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Frieden in Nahost braucht Begegnung

Nir Oren und Mazen Faraj haben beide ein Elternteil verloren: Orens Mutter starb im Juli 1995 durch einen Selbstmordattentäter in einem Bus. Etwa sieben Jahre später im April 2002 wurde Mazen Farajs Vater auf der Rückkehr von der Arbeit in Israel von Soldaten erschossen. Auf dem Kirchentag in Hamburg berichten beide, warum sie sich heute für die Versöhnung ihrer Völker einsetzen.

 

Von Michael Billanitsch am

Nir Oren und Mazen Faraj haben beide ein Elternteil verloren: Orens Mutter starb im Juli 1995 durch einen Selbstmordattentäter in einem Bus. Etwa sieben Jahre später im April 2002 wurde Mazen Farajs Vater auf der Rückkehr von der Arbeit in Israel von Soldaten erschossen. Auf dem Kirchentag in Hamburg berichten beide, warum sie sich heute für die Versöhnung ihrer Völker einsetzen.

Solidarität der Opfer

Als Mazen Faraj 1990 sechzehnjährig im Rahmen der ersten Intifada Steine im Flüchtlingslager Daheishe auf israelische Soldaten warf, hätte er sich nicht vorstellen können, dass er sich einmal mit Israelis gemeinsam für den Frieden einsetzen würde: „Meine Lösung hieß: Gewalt!“ Heute leitet er als palästinensischer Direktor gemeinsam mit seinem israelischen Kollegen Nir Oren „The Parents Circle“. Brot für die Welt unterstützt mit ihr eine der wenigen Organisationen, in denen Israelis und Palästinenser gleichberechtigt arbeiten. Sie brachte zunächst Angehörige von Opfern beider Seiten zusammen.  Inzwischen haben sich 600 Familien der Organisation angeschlossen und kommen ins Gespräch. „Wir sind alle Opfer des Konflikts, aber wir kämpfen nicht gegeneinander“, sagt Nir Oren.

Übereinstimmend berichten Oren und Faraj von der Erfahrung, dass sie über die jeweils andere Seite lange Zeit nichts wussten: „Ich hatte ein sehr klares Bild davon wie Israelis sind, sie sind mir immer nur als Siedler oder als Soldaten gegenüber getreten“, so Mazen Faraj.  Vor sieben  Jahren traf er Yitzhak Frankental, einen der Gründer von Parents Circle, der seine Tochter 1997 verloren hat. Heute weiß Faraj: „Wir müssen uns als Menschen wahrnehmen“. Dennoch sitzt die Erfahrung des erlittenen Unrechts tief: „Als wir vom Krankenhaus in der Nacht die Nachricht bekamen, das der Körper meines Vaters dort lag, durften wir nicht sofort dorthin fahren. Wegen der Auflagen der Besatzung mussten wir bis zum nächsten Tag warten.“ Nir Oren wusste ebenfalls nichts von den Palästinensern: „Es war wichtig die Opfer der anderen Seite zu treffen, die meine Geschichte mit angehört haben und die mit Mitleid darauf reagiert haben. Genauso habe ich ihre Geschichten gehört.“

Kennenlernen fördert Verständnis

Die Arbeit von Parents Circle geht heute über die Begegnung von Opferfamilien hinaus. Sie bringt bei mehreren hundert Veranstaltungen jährlich Menschen aus beiden Bevölkerungsgruppen zusammen. Zum Beispiel lernten bei einer Begegnung 140 Israelis und Palästinenser im Holocaust-Museum und in einem Museum über die palästinensische Katastrophe (Nakba) jeweils die Geschichte der anderen Seite kennen.

Zwanzig Jahre nach dem Osloer Friedensvertrag ist der Friedensprozess erstarrt. Moderatorin Alexandra Senfft stellt fest, dass sich die meisten Menschen entweder nur für die palästinensische oder nur für die israelische Seite einsetzen. Eine Lösung für die Nahost-Frage sei aber nur zu erreichen, wenn sich die internationale Gemeinschaft für beide Seiten einsetzt.

Beide Seiten brauchen eine Chance auf Zukunft

Psychoanalytiker Carlo Strenger, der 1958 in der Schweiz geboren ist und früh nach Israel auswanderte, verweist auf die Angst, die bei den Israelis vorherrscht: „Es gibt keine Grillparty, bei der nicht die Frage gestellt wird, ob dieser Staat in zwanzig oder dreißig Jahren noch existieren wird.“ Die politische Rechte um Benjamin Netanjahu sagt: „Wir haben kein Problem mit den Palästinensern, es gibt ein Problem damit, dass die arabischen Staaten nicht den Staat Israel anerkennen.“ Die arabische Initiative von 2002, die genau dies vorsah, wenn sich Israel auf die Grenzen von 1967 zurückziehen würde und es eine gerechte Lösung der Flüchtlingsfrage gebe, weise die politische Rechte zurück: „Wir haben uns 2006 aus Gaza zurückgezogen und was haben wir aus dem Gazastreifen dafür bekommen? Raketen, Raketen, Raketen!“

Riman Barakat, Co-Direktorin des Israel/Palestine Center for Research and Information sieht das Scheitern des Oslo-Vertrages vor dem Hintergrund, dass die Palästinenser keine Veränderung durch den Vertrag in ihrem Leben erfahren haben: „Ich möchte ein Leben in Ehre und Freiheit. Die Palästinenser müssen eine gute Gesundheitsversorgung bekommen, die Wirtschaft muss auf die Beine kommen. Israel muss verstehen, dass es nur Frieden bekommen kann, wenn es einen richtigen starken Nachbarstaat hat, in dem die Menschen leben können.“

"Nobody" steht neben mir

Die Grundlage zu einer Lösung des Nahostproblems sehen alle Personen auf dem Podium darin, dass sich Israelis und Palästinenser gegenseitig erst einmal wieder als Menschen anerkennen müssen. Nir Oren berichtet von einer Begegnungsveranstaltung: Ein israelisches Mädchen aus der jüdischen Siedlung Kirjat Arba bei Hebron ging auf Mazen Faraj zu und erzählte: „Ich fuhr oft mit meiner Mutter nach Jerusalem. Wenn ich mit meiner Mutter an dem Flüchtlingslager Daheishe bei Bethlehem vorbeifuhr fragte ich: „Wer lebt da?“ Sie antwortete: „Nobody“ (Niemand). Nir Oren: „Das ist schlimmer als wenn Sie gesagt hätte: Terroristen. Denn das Schlimmste ist es, wenn die Existenz des anderen nicht mehr wahrgenommen wird.“ Bei dem Treffen kam das Mädchen aus Kirjat Arba auf Mazen Faraj zu: „Jetzt weiß ich: Nobody steht direkt neben mir.“

 

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