Brot für die Welt appelliert zusammen mit einem breiten Bündnis aus kirchlichen Hilfswerken, Menschenrechts-, Entwicklungs- und Umweltorganisationen in einem Offenen Brief an die Mitglieder des Deutschen Bundesrats dem Gesetz zum Assoziierungsabkommen mit Zentralamerika nicht zuzustimmen. Das Assoziierungsabkommen zwischen der EU mit Zentralamerika verschärfe die menschenrechtlichen, sozialen und ökologischen Probleme.
Der Deutsche Bundesrat befasst sich im Mai und Juni 2013 mit dem Zustimmungsgesetz zum Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Union und Zentralamerika (Gesetz zu dem Abkommen vom 29. Juni 2012 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und Zentralamerika andererseits (BR Drucksache 367/13).
Die unterzeichnenden Organisationen engagieren sich seit vielen Jahren, in enger Partnerschaft mit lokalen Organisationen in Zentralamerika, für den Schutz der Menschenrechte, Frieden und soziale Gerechtigkeit, Überwindung der Armut, Konfliktprävention, Stärkung der zivilgesellschaftlichen Partizipation, sowie für eine nachhaltige Entwicklung in der Region. Im Rahmen dieser Arbeit haben wir auch die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und den zentralamerikanischen Ländern begleitet, beobachtet und mitgestaltet.
Die unterzeichnenden Organisationen sind der Überzeugung, dass das dem Bundesrat vorliegende Assoziierungsabkommen einer grundlegenden und insbesondere menschenrechtlichen Überarbeitung bedarf und der Bundesrat diesem in der Form, wie es nun vorliegt, nicht zustimmen sollte.
Das Assoziierungsabkommen enthält keine bindenden Überwachungsmechanismen für menschenrechtliche, arbeitsrechtliche und umweltrechtliche Standards. Es würde erkennbar negative Auswirkungen auf viele bereits von Armut gefährdete Gruppen haben, wichtige Initiativen für eigenständige, nachhaltige Entwicklung in Zentralamerika behindern und würde bereits existierende soziale Konflikte verschärfen.
Mit diesem Brief möchten wir den Mitgliedern des Deutschen Bundesrates für die Beratungen und Entscheidung über das Assoziierungsabkommen einige zentrale Gesichtspunkte zur Bewertung des Abkommens zukommen lassen und sie bitten, diese in ihren Beratungen angemessen zu berücksichtigen.
Zentralamerika befindet sich in einer außerordentlich prekären Situation. In den vergangenen Jahren hat eine Gewaltwelle unerhörten Ausmaßes vor allem das nördliche Dreieck des Subkontinents erfasst. Guatemala und Honduras gehören zu den gefährlichsten Ländern des Kontinents. Honduras ist seit dem Putsch 2009 zu dem Land mit der höchsten Mordrate weltweit avanciert. Hinter der Gewalt steckt weit mehr als die physische Gewalt des organisierten Verbrechens: sie ist möglich durch eine weitgehende Straffreiheit und durch äußerst schwache demokratische und rechtstaatliche Institutionen. Die Wurzeln aber liegen in der strukturellen Gewalt der extremen sozialen Ungleichheit, der Diskriminierung vor allem von Frauen und indigener Völker, der Reproduktion von Hunger, Armut und damit verbundenen scharfen sozialen Konflikten.
Zentralamerika ist zwar für die EU zwar kein wichtiger Handelspartner (steht für weniger als 1 Prozent der Ein- und Ausfuhren), aber die EU ist der zweitwichtigste Handelspartner Zentralamerikas. Und: Die EU ist der wichtigste Geber der Entwicklungszusammenarbeit in Zentralamerika.
Das Assoziierungsabkommen setzt einen neuen Rahmen für die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Zentralamerika. EU-Handelskommissar Karel De Gucht hat dies vor dem Europäischen Parlament klar betont: „Dies ist ein Assoziierungsabkommen mit mehreren Säulen, aber erlauben Sie mir zu sagen, dass die zentrale Säule ein breites und wirksames Freihandelsabkommen ist.“ Der Inhalt des Abkommens bestätigt diese Unausgewogenheit: vier Fünftel des Vertragsinhaltes ist den detaillierten Vereinbarungen für die Freihandelszone zwischen den beiden Regionen gewidmet, lediglich ein Fünftel den beiden anderen Säulen zum politischen Dialog und zur Entwicklungszusammenarbeit. Zudem sind die Vereinbarungen in diesen beiden anderen Säulen vage und unverbindlich formuliert. Präzise überprüfbar sind im Abkommen ausschließlich die Bestimmungen zu Handel und Investitionen. Das Assoziierungsabkommen ist essentiell ein Freihandelsabkommen.
