Brot für die Welt appelliert zusammen mit einem breiten Bündnis aus kirchlichen Hilfswerken, Menschenrechts-, Entwicklungs- und Umweltorganisationen in einem Offenen Brief an die Mitglieder des Deutschen Bundesrats dem Gesetz zum Handelsabkommen mit Kolumbien und Peru nicht zuzustimmen. Das Freihandelsabkommen zwischen der EU, Peru und Kolumbien verschärfe die menschenrechtlichen, sozialen und ökologischen Probleme und drohe, die politischen Handlungsspielräume der Parlamente auf nationaler und auf Länderebene zu beschneiden.
Im Deutschen Bundesrat wird im April das Gesetz zu dem Handelsübereinkommen vom 26. Juni 2012 zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits sowie Kolumbien und Peru andererseits zur Zustimmung gemäß Artikel 84, Absatz 1, Satz 5 und 6 GG vorgelegt. Die unterzeichnenden Organisationen haben Grund zur Sorge, dass dieses Abkommen die menschenrechtlichen, sozialen und ökologischen Probleme in Peru und Kolumbien verschärfen wird. Diese Einschätzung wurde von den Oppositionsparteien im Bundestag geteilt. Die Fraktionen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Die Linke stimmten am 21. März 2013 geschlossen gegen den derzeitigen Entwurf des Freihandelsabkommens mit der Begründung, dass in dessen Nachhaltigkeitskapitel verbindliche Überprüfungs-, Sanktions- und Streitbeilegungsmechanismen fehlen.
Im internen bewaffneten Konflikt in Kolumbien wurden bislang etwa vier Millionen Menschen vertrieben, mehr als 16.000 Personen gelten als zwangsweise Verschwundene. Allein 2011 wurden 34 GewerkschafterInnen ermordet. Das Handelsabkommen enthält keine verbindlichen und effektiven Regelungen für die Einhaltung der Menschenrechte. Es wird zudem jene Sektoren der Wirtschaft in Kolumbien stärken, die für die massiven Vertreibungen mitverantwortlich sind, wie etwa Bergbau, Agrobusiness und große Infrastrukturprojekte. Es besteht dadurch eine akute Gefahr, dass die Umsetzung des Abkommens durch die Liberalisierung dieser Sektoren selbst zur Verletzung von Menschenrechten beitragen wird.
Ferner sieht das Abkommen keine verbindlichen Umweltstandards vor, die sicherstellen könnten, dass Rohstoffförderung, Ausbreitung von Ölpalm-Plantagen und großflächige Landakquisitionen nicht die Lebensgrundlagen der lokalen Bevölkerung zerstören. 2012 wurden allein in Peru 146 Umweltkonflikte gezählt und die Regierung geht in den betroffenen Regionen mit Polizei und Militär gegen Menschen vor, die sich gegen Landraub und die Vergiftung des Wassers wehren. Bei diesen Konflikten starben im letzten Jahr 16 Menschen.
Artikel 25 des Abkommens verbietet Kolumbien und Peru, Ausfuhrzölle oder sonstige Ausfuhrbeschränkungen beizubehalten oder neue einzuführen. Damit soll das Abkommen europäischen Unternehmen freien Zugang zu den Rohstoffen dieser Länder verschaffen. Doch gerade eine Regulierung und Besteuerung von Exporten kann, im Zusammenspiel mit einer verantwortungsvollen Bergbaupolitik, ein wichtiges Instrument zur ökologischen und sozialen Reform des Rohstoffsektors sein und dazu beitragen, dass größere Teile der Bevölkerung vom Rohstoffreichtum profitieren. Das Abkommen hingegen nimmt in Kauf, dass die menschenrechtlichen, sozialen und ökologischen Probleme durch den Rohstoffabbau weiter zunehmen und die dadurch ausgelösten Konflikte sich verschärfen. Hauptursache dieser Konflikte sind Bergbau und Ölförderung, zum Großteil für den Export.
Internationale Bergbaukonzerne sind nachweislich als Verursacher an Umweltschäden und Verstößen gegen die ILO-Kernarbeitsnormen beteiligt. In Anbetracht der andauernden Landkonflikte und der häufig ungeklärten Landtitel in Peru und Kolumbien besteht ein hohes Risiko, dass vermehrte Investitionen in Bergbauprojekte zu weiteren Menschenrechtsverletzungen führen. Der rücksichtslose Abbau der Rohstoffe in den Ländern forciert Vertreibung und Konflikte. Zudem geht diese Form des Rohstoffabbaus mit Verletzungen der von Kolumbien und Peru ratifizierten ILOKonvention 169 einher, die das Recht auf freie, vorherige und informierte Zustimmung der indigenen Bevölkerung verbindlich festschreibt.
Eine Gefährdung des Menschenrechts auf Nahrung entsteht, weil sich Peru und Kolumbien in dem Abkommen dazu verpflichten, die Einfuhrzölle auf 90 Prozent der landwirtschaftlichen und anderen Güter abzuschaffen. Der ungeschützten Konkurrenz durch zum Teil hoch subventionierte Produkte aus der EU, wie etwa Milchpulver, sind viele kleinbäuerliche Betriebe in diesen Ländern nicht gewachsen. Erleichterte und subventionierte Einfuhren aus der EU können daher zu Einkommensverlusten bis hin zur Existenzgefährdung bei kolumbianischen und peruanischen Landwirten führen, von denen viele ohnehin bereits von Hunger und Armut getroffen oder bedroht sind.
