Anbei noch ein Blogeintrag von Lydia, der uns am Wochenende erreichte: Bei uns Mennoniten gibt es in der Regel keine Bischöfe oder ähnliche Kirchenämter – wobei ich auch eines Besseren belehrt wurde, nachdem ich vor einigen Tagen einen mennonitischen Bischof kennengelernt habe. Worauf ich hinaus will, ist, dass ich normalerweise wenig Kontakt zu kirchlichen Amtsträgern habe. In einem Gremium wie dem ÖRK ist das hingegen bei einem Großteil der Delegierten der Fall. Mit jugendlicher Frische, mancher mag vielleicht sagen, jugendlicher Frechheit, bahne ich mir meinen Weg durch die Versammlung und nutze so oft es geht die Gelegenheit, mit Menschen ins Gespräch zu kommen, sie nach ihrer Herkunft zu fragen und warum sie hier sind.
Das hat schon bei meiner Reise nach Busan begonnen. Am Flughafen in Dubai war mir zunächst aus der Ferne ein Mann aufgefallen und ich habe mich über das bodenlange schwarze Gewand, die eigenartige Mütze mit rot-weißen Punkten und den langen Bart gewundert. Nach kurzem Grübeln darüber, mit welcher Religion diese Kleidung zusammenhängen könnte, habe ich bemerkt, dass die Punkte gar keine Punkte, sondern Kreuze waren, und der Mann noch dazu eine sehr auffällige Kreuzkette um den Hals trug. Der wollte sicher auch nach Busan. So kamen wir ins Gespräch. Ich stellte mich als Lydia vor, er sich als George. Er hatte sicher irgendwo erwähnt, dass er Bischof der syrisch-orthodoxen Kirche in Indien sei (das ist meine Abkürzung seines wirklich sehr langen offiziellen Titels), aber das war mir entfallen. Nachdem wir uns schon eine gute Weile unterhalten hatten, unter anderem übers Reisen und unsere Lieblingsmusik, kam mir die Tatsache, dass er ein Bischof ist, wieder in den Sinn. Also habe ich ihn gefragt, wie ich ihn denn eigentlich ansprechen müsste. Meinen Notizblock hatte ich schon parat, denn ich würde jetzt fürs Leben lernen, wie ich einen orthodoxen Bischof korrekt anzusprechen hatte. “Also da gäbe es Euer Gnaden, Eure Heiligkeit, Eure Eminenz....”, der Bischof stockte, “ach, Lydia, für dich bin ich bitte einfach nur George.” Tja, von der Unterrichtsstunde in Verhaltensformen hatte ich zwar nichts mitbekommen, und sich wusste immer noch nicht, wie ich einen Bischof korrekt zu addressieren habe, aber ich hatte einen Form gefunden, wie ich Leuten begegnen konnte.
Auf der Vollversammlung selbst hatte natürlich jeder ein Namenschild umhängen, auf dem die diversen Titel abzulesen sind. "Prof.", "Dr.", "Rev.", "…." - die Liste lässt sich fortführen. Trotzdem habe ich mir angewöhnt, die Leute nach ihrem Namen zu fragen, anstatt ihn abzulesen. Das führt dann auch zu Situationen wie der Folgenden. Ich hatte mich eine Weile mit Emmanuel unterhalten, bis eine Bekannte auf uns zu kam, ihn mit “Father (Vater)” grüßte und sich am Gespräch beteiligte. Erst dann las ich sein Namenssschild und fand zu meinem Erstaunen bei all den Titeln und Bezeichnungen nicht einmal seinen Namen Emmanuel. Es war eine nette Begegnung ohne Barriere durch irgendwelche Titel. Das war für mich ein spannender Teil dieser Versammlung.