Aus menschenrechtlicher und entwicklungspolitischer Sicht geht es vor allem um zwei konkrete Fragen:
Frage 1: Wie werden Menschenrechte, arbeitsrechtliche und Umweltstandards im Assoziierungsabkommen geregelt, wie wird deren Einhaltung überprüft?
In Artikel 1 ist die Menschenrechts- und Demokratieklausel verankert. Diese besagt: Richtschnur und wesentliches Element dieses Abkommens ist die Achtung von Menschenrechten und Demokratie . Aus dieser klaren Ansage folgt eine menschenrechtliche Rechenschaftspflicht der Vertragsparteien für den Vertragsinhalt.
Um eine solchen Rechenschaftspflicht im Vertrag umzusetzen, müsste es im Rahmen des Assoziierungsabkommens mindestens drei Instrumente geben: eine menschenrechtliche Folgenabschätzung; einen Mechanismus, wie menschenrechtliche Beschwerden geprüft und bearbeitet werden (Beschwerdemechanismus); und einen Mechanismus, mit dem korrektive Maßnahmen ergriffen werden können (Revisionsverfahren).
Leider wurde keines dieser Instrumente in das Vertragswerk aufgenommen. Der Artikel 1 wird im Abkommen nicht operationalisiert. Artikel 1 wird reduziert auf das, was die EU-Verhandlungsführer die „exit clause“ nennen: eine Ausstiegsklausel für den äußersten Notfall, einen Staatsstreich, einen Krieg. Wer aber eine menschenrechtliche Beschwerde vortragen will, findet im Abkommen keine Instanz, wo diese vorgebracht und bearbeitet werden könnte.
Anders ist dies im Gebiet der detaillierten Vereinbarungen zu Handel, Dienstleistungen und Investitionen geregelt (Kapitel VI des Abkommens): hier gibt es ein klar definiertes Streitbeilegungs- und Klärungsverfahren (Titel X, auch in XI für nicht-tarifäre Maßnahmen) mit einem ausdrücklichen bindenden Entscheidungsmandat für das zuständige Panel (Art. 319). Hier ist die Rechenschaftspflicht und Rechenschaftslegung klar und bis ins Detail geklärt (Art. 311-328).
Für das Nachhaltigkeitskapitel im Handelsabkommen (Titel VIII) wurde ein eigenes Verfahren eingerichtet, dessen Mandat erheblich begrenzter ist: die Sachverständigengruppe. Sie hat die Aufgabe, die Einhaltung wichtiger Normen und Übereinkünfte aus dem Bereich des Arbeitsrechts, (Art. 286), auf dem Gebiet der Umwelt (Art. 287) und zur Aufrechterhaltung des Schutzniveaus (Art. 291) zu überprüfen. Dabei verfügt die Sachverständigengruppe ausdrücklich nur über das Mandat, „nicht-bindende Empfehlungen zur Lösung der Angelegenheit“ auszusprechen (Art. 299).
Es ist also nicht richtig, wenn behauptet wird, dass Verstöße gegen Arbeitsrechts- und Umweltstandards genauso geprüft und geklärt werden wie Verstöße gegen Handelsvereinbarungen. Zu Handelsfragen gibt es bindende Entscheidungen, zu Arbeitsrechts- und Umweltfragen gibt es nur nicht-bindende Empfehlungen. Und zu Menschenrechtsverstößen außerhalb des Arbeitsrechts hat die Sachverständigengruppe keinerlei Mandat, d.h. gibt es überhaupt keinen Überprüfungsmechanismus im Vertragswerk.
Frage 2: Welche Wirkungen sind im Blick auf die eigenständige nachhaltige Entwicklung und sozialen Konflikte erwarten?
Die EU hat wirtschaftliche Gewinne für beide Seiten errechnet. Durch den erheblich verbesserten Marktzugang sparen europäische Exporteure jährlich Zollabgaben in Höhe von 87 Millionen Euro. Allerdings fehlt diese Summe dann auch in den schon jetzt klammen Steuerhaushalten der zentralamerikanischen Länder. Die zentralamerikanischen Länder sollen unter anderem durch Zuwächse der Exporte bei Früchten (inklusive Bananen), Gemüse und Nüsse profitieren.
Doch es wird klare Verlierer geben: Die von der Europäischen Kommission in Auftrag gegebene Nachhaltigkeits-Folgenabschätzung geht davon aus, das Abkommen werde den „Druck auf die Landnutzung verstärken, wenn die Folgen von Bergbau, Abholzung und Agrartreibstoff-Produktion mit einbezogen werden“ .
- Große Bergbau-Projekte haben bereits in den vergangenen Jahren zu schweren sozialen Konflikten, Verletzungen der Rechte auf Wasser und Gesundheit und nachhaltiger Umweltzerstörung geführt und besonders indigene Völker beeinträchtigt.
- Abholzung ist in Zentralamerika eines der umweltpolitischen Kernprobleme, durch welche das Recht auf Wasser und eine gesunde Umwelt massiv betroffen sind. Anreize zur weiteren lukrativen Abholzung der noch bestehenden Wälder Mittelamerikas sollten unbedingt vermieden werden.
- Die massive Ausweitung des Zuckerrohr- und Palmölausbaus für die Gewinnung von Agrarkraftstoffen hat in den vergangenen Jahren zu zahlreichen Menschenrechtsverletzungen geführt. Ein Abkommen, das anhaltende Anreize für eine weitere Expansion der Agrartreibstoffe gibt, wird zu einer Verschärfung dieser Konflikte beitragen.
Weitere bedenkliche Folgen für die eigenständige Entwicklung und wirtschaftliche und soziale Menschenrechte sind durch folgende spezifische Vereinbarungen im Abkommen zu erwarten:
- Die meisten europäischen Milchprodukte erhalten mit dem Abkommen sofortigen zollfreien Zugang auf den zentralamerikanischen Markt. Für Milchpulver und Käse wurden Quoten ausgehandelt, die eine sukzessive Steigerung der zollfreien Einfuhr dieser Produkte vorsehen. Diese Regelung ist ein deutliches Beispiel für unfairen Wettbewerb, in dem die meist kleinen und mittleren Milchproduzenten Mittelamerikas von hoch subventionierten Milchprodukten aus der EU vom Markt gedrängt werden und erhebliche Einkommensverluste hinnehmen müssen. Diese Regelung wurde von der EU gegen erbitterten Widerstand aus Mittelamerika durchgesetzt.
- Das Abkommen fördert eine weitere Privatisierung der Wasserversorgung in Zentralamerika und öffnet die Tür zu zentralamerikanischen Märkten für europäische Konzerne. Die fehlende effektive staatliche Regulierung auf nationaler Ebene trägt dazu bei, dass insbesondere einkommensärmere Schichten beim Zugang zu diesem lebenswichtigen öffentlichen Gut und Ausübung ihres Rechts auf Wasser diskriminiert werden.
- Die Regelungen zur öffentlichen Beschaffung und zur weiteren Marktöffnung für Dienstleistungen sind, wie Karel De Gucht sagt, für die europäischen Unternehmen interessant. Für den eher mittelständisch oder klein strukturierten Dienstleistungssektor in den zentralamerikanischen Staaten ist in diesem Wettbewerb wenig zu gewinnen.
Noch eine Bemerkung zum Verhandlungsprozess zu dem Assoziierungsabkommen: Viele zentralamerikanische, europäische und internationale zivilgesellschaftliche Organisationen, darunter die großen Verbände der kirchlichen und nichtkirchlichen Hilfswerke, der Europäische und der Internationale Gewerkschaftsbund sowie mehrere internationale Menschenrechtsorganisationen haben sich jahrelang dafür eingesetzt, dass es zu einem menschenrechtlich, arbeitsrechtlich, umweltrechtlich robusten und ausgewogenen Assoziierungsabkommen kommt, das auf die Realitäten und großen Herausforderungen beider Regionen achtet und in einem transparenten und partizipativen Prozess verhandelt wird.
Beobachtet haben wir allerdings:
- Die starke Asymmetrie zwischen den Regionen, die in der Realität des Verhandlungsprozesses eine einseitige Dominanz der EU-Kommission in fast allen Fragen des Abkommens bedeutete;
- Eine fehlende Reziprozität, die etwa verhinderte, dass das von den zentralamerikanischen Regierungen geforderte Thema zum konkreten Schutz der in Europa mit und ohne legalen Aufenthaltsstatus lebenden zentralamerikanischen Migrantinnen und Migranten an den Rand gedrängt wurde;
- Das Thema Menschenrechte wurde im Laufe des Verhandlungsprozesses, speziell nach dem Staatsstreich in Honduras und der damit verbundenen schwerwiegenden Verschlechterung der Menschenrechtslage, an den Rand gedrängt. Nach nur wenigen Monaten Pause wurden die Verhandlungen wieder aufgenommen.
- Eine extrem begrenzte Partizipation der parlamentarischen und zivilgesellschaftlichen Akteure am Verhandlungsprozess selbst, verstärkt durch eine minimale Transparenz der Unterhändler beider Regionen.
Aufgrund der genannten Bedenken sind wir der Überzeugung, dass das Assoziierungsabkommen zwischen der EU und Zentralamerika einer grundlegenden und insbesondere menschenrechtlichen Überarbeitung bedarf. Der Bundesrat sollte ihm in der Form, wie es nun vorliegt, nicht zustimmen.