Ein Beitrag zur Ebola-Krise in Sierra Leone von Mohamed S. Conteh, Direktor von MADAM, einer langjährigen Partnerorganisation von Brot für die Welt.
Das Klima in Sierra Leone ist geprägt von Angst und Verzweiflung. Eltern und andere Familienangehörige sind am Boden zerstört angesichts der Art und Weise, wie mit den Verstorbenen umgegangen wird.
Doch zunächst eine Analyse zum Ausbruch der Krankheit („Ebola Virus Disease“, EVD) in Sierra Leone, um besser die Situation in unserem Land verstehen zu können: Seit dem Ausbruch von Ebola im Mai sind landesweit mindestens 355 Menschen daran gestorben. Das Gesundheitsministerium spricht von 955 Fällen der Ansteckung (Stand 26. August). Für unsere Distrikte Bombali und Tonkolili ist die Rede von 20 und 13 Ebola-Toten.
Täglich weitere Tote
Die Todeszahlen steigen täglich. Es stellen sich mehrere Probleme: Die Menschen weigern sich, einschlägige Symptome den Gesundheitsbehörden zu melden und Sterbeurkunden ausstellen zu lassen. Sie weigern sich, alltägliche Umgangsformen wie Händeschütteln erst einmal bleiben zu lassen. Die Gesundheitseinrichtungen sind viel zu schlecht ausgestattet. Es fehlt das Wissen, um über Ebola und die Ursachen der schnellen Ausbreitung der Krankheit in Sierra Leone zu informieren.
Eine Rolle spielt auch die Mystifizierung der Krankheit und die Stigmatisierung derer, die sie überlebt haben, ihrer Verwandten und derjenigen, die mit ihnen zusammen unter Quarantäne standen. Diese Stigmatisierung hat den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft untergraben. Und diese Stigmatisierung ist eine große Herausforderung für friedensbildende Maßnahmen in der Zeit nach Ebola.
Auch die Wirtschaft leidet
Hinzu kommt, dass Ebola täglich größere Ausmaße annimmt. Unsere Wirtschaft ist empfindlich; sie ist immer noch im Aufbau, und neue Industriezweige werden gerade erst erschlossen. Zusätzlich leidet die Wirtschaft unter der internationalen Isolierung und den innerstaatlichen Reisebeschränkungen.
Vor allem die arme Bevölkerung auf dem Land trifft es hart: Die Menschen dort können die von ihnen erzeugten Waren nicht mehr auf den Märkten anbieten. Aber das Verkaufen auf dem Markt sichert ihnen das Überleben. Händlerinnen und Händler, die Obst und Gemüse anbieten, können zum Beispiel nicht mehr vom Distrikt Koinadugu in eine andere Region reisen, um die verderblichen Waren zu verkaufen. Die Folge: Preise steigen und Lebensmittel werden teils knapp. Die Idee, einzelne Distrikte und Städte unter Quarantäne zu stellen, verstärkt das Leiden der Menschen. Aber wahrscheinlich ist das die bestmögliche Strategie für die gesamte Nation.
Der Alltag gerät aus dem Gleichgewicht
Die Distrikte Bombali und Tonkolili stehen im Mittelpunkt: Die Zeit vergeht und die Angst der Menschen wächst. Die Folge: Das alltägliche Leben ändert sich. Das Verbot, Einrichtungen wie Clubs oder Kinos aufzusuchen, sorgt für Langeweile und verschlimmert die Lage.
Menschen, von denen es heißt, dass sie zu mutmaßlich oder tatsächlich Infizierten Kontakt haben, müssen rehabilitiert werden. Denn „Ebola“ bedeutet Stigmatisierung. Angst und Stigma aber sind wesentliche Faktoren, die zur Verbreitung der Krankheit beitragen, weil sie die Infizierten davon abhalten, sich behandeln zu lassen.
Was bisher getan werden konnte
Seit dem Ausbruch von Ebola ist MADAM Mitglied einer „Eingreiftruppe“, die Strategien zur Eindämmung der Krankheit entwickelt. MADAM fordert in den eigenen Gebäuden, dass sich Mitarbeiter und Gäste die Hände waschen. MADAM hat mit Unterstützung von „Civil Peace Service Sierra Leone“ Plastikeimer, Chlor, Seife und Papierhandtücher für die Gemeinden der Distrikte Bombali und Tonkolili zur Verfügung gestellt. Außerdem organisieren wir Radio- und Fernsehbeiträge, um über die Krankheit zu informieren.
Was kann noch getan werden?
Wieder einmal durchleben die Menschen in Sierra Leone Angst und Traumata. Im Moment ist die Situation so, dass Menschen teilweise keine Kliniken oder andere Gesundheitseinrichtungen aufsuchen, weil sie befürchten, dass sie als Ebola-infiziert „nach oben“ gemeldet werden. Die Infektion führt zu Ausgrenzung. Ebola ist wie von einem Mythos umgeben. Die Folge ist, dass Familienmitglieder von Ebola-Opfern wie Aussätzige behandelt werden. Oft wurden bei einzelnen Ebola-Fällen ganze Familien – einschließlich der Kinder – unter Quarantäne gestellt. Unsere einst solidarische Gesellschaft ist zerrüttet. Es sieht fast so aus, als seien die Menschen stärker traumatisiert