Es war im Jahr 1991 und Gideon Byamugisha, ein anglikanischer Pfarrer aus Uganda, trauerte noch um seine verstorbene Frau, als deren Schwester ihm offenbarte, dass diese an Aids gestorben sei. Das Beste sei es, er würde auch einen HIV-Test machen, empfahl sie. Nach bangem Warten bekam Gideon seinen HIV-Status mitgeteilt: positiv.
In der anschließenden HIV-Beratung fragte man ihn: „Mann Gottes, was wirst Du jetzt machen?“ Zum ersten Mal in seinem Leben hatte Gideon keinen Plan. Er und seine Frau wollten in England studieren – ihre Krankheit, die Einweisung ins Krankenhaus und ihr früher Tod machten diese Pläne zunichte. Er konnte es nicht fassen – er sollte HIV-positiv sein? Seine Frau war an Aids gestorben? Beide hatten nie einen Test machen lassen.
Für Gideon war klar, dass er offen mit der Diagnose umgehen wollte. Seine Familie reagierte mit Verständnis und Unterstützung und so informierte er auch seinen Bischof. Auch die Reaktion des Bischofs fiel positiv aus. Er ermutigte Gideon, sich im Bereich HIV-Aufklärung im kirchlichen Dienst zu engagieren. Gideon entschloss sich, noch weiter zu gehen: er machte seinen HIV-Status nicht nur im engsten Familien- und Bekanntenkreis, sondern auch in der Gemeinde und darüber hinaus öffentlich bekannt, um auf diese Weise dazu beizutragen, das Schweigen in der Kirche über HIV zu brechen.
Fünf Jahre später, 1996, war Gideon dem Tode nah. Damals gab es in Afrika noch keine lebenserhaltende anti-retrovirale Therapie. Aber Gideon hatte Glück und überlebte aufgrund seiner guten internationalen Kontakte, über die er mit den lebenswichtigen Medikamenten versorgt wurde.
Kirche schwieg lange über die Krankheit
Auch JP Heath ist anglikanischer Pfarrer. In Namibia geboren, lebte und arbeitete er bereits jahrelang in Südafrika. Er erfuhr im Jahr 2000, dass er HIV-positiv ist. Gemeinsam mit seinem Lebensgefährten Paul hatte er beschlossen, dass sie sich beide testen lassen. „Es war im Mai 2000, als wir unseren HIV-Status erfuhren. Zur damaligen Zeit gab es keine kostenlose Behandlung mit anti-retroviralen Medikamenten in Südafrika“, erklärt JP. „Wir konnten uns diese Tabletten nicht leisten. Sie kosteten umgerechnet 400 Euro pro Monat. Das war mehr als ich als Gemeindepfarrer verdiente.“ JP hatte eine Krankenversicherung, wollte sie jedoch nicht in Anspruch nehmen: „Ich war sicher, dass ich meinen Job verlieren würde, sobald die Kirche davon erfahren hätte.“
JP und Paul nahmen an einer klinischen Studie teil, um auf diese Weise Zugang zu Behandlung zu bekommen. JP landete in einem Teil der Studie, in der er fünf anti-retrovirale Medi-kamente einnehmen musste. Sein Gesundheitszustand verschlechterte sich zusehends. Er verlor 10 Kilo Gewicht und fühlte sich kränker und kränker. Eines Tages sprach er seinen Bischof darauf an. „Ich sagte ihm, ich bin HIV-positiv. Ich habe eine Beziehung zu Paul. Wenn Sie mich kündigen wollen, tun Sie es.“ Der Bischof bedankte sich für JPs Offenheit, sagte ihm, er solle mit meiner Arbeit fortfahren, riet ihm jedoch in seiner Gemeinde keinen Ton darüber zu erwähnen „Er war ein liberaler Bischof, aber er war besorgt, dass mich meine Gemeinde abweisen würde. Wie ich selbst hatte er Angst davor, was die anderen wohl sagen, wie sie reagieren würden. Damals war es eine absolute Schande, HIV-positiv zu sein, denn die Kirche war der Ansicht, dass Aids eine Strafe Gottes für begangene Sünden sei“, erinnert sich der anglikanische Pfarrer. „Inzwischen haben wir erkannt, dass die Kirche eine Sünde gegenüber Gott beging, in dem sie diese Meinung propagierte“, sagt JP. Wie durch ein Wunder überlebte er sein Nierenversagen.
