Mit einem Kompromiss zur umstrittenen Frage der Ernährungssicherheit hat die WTO in Bali ein multilaterales Freihandelsabkommen beschlossen. „Erstmals ist es uns gelungen, die Erwartungen zu erfüllen und einen Vertrag unter Dach und Fach zu bringen,“ sagte WTO-Chef Roberto Azevêdo zum Abschluss der 9. Ministerkonferenz am Samstag Vormittag (Ortszeit).
Damit ist das sogenannte Bali-Paket verabschiedet. Es umfasst drei Teilaspekte der 2001 in Doha gestarteten Verhandlungsrunde: Handelserleichterungen durch vereinfachte Zollrichtlinien, Veränderung der Subventionsrichtlinien im Agrarbereich und Sonderregelungen für die ärmsten Staaten. Die Umsetzung des Abkommens bedeute für den Welthandel eine Kostenersparnis in Höhe von mehreren hundert Milliarden US-Dollar jährlich, sagte Azevêdo.
Es ist das erste umfassende multilaterale Freihandelsabkommen, das seit der WTO-Gründung 1995 verabschiedet wurde. Die Delegationen aus 159 Mitgliedstaaten wendeten im indonesischen Bali die Gefahr ab, dass die Welthandelsorganisation als Regulierungsinstanz des Welthandels in Frage gestellt wird.
Kurz vor Ende der Konferenz bedrohte ein Veto von Kuba den zuvor ausgehandelten Kompromiss. Unterstützt von Bolivien, Nicaragua und Venezuela monierte die kubanische Delegation am Freitag Abend, dass ein Passus zum US-Handelsembargo gegen die Karibikinsel aus dem Kompromisstext gestrichen worden war. Erst eine Verlängerung der Konferenz bis Samstag Mittag ermöglichte eine Einigung. Aus Delegationskreisen verlautete, dass die Verhandlungsführung des Brasilianers Azevêdo eine herausragende Rolle bei der Konsensfindung gespielt hat.
Der Kompromiss in der bis zuletzt umstrittenen Frage der Ernährungssicherheit sieht vor, dass Indien eine Ausnahmeregelung für Agrarsubventionen eingeräumt wird. Indien beharrt darauf, dass sein Programm zur Ernährungssicherheit mit staatlich festgelegten Preisen für Käufe und Verkäufe nicht unter das bisher gültige Subventionsverbot der WTO fallen dürfe. Industriestaaten, aber auch einige Schwellenländer sehen darin marktverzerrende Subventionen, die ihre Exporte beeinträchtigen und auch den inländischen Markt betreffen könnten.
Indien setzte durch, dass es keine zeitliche Beschränkung für sein Programm zur Hungerbekämpfung geben darf. Zwar sieht die Einigung lediglich eine Interimslösung vor, die bis zur 11. WTO-Konferenz in vier Jahren in einen neuen Regelvertrag münden soll. Sollte ein Konsens darüber nicht erreicht werden, hätte die Interimslösung aber weiterhin bestand.
Zugleich setzt die Einigung solchen Programmen zur Ernährungssicherheit enge Grenzen. So darf Indien sein Programm, mit dem Hunderte Millionen Menschen insbesondere in Krisenzeiten mit günstigen Grundnahrungsmitteln versorgt werden sollen, nicht auf eine breitere Palette von Lebensmitteln ausweiten. Außerdem gilt die Ausnahmeregel nur für schon bestehende Programme. Damit verhindert die WTO, dass weitere Länder ähnliche Programme zur Hungerbekämpfung mit subventionierten Nahrungsmitteln auflegen. Zudem wird das indische Programm strengen Kontrollen unterworfen, um zu verhindern, dass subventionierte Produkte in Nachbarstaaten zu Billigpreisen verkauft werden.
Biraj Patnaik von dem indischen NGO-Netzwerk „Right to Food Campain“ bezeichnete den Kompromiss als unzureichend. „Bei dem Tauziehen ist die Ernährungssicherheit auf der Strecke geblieben.“ Zwar habe Indien durchgesetzt, dass es sein Programm zur Hungerbekämpfung fortsetzen darf. „Dass die WTO jedoch verbietet, dass weitere Länder ebenfalls durch staatliche Maßnahmen gegen Hunger und Unterernährung vorgehen, ist eine Bankrotterklärung des Freihandels,“ kritisierte Patnaik.
Die Einigung auf das Bali-Paket wurde insbesondere von den Industriestaaten und Unternehmensverbänden begrüßt. Sie versprechen sich durch den Abbau von kostenintensiven bürokratischen Handelshindernissen neuen Schwung für den globalen Handel. Vertreter der Zivilgesellschaft kritisierten, das die ebenfalls beschlossenen Finanz-und Entwicklungshilfen für die ärmsten LDC-Staaten weder verbindlich noch ausreichend seien.
Azevêdo betonte, dass der Bali-Konsens erst der Anfang sei. In den kommenden Jahren werde die WTO alles dafür tun, die verbleibenden Themen der Doha-Runde in multilateralen Abkommen zu fixieren. Dabei geht es unter anderem um Zollsenkungen für Industrie- und Agrarprodukte sowie den Handel mit Dienstleistungen. Angesichts dieser Agenda sei das Bali-Paket nur ein kleiner Schritt hin zu multilateralem Freihandel, erklärte Tobias Reichert von der NGO Germanwatch. „Aus finanzieller Sicht umfassen die hier vereinbarten drei Teilaspekte weniger als fünf Prozent der Summen, die in der Doha-Runde zur Debatte stehen,“ so Reichert.