Interview mit Biraj Patnaik von dem indischen NGO-Netzwerk „Right to Food Campain“, einem Partnerprojekt von Brot für die Welt
Die Verhandlungen der WTO bei ihrer Ministerkonferenz in Bali kommen nicht voran. Derzeit wird Indien dafür verantwortlich gemacht. Worum geht es bei dem Konflikt?
Die EU und die USA versuchen bei diesen Verhandlungen, die Länder des Südens zu spalten. Sie machen die Annahme des Maßnahmenbündels zur Stärkung der ärmsten Staaten (LDC) davon abhängig, dass die Entwicklungsländer den beiden anderen Teilabkommen des Bali-Pakets – den Handelserleichterungen und dem Agrarabkommen zustimmen. Dadurch ist der Druck, dem vorliegenden Kompromissvorschlag beim umstrittenen Thema Nahrungsmittelreserven zuzustimmen, enorm hoch. Dieser Vorschlag sieht eine Erlaubnis von staatlichen Subventionen zur Bildung von Lebensmittelreserven lediglich für vier Jahre vor.
Aus indischer Sicht ist dies ein großen Problem bei der Versorgung der Bevölkerung in Krisenzeiten. Indien, das auf der Ausweitung staatlicher Subventionen zur Ernährungssicherheit besteht, wird deswegen als Buhmann dargestellt und für die Schwierigkeiten bei der Verabschiedung des Bali-Pakets verantwortlich gemacht.
Es ist wichtig klarzustellen, dass es sich bei dem Vorstoß zur Ernährungssicherheit nicht um eine indische Initiative handelt. Sie ging von allen 46 Entwicklungsländer der G33-Gruppe gemeinsam aus. Viele dieser Staaten würde der jetzige Verhandlungsstand in der Zukunft verbieten, ihre Bauern zu unterstützen. Es handelt sich also um einen Interessenskonflikt zwischen den ärmeren Staaten und den großen Unternehmen des Nordens.
Welche Haltung nehmen denn die anderen G33-Staaten ein?
Bisher stehen die meisten noch zu dem ursprünglich Vorschlag, das Verbot zur Bildung von Nahrungsmittelreserven zu staatlich festgelegten Preisen dauerhaft aufzuheben. Doch hinter den Kulissen wird heftig Druck ausgeübt, insbesondere seitens der USA und der EU. Sie benutzen beispielsweise finanzielle Hilfszusagen an die LDC-Staaten, um sie dazu zu bewegen, mit der Position der G33 zu brechen.
Problematisch ist auch, dass die Verhandlungen hier zumeist hinter verschlossenen Türen geführt werden. Das stärkt die Position der großen Unternehmen aus den reichen Ländern. Es geht um Lobbyarbeit, bei der die Stimmen der Zivilgesellschaft, von Bauernorganisationen oder Frauengruppen einfach nicht gehört werden.
Zudem wird Indien vorgeworfen, das LDC-Paket zu verhindern, was nicht wahr ist, da Indien diesem bereits explizit zugestimmt hat. Auch wir von der Zivilgesellschaft unterstützen das LDC-Paket, auch wenn wir deutlich machen, das die in Bali vorgelegte Version nicht umfassend genug ist, um die Wirtschaft in den ärmsten Staaten wirklich zu stärken. Aus meiner Sicht sind es die USA und die EU, die einen Konsens über das Bali-Paket verhindern.
Dem Brasilianischen WTO-Chef Roberto Azevêdo zufolge ist ein Konsens in Bali im Interesse aller Länder, insbesondere der armen Staaten. Wie beurteilen Sie dies?
Für die Entwicklungsländer beinhaltet das Bali-Paket zwei große Nachteile: Einerseits werden wir von den Industriestaaten gezwungen, dem Themenblock der Handelserleichterungen zuzustimmen – eine Öffnung unserer Märkte, die vor allem den Unternehmen im Norden nützt. Andererseits sollen wir auf unser Recht verzichten, die einheimischen Bauern mit Subventionen zu unterstützen. Das ist vollkommen ungerecht.
Was sind die Probleme, die der Freihandel für die Länder des Südens mit sich bringt?
Zuerst muss gesagt werden, dass Freihandel noch nie existiert hat und wohl auch nie existieren wird. Freihandel ist viel mehr ein Druckmittel, um Ländern wie Indien Bedingungen aufzuerlegen. Unter anderem sollen die Entwicklungsländer ihre Märkte für Produkte öffnen, die in den Industriestaaten hoch subventioniert werden. Zum Beispiel Baumwolle: Die Baumwollfarmer in den USA werden von der Regierung stark subventioniert. Damit ist deren Ernte konkurrenzfähiger als die in Indien oder Westafrika.
Auch wenn die USA dazu verpflichtet sind, die Subventionen zu kappen, geschieht dies nicht. Wie bei den europäischen Exportsubventionen, die offiziell abgeschafft wurden, gelingt es den Industriestaaten immer wieder, ihre Subventionen so umzudefinieren, dass sie nicht unter die Verbote der WTO fallen. Aber es bleiben Subventionen, und sie bringen die Landwirte im Norden immer wieder in eine bessere Marktposition.