. Es gibt bei der Klimakonferenz mehr als ein Dutzend Verhandlungsstränge; einen, der sich mit Finanzfragen beschäftigt, einen anderen zu Anpassungsmaßnahmen, einen zum Kyoto-Protokoll, einen, der den Zukunftsvertrag aushandelt. »Alles ist miteinander verwoben«, sagt Maria Theresa. Ein Zugeständnis in einem Verhandlungsstrang kann die Position in einem anderen verbessern. Deshalb kommen die Unterhändler regelmäßig zusammen, um den Stand auf dem Verhandlungsparkett abzugleichen.
»Wir stehen hier enorm unter Druck. Die Menschen zu Haus verlangen endlich konkrete Beschlüsse«, sagt Maria Theresa. Wenige Tage vor dem Abschluss der Weltklimakonferenz am Freitag sieht es nicht danach aus. Heute kommen die Minister nach Warschau, auch Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) wird zu den Delegierten sprechen und mehr Bewegung, mehr Kompromissbereitschaft einfordern. »Tatsächlich aber berät die Konferenz, wie die Tagesordnung der nächsten Konferenz aussehen soll.« Dabei sei genug geredet: »Der Taifun Haiyan zeigt doch, dass die Zeit der Worte vorbei sein muss. Wir brauchen Taten!«
Das erste, was sie dachte, als die Behörden vor dem Sturm warnten, war das, was Maria Theresa den »Mutterkomplex« nennt: »Haben wir genug Trinkwasser, sind die Handys alle aufgeladen, reicht das Brot?« Vier Kinder hat sie, zwei vierjährige Zwillinge, zwei sind schon groß. »Der Taifun Ondoy ist eines meiner Traumata.« Er war 2008 über Manila hinweg gefegt und hatte in 24 Stunden soviel Regen mit sich gebracht, wie sonst im ganzen Monat fällt. Auch Maria Theresas Familie stand damals bis zum Hals in den Fluten.
Hat denn der Klimawandel überhaupt etwas mit Taifunen wie Haiyan zu tun? Schließlich gab es schon immer Tropenstürme auf den Philippinen! Maria Theresa stutzt einen Augenblick und wird dann richtig wütend. »Taifun Haiyan ist der stärkste je registrierte Sturm in der Menschheitsgeschichte. 2010 versank Pakistan in den Fluten. Gleichzeitig litt Russland unter extremer Hitze mit tausendfachem Waldbrand. Die Rekordflut in Thailand 2011, gleichzeitig der heißeste Sommer in den USA, der Hurrikan Sandy, der 2012 erstmals auf New York zuraste. Das ist doch alles kein Zufall!«
Maria Theresa Nera-Lauron macht eine Pause und gewinnt ihr Lächeln zurück. »Ihr hattet doch bei euch in Deutschland im Sommer auch schon wieder eine ›Jahrhundertflut‹. Das lief bei uns im Fernsehen. Also: Wie nennt ihr die Häufung von Wetterextremen, wenn nicht ›Klimawandel‹?«
Natürlich, Fluten und Taifune gehören seit alters her zum Leben der Philippinos. »Fluten sind unser ›way of life‹, wir haben gelernt, damit umzugehen«, sagt Maria Theresa. »Aber was sich in den letzten zehn Jahren bei uns abspielt, sind eben keine Fluten wie seit alters her.« Sondern unbeherrschbare Angriffe auf die Menschheit. 31 Tropenstürme seien in diesem Jahr bereits über die Philippinen hinweg gefegt. »Wer immer noch denkt, dass der Klimawandel eine Fiktion in der Zukunft ist, den lade ich gern zur nächsten Taifunsaison nach Manila ein.«
Zur Aktivistin ist sie wegen Shakespeare geworden. Maria Theresa hat englische Literatur studiert, »ich habe die Welt damals durch die romantischen Augen von Romeo und Julia gesehen«. Als sie aber dann die Augen auf den Alltag richtete, habe der sich als alles andere als romantisch entpuppt. »Das hat in mir wohl den Willen entfacht, die Welt zu ändern, sie besser zu machen.«
Deshalb müsse endlich etwas geschehen. Yeb Saño, der philippinische Verhandlungsführer und in Warschau »Chef« von Maria Theresa, ist in Hungerstreik getreten. »Lasst uns das Verbrennen von Öl und Kohle stoppen«, appelliert Saño. »Lasst uns Warschau als den Ort in Erinnerung behalten, an dem wir diese Dummheit gestoppt haben.«
Am Dienstag präsentierte Saño auf dem Klimagipfel 605 367 Unterschriften eines Aufrufes, den der philippinische Verhandlungsführer zu Beginn des Gipfels initiiert hatte: »Ich rufe Sie dazu auf, die Bekämpfung der Verschmutzung nicht länger schleifen zu lassen und keine Finanzierungsversprechen mehr zu brechen«, heißt es in der Online-Petition. Die Regierungen der Welt müssten »die neue Klima-Realität erkennen«.
Warschau erscheint Maria Theresa in diesen Tagen als der unwirtlichste Ort. »Wenn ich am Morgen in die erste Verhandlung gehe, ist es noch dunkel, und wenn ich aus der letzten herauskomme, schon wieder.«
Ihr Herz und ihre Hoffnungen sind zu Hause auf den Philippinen, wo die Rettungskräfte immer noch nach Vermissten suchen. Am liebsten würde sie sofort wieder abreisen, um etwas Sinnvolles zu tun. Zum Beispiel Trümmer beiseite schieben. »Meine Aufgabe aber ist hier«, sagt Maria Theresa und verspricht, ihr Bestes zu geben, um die Zeit in Europa im Nachhinein als sinnvoll bezeichnen zu können.
Dieser Artikel von Nick Reimer ist zuerst online erschienen auf klimaretter.info und neues deutschland:
http://www.neues-deutschland.de/artikel/915510.fluten-gehoeren-zum-alltag.html
20.11.2013