Aufbruch im Jahr 2001
Im Jahr 2001 fand die erste Pan-Afrikanische Anglikanische Konsultation zu HIV in Johannesburg statt. Dort hörte JP zum ersten Mal seinen Kollegen Gideon Byamugisha sprechen. Gideon begann seine Rede mit den Worten: „Ich bin ein anglikanischer Pfarrer und lebe mit HIV“.
Für JP veränderte sich sein Leben: „Zum ersten Mal wusste ich, dass ich nicht alleine bin. Wir sprachen uns gegenseitig Mut zu und träumten davon, aus der Isolation herauszukommen und ein Netzwerk für religiöse Führungskräfte aufzubauen, die mit HIV leben.“
2002 gegründet sich das afrikanische Netzwerk religiöser HIV-positiver Führer. Ziel der Organisation ist es, Betroffene, untereinander zu vernetzen, um auf diese Weise besser über HIV und Aids zu informieren und sie zu befähigen, ihren HIV-Status zu akzeptieren und Stigmatisierung, Diskriminierung, Scham und Ablehnung zu überwinden. Ursprünglich lag der Fokus auf Afrika, doch das Interesse war weltweit so groß, dass sich das Netzwerk im Jahr 2008 internationalisierte. Heute heißt das Netzwerk INERELA und hat etwa 10.000 Mitglieder in 21 Ländern.
Treue allein reicht nicht
Das Netzwerk INERELA hat auch dazu beigetragen, dass Kirchen und religiöse Gemeinschaften nicht länger als Problemkinder in der Präventionsarbeit gelten, sondern nun Teil der Lösung sind. Bisher wurde in den Kirchen die Botschaft ‚ABC‘ etwas verzerrt dargestellt: A für Abstinenz schrieb man groß, B für ‚be faithful’ (Treue) ebenso. Das C für Kondome war im kirchlichen Kontext oft kaum mehr auszumachen und erweckte den Eindruck, dass Kondome nur für die sind, die sich nicht im Griff haben und weder abstinent noch treu sein können. Viele Frauen waren jedoch bis zur Ehe sexuell abstinent, dann ihren Männern treu geblieben und doch mit HIV infiziert wurden.
Auch JP Heath hatte bis zu seiner ersten Ehe abstinent gelebt. Darum war er entschlossen: Die ABC-Botschaft der Kirchen zur Vorbeugung von HIV musste sich ändern. INERELA entwickelte mit „SAVE“ einen eigenen neuen Ansatz. SAVE ist eine geistliche Botschaft und ein Akronym aus dem Englischen. Das ‚S‘ steht für ‚sicheres Verhalten‘, denn es gilt, sich gegen alle Übertragungswege zu schützen. Dies umfasst die sexuelle Übertragung, aber auch die Übertragung der Mutter auf ihr Kind. Hierfür müssen Programme mit anti-retroviralen Medikamenten zur Verfügung stehen, beim Drogengebrauch ist steriles Spritzzeug vonnöten, beim Umgang mit Blut müssen universelle Vorsichtsmaßnahmen umgesetzt werden und bei Bluttransfusionen muss das Blut auf HIV getestet sein.
Das ‚A‘ in SAVE steht für ‚availability’, also die Verfügbarkeit von anti-retroviralen Medikamenten. Inzwischen wissen wir auch, dass Menschen, die unter erfolgreicher Behandlung stehen, das Virus deutlich seltener weitergeben. ‚V‘ heißt, die Leute müssen ihren HIV-Status kennen: Der Zugang zu Beratung und HIV-Tests (voluntary counselling and testing, VCT) muss gewährleistet sein, denn erst, wenn ich meinen HIV-Status und den meines Partners kenne, kann Treue vor einer sexuellen Übertragung schützen. Treue allein ist zwar eine gute moralische Botschaft, aber sie reicht nicht aus, um Menschen vor einer HIV-Infektion zu schützen.
Das E‘ in SAVE schließlich steht für ‚empowerment‘. Damit ist die Befähigung durch umfassende Kenntnisse gemeint. Hierbei geht es nicht darum, in fünf Minuten herunterzubeten, wie HIV übertragen wird und wie man sich davor schützen kann. Vielmehr sollen Menschen weitreichend über HIV informiert sein – das betrifft ein fundiertes Wissen über die Übertragung, aber auch eine Auseinandersetzung mit Gender und kulturellen Fragen, mit Faktoren, die oft entscheidend dafür sind, ob es zu einer Übertragung kommt oder nicht. Die Arbeit von INERELA hat auch entscheidend dazu beigetragen, dass Stigma – sowohl Selbststigma wie auch das Stigma in religiösen Gemeinschaften effektiv überwunden wird.
