Seit den 1970er Jahren unterstützt Brot für die Welt – Evangelischer Entwicklungsdienst Partner im Tschad. Im Vordergrund stand die Herausforderung, in der von Trockenheit gekennzeichneten Sahelregion, die Ernährung insbesondere für die armen Bevölkerungsgruppen langfristig zu sichern. Ende der 1990er Jahre wurden die Partner mit einer völlig neuen Herausforderung konfrontiert: Dem Beginn der Erdölproduktion. Dieser erwies sich wie so oft, nicht als Segen sondern als existentielle Bedrohung für die Armen.
Heute müssen wir feststellen: Die negativen sozialen Auswirkungen wurden von den Unternehmen, der Verwaltung und den verantwortlichen Politikern–einschließlich der Weltbank–nur unzureichend in der Planung und Durchführung berücksichtigt. Das Erdölprojekt hat das Produktionssystem und die Lebenssituation der betroffenen Menschen erheblich beeinträchtigt. Ein würdevolles Leben auf der Grundlage von landwirtschaftlicher Produktion ist heute fast unmöglich geworden. Der Zwang, sich Eingriffen in Eigentums- und Nutzungsrechten anpassen zu müssen, hatte zur Folge, dass soziale Beziehungen beginnen, sich aufzulösen. Verhaltensweisen verändern sich. Neue Konflikte entstehen und die Fähigkeit, mit diesen Konflikten umzugehen, schwindet mit dem Wandel bewährter Sozialsysteme. Die Veränderungen sind viel tiefgreifender, als es sich die Menschen in der Förderregion–aber auch die internationale Zivilgesellschaft–vorstellen konnten. Der Traum nach wirtschaftlicher Weiterentwicklung, dem Ausbau von Bildung und Gesundheitsfürsorge erwies sich als trügerische Konstruktion. Er wird von den Ölkonzernen und der politischen Elite gepflegt und weiter konstruiert. Für die Menschen im Erdölgebiet jedoch ist aus dem Traum ein Albtraum geworden. Es gibt wenig Literatur, die sich mit der Lebenssituation im Erdölgebiet beschäftigt. In der Fachliteratur finden die grassierende Korruption und die ineffektive Verwendung der Erdöleinnahmen im Tschad weit mehr Beachtung, als die Auswirkungen der Ölförderung auf das reale Leben der Menschen. Leider gibt es auch nach wie vor nur wenige Publikationen von tschadischen Autoren. Das mögen Gründe dafür sein, dass die dramatische Situation im Erdölgebiet in der Öffentlichkeit kaum bekannt ist und wenig diskutiert wird.
Die Doktorarbeit von Dr. Remadji Hoinathy bearbeitet Themen und Problemfelder, denen sich Bevölkerung, Zivilgesellschaft vor Ort und internationale, verantwortliche Politiker und die Betreiber der Erdölförderung stellen müssen. Brot für die Welt–Evangelischer Entwicklungsdienst wünscht dieser Publikation darum eine weite Verbreitung und hofft, dass die Erkenntnisse die Arbeit der Zivilgesellschaft qualifizieren und auch Eingang finden in die Planungsprozesse von neuen Erdölprojekten, die überall im Tschad und den Nachbarländern entstehen. Die vorliegende Schrift fasst Teile der Doktorarbeit zusammen. Diese ist in französischer Sprache bei Karthala erhältlich.