Die Vollversammlung des Ökumenischen Rats der Kirchen (ÖRK) ist zu Ende. Nun nehmen wir Abschied von Korea. Ich sitze gerade am Flughafen von Seoul und versuche, die Begegnungen, Diskussionen und Themen Revue passieren zu lassen. Aufgrund der Fülle brauche ich sicher noch ein paar Tage, um alle Gedanken zu ordnen. Nun erstmal ein erster Anlauf dazu.
Die ganzen knapp 2 Wochen waren geprägt von einer durchgehend guten Stimmung. Ein ausgesprochenes Konfliktthema (das medial bestimmt größere Aufmerksamkeit garantieren würde) gab es nicht. Die Vertreterinnen und Vertreter der Kirchen hörten aufmerksam einander zu (was in der Ökumene nicht immer der Fall ist) und zeigten Respekt auch dort, wo die Kirchen zu zentralen Fragen unterschiedlicher Auffassung sind. Ganz offensichtlich ist das beim Familienbild und der menschlichen Sexualität, relevant aber auch bei Fragen wie dem Recht auf Kriegsdienstverweigerung (hierfür setzen sich insbesondere die so genannten Friedenskirchen wie die Mennoniten ein) oder dem Umgang mit Atomkraft. Immer wieder wird dies als die unity in diversity, die „Einheit in der Vielfalt“, beschrieben. Die Einheit besteht nicht darin, dass alle Kirchen einer einzigen Struktur untergeordnet sind oder stets eine gemeinsame Position einzunehmen, sondern darin, dass sie sich zusammengehörig fühlen, gemeinsam die Stimme erheben, wo es notwendig ist, und sich gegenseitig immer wieder herausfordern. Aus diesem Grund ist es im Übrigen auch für Brot für die Welt fast eine Selbstverständlichkeit, dass wir uns an der Arbeit des ÖRK beteiligen und uns mit anderen kirchlichen Hilfswerken in der ACT Alliance zusammengetan haben, wo wir ebenfalls Reibungsflächen zwischen groß und klein, Nord und Süd oder Entwicklungszusammenarbeit und Katastrophenhilfe haben, aber uns ebenfalls als Gemeinschaft verstehen.
Die andere Seite der Medaille
In verschiedenen Workshops und anderen kleineren Veranstaltungsformaten wurden drängende Themen angesprochen. So war der Workshop zur menschlichen Sexualität überfüllt. Bei den Diskussionen im Plenum bemühte sich die Versammlungsleitung jedoch in der Regel, keine großen Diskussionen aufkommen zu lassen, um so die gute Stimmung nicht zu gefährden. Die andere Seite der Medaille: Das machte den Eindruck, als gebe es innerhalb des ÖRK keine Konfliktfähigkeit und den Mut, wichtige Themen offen zu diskutieren. Kein Selbstvertrauen zeigte sich auch bei den Wahlen für den neuen, 150-köpfigen Zentralausschuss, die hinter verschlossenen Türen stattfanden. Nur die mehreren Hundert Delegierten durften teilnehmen, alle übrigen Vollversammlungsteilnehmenden konnten nicht verfolgen, wie es zur Besetzung des zentralen Organ des ÖRK kam.
Prägende Themen
Aus meiner subjektiven Wahrnehmung heraus waren mehrere Themenstränge prägend:
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Naher Osten
Die dortigen Kirchen machten sehr deutlich auf die Situation in ihrer Region aufmerksam. Zum einen geht es um Bürgerkrieg und Menschenrechtsverletzungen in Syrien, Ägypten oder Israel/Palästina (zum ersten Land gibt es mehr Informationen bei den Kolleginnen und Kollegen von der Diakonie Katastrophenhilfe), zum anderen fürchten die Kirchen um die Fortexistenz des christlichen Glaubens in der Region. Neben einem Statement zur Lage der Kirchen selbst wurde deshalb auch ein Papier zur Politisierung von Religionen und den Rechten religiöser Minderheiten verfasst. -
Korea
Das Landhat der Vollversammlung seine eigene Prägung gegeben. Obwohl im eigenen Land von konservativen Kirchen ein großer Druck ausgeübt wurde, was sich in der Dauerpräsenz von Demonstrierenden vor dem Kongresszentrum „BEXCO“ äußerte, waren die gastgebenden Kirchen unaufhaltsam bemüht, ihr Land so gut wie irgend möglich zu präsentieren. Verbunden mit der Versammlung war auch die Hoffnung, einen Teil zur Versöhnung zwischen Nord- und Südkorea beizutragen. Ich glaube nicht, dass dies geschehen ist, trotzdem bleiben wichtige Symbole wie der Peacetrain oder ein Beschluss zur Versöhnung zwischen beiden Landesteilen. -
Ökologische Gerechtigkeit
Beim Engagement der Kirchen für Fragen von Schöpfung und Klimawandel gab es keine markanten Wegmarken, vielmehr war es eine Art Momentaufnahme. Wer sich bisher damit befasst hat, wird dies fortführen, andere Kirchen werden weniger interessiert bleiben. Deutlich wird, dass das Thema tatsächlich als existenzielle Krise verstanden wird, bei dem die konsumorientierten Gesellschaften eine tiefgreifende Transformation durchlaufen müssen, der auch von der/vom Einzelnen viel abverlangt. -
Inklusivität
Die Präsenz von Menschen mit Behinderung bei der Vollversammlung war sehr offensichtlich. Das hat der Veranstaltung gut getan. Die Menschen mit Behinderung brachten in die ganze Veranstaltung eine gute Mischung aus Humor und Ernsthaftigkeit und schafften es alleine durch ihre Präsenz, dass alle Teilnehmenden achtsamer miteinander umgingen.
Wir pilgern
Das Leitmotiv für die künftige Arbeit ist nun der „Pilgerweg der Gerechtigkeit und des Friedens“ (pilgrimage of justice and peace), auf den sich die Kirchen nun gemeinsam begeben sollen. Immer noch ist der Begriff ein schöner Koffer, in dem viele Themen Platz haben und mit dem die Verbindung von Spiritualität und gesellschaftlichem und politischem Engagement der Kirchen gelingen kann. Andererseits wird der Begriff beliebig, wenn sowieso alles hineinpasst. Ob das nun gelingt, hängt davon ab, wie das Sekretariat des ÖRK die Beschlüsse der Vollversammlung nun in ein gutes Programm umsetzt, mit dem er die nächsten 8 Jahre bis zur Vollversammlung 2021 arbeitet..
Ökumene als Netzwerk
Was sich für mich tatsächlich wie erwartet gezeigt hat: Ebenso wichtig wie die Sitzungen und Beschlüsse waren die Begegnungen. Ob es nun das eindrückliche Gespräch mit der Studentin aus Pakistan war, in deren Kirchengemeinde im September Dutzende von Menschen Opfer eines Terroranschlags waren, die intensiven Diskussionen in der Bibelarbeitsgruppe, die Begegnungen mit Partnern von Brot für die Welt, mit denen wir uns gegenseitig über aktuelle Entwicklungen informierten, oder der Austausch mit den anderen Hilfswerken, die in Busan präsent waren. Die so genannte „Begegnungsökumene“ – eigentlich eher ein abwertender Begriff – ist eben doch wichtig. Schließlich geht es nicht nur darum, Beschlüsse zu fassen, sondern auch um das Aufbauen und Pflegen von Netzwerken, die erst später einmal zum Tragen kommen. Als international tätiges Werk sind wir in jedem Fall unbedingt darauf angewiesen, diese Netzwerkverbindungen in alle Welt nutzen zu können.