Zugang zu Prävention und Behandlung weltweit
Die Geschichten der beiden anglikanischen Pfarrer Gideon Byamugisha und JP Heath zeigen wie überlebenswichtig die anti-retrovirale Behandlung ist. Gideon konnte nur aufgrund internationaler Medikamenten-Spenden überleben, da in den 90er Jahren kein afrikanisches Land die anti-retrovirale Therapie anbot. JP musste an einer klinischen Studie teilnehmen, um überhaupt an die Medikamente zu gelangen. Die hohe Dosierung im Rahmen der Studie führte zu gravierenden Nebenwirkungen und brachten JP fast um.
Uganda machte als erstes afrikanisches Land den Zugang zu ARVs im Jahr 2000 möglich. Südafrika hinkte aufgrund der wissenschaftlich nicht nachvollziehbaren Einstellung zu HIV seitens des damaligen Präsidenten Thabo Mbeki und seiner Gesundheitsministerin Manto Tshabalala-Msimang jahrelang hinterher. Heute ist Südafrika das Land, das fast 2 Millionen Menschen mit ARVs therapiert – ein Erfolg, der zum größten Teil der Treatment Action Campaign, einer weiteren Partnerorganisation von Brot für die Welt, zu verdanken ist.
Aktiv in Deutschland
Seit über zehn Jahren verfolgt das deutsche Aktionsbündnis gegen AIDS, dem über 300 kirchliche sowie säkulare Organisationen angehören, das Ziel, HIV-Prävention und Behandlung allen Menschen weltweit zu ermöglichen. Hierzu ist das Bündnis sowohl in der politischen als auch pharmazeutischen Lobbyarbeit aktiv. In Deutschland geht es darum, die Bundesregierung davon zu überzeugen, HIV eine hohe Priorität auf der internationalen politischen Agenda einzuräumen und adäquate Finanzmittel dafür zur Verfügung zu stellen.
Ein wichtiges Finanzierungsinstrument für die HIV-Bekämpfung ist der Globale Fonds gegen Aids, Tuberkulose und Malaria. 10 Millionen Menschen werden derzeit weltweit mit ARVs therapiert. Über 5 Millionen davon verdanken ihre Therapie der Finanzierung durch den Globalen Fonds. Das Aktionsbündnis ruft die Bundesregierung dazu auf, die jährlichen Mittel für den Globalen Fonds von derzeit 200 Millionen auf 400 Millionen Euro anzuheben. Die benötigten 15 Milliarden US Dollar, die der Fonds über die nächsten drei Jahre als Mindestbetrag aufbringen muss, um Prävention und Behandlung weiter auszuweiten, können nur erreicht werden, wenn alle Geber ihre Beiträge anheben. Die USA, Großbritannien und Frankreich sind bereits mit gutem Beispiel voran gegangen. Deutschland hat seinen Beitrag seit 2008 nicht mehr erhöht und trägt im Verhältnis zu seiner Wirtschaftskapazität und im europäischen Vergleich zu wenig bei. Das Aktionsbündnis wird am 29. November deshalb Zehntausende Unterschriften dem Kanzleramt überreichen mit der Aufforderung, den deutschen Beitrag zu verdoppeln.
In der pharmazeutischen Lobbyarbeit geht es darum, die Versorgung mit den ARV-Medikamenten langfristig und nachhaltig sicherzustellen. Da es sich um eine lebenslange Therapie handelt, steigt mit Dauer der Therapie die Gefahr der Resistenzentwicklung. Betroffene müssen auf andere Medikamente umgestellt werden - in Afrika ist der Zugang zu solchen Medikamenten der sogenannten zweiten und dritten Therapielinie allerdings kaum vorhanden. Ein Grund dafür ist, dass die neusten Medikamente unter Patentschutz stehen und daher sehr teuer sind. Eine Möglichkeit, diese billiger zu produzieren bietet der sogenannte Patentpool. Dieser funktioniert jedoch nur, wenn Pharmafirmen ihre Patente auf neuere ARVs in den Pool stellen, so dass Generikafirmen neue Präparate nachbauen können. Das Aktionsbündnis ruft die Pharmafirmen dazu auf, ihre Patente auf neuere ARV-Präparate für Erwachsene und Kinder in den Patentpool zu stellen.
Die Geschichte des anglikanischen Pfarrers JP Heath sowie zahlreiche weitere Interviews und Geschichten von engagierten Menschen und Betroffenen, die sich organisieren und für ihre Rechte eintreten, sind im Oktober 2013 als Buch erschienen: HIV-positiv und wie damit leben? von Astrid Berner-Rodoreda und Renate Of.