Angesichts der erheblichen ökonomischen Asymmetrien zwischen den Handelspartnern droht eine weitgehende Liberalisierung eine Entwicklung der beiden lateinamerikanischen Staaten über die Rolle als rein rohstoffexportierende Länder hinaus zu verhindern. Um sich aus der Exportabhängigkeit zu befreien, brauchen Peru und Kolumbien politische Handlungsspielräume zur Regulierung ihrer Wirtschaft – doch eben diese Spielräume schränkt das geplante Abkommen ein.
Die im Handelsabkommen vereinbarten Liberalisierungen der Finanzmärkte erschweren die internationalen Bemühungen zur Regulierung des Finanzsektors und erleichtern Geldwäsche und Steuerhinterziehung. So könnten Finanzakteure riskante Geschäfte eingehen und anbieten, ohne ausreichend von einer der Vertragsparteien kontrolliert zu sein. Das Abkommen schützt auch nur unzureichend das Recht der Vertragsparteien, Kapitalflüsse zu überwachen. In seiner derzeitigen Form konterkariert das Freihandelsabkommen zudem die aktuellen Pläne zu einer EU-Finanzmarktreform zur Eindämmung der Krise. Während auf EU-Ebene versucht wird, Kapitalverkehrskontrollen, eine gemeinsame Bankenaufsicht sowie mehr Transparenz im Finanzsektor durchzusetzen, sind solche Mechanismen im Freihandelsabkommen nicht vorgesehen.
Im Bereich der geistigen Eigentumsrechte werden Kolumbien und Peru in Artikel 232 verpflichtet, die Standards des Sortenschutzabkommens UPOV in der Version von 1991 umzusetzen. Kolumbien und Peru sind beide UPOV-Mitglieder. Bisher hat jedoch nur Peru den UPOV 91 Act ratifiziert. Kolumbien handelt weiter nach dem UPOV 78 Act, der wesentlich mehr Freiheiten für den Austausch und den Weiterverkauf von Saatgut beinhaltet. Mitglieder, die den Act von 1991 ratifiziert haben, müssen Gesetze
erlassen, welche den Austausch und Weiterverkauf kommerziellen Saatguts während der 20-jährigen Geltungsdauer des Sortenschutzes verbieten und auch die Wiederaussaat nur gegen Entrichtung von Nachbaugebühren erlauben. Dies zerstört die traditionelle bäuerliche Praxis des freien Austauschs von Saatgut, erschwert den Zugang von Bauerngemeinschaften zu Saatgut, erhöht ihre landwirtschaftlichen Produktionskosten und gefährdet damit ihr Menschenrecht auf Nahrung. Kolumbien darf daher nicht verpflichtet werden, seinen Status von UPOV 78 auf UPOV 91 zu verändern.
Zusätzlich wird durch sogenannte Datenexklusivität die Marktzulassung von Generika verhindert oder zumindest deutlich verzögert. Es kann dazu führen, dass die noch verbliebenen und in den WTO-Abkommen garantierten Schutzklauseln ausgehebelt werden, die es ermöglichen, Patente außer Kraft zu setzen und qualitativ gleichwertige aber wesentlich kostengünstigere Kopien von Originalprodukten zu beziehen. Die kostensenkende Wirkung der Konkurrenz durch Generika ist gerade im Hinblick auf HIV/Aids-Präparate häufig lebensnotwendig. Vor allem dank Generika ist es möglich, dass heute rund acht Millionen Menschen lebensrettende HIV-Medikamente erhalten.
Wir haben große Zweifel, dass ein Abkommen, das in seinen Kernbestandteilen so viele Probleme birgt, durch unverbindliche Nebenerklärungen verbessert werden kann. So soll beispielsweise eine vom EU-Parlament im Juni 2012 verabschiedete Resolution eine Überprüfung sozialer, arbeitsrechtlicher und Umwelt-Standards sowie der Menschenrechtssituation in Kolumbien und Peru gewährleisten. Beide Länder hatten dem Europäischen Parlament dazu einen Aktionsplan vorgelegt. Doch sowohl die kolumbianische Gewerkschaftsakademie (ENS) als auch zivilgesellschaftliche Organisationen kritisieren die mangelnde Verbindlichkeit dieser Aktionspläne. Das wesentliche Defizit dieser Resolution besteht darin, dass sie am Fehlen von Sanktionsmöglichkeiten bei Verstößen gegen Menschenrechts-, Sozial- und Umweltklauseln im Abkommen selbst nichts ändert.
Wir bitten Sie daher:
- Stimmen Sie dem Gesetzentwurf der Bundesregierung in seiner derzeitigen Fassung und unter diesen Umständen nicht zu, um die dramatische Situation in Kolumbien und Peru nicht zu verschärfen.
- Setzen Sie sich dafür ein, dass Menschenrechte, ILO-Kernarbeitsnormen, Umweltstandards und die Mitwirkungsrechte der Bevölkerung oberste Priorität haben und umgesetzt werden.
- Setzen Sie sich dafür ein, dass künftig vor Beginn von Verhandlungen und vor einer Ratifizierung von Handelsabkommen der EU umfassende menschenrechtliche Folgeabschätzungen vorgenommen werden.
- Setzen Sie sich für eine faire und gerechte Handelspolitik mit Peru und Kolumbien ein, die der besonderen Situation dieser Länder Rechnung trägt und ihnen die notwendigen politischen Handlungsspielräume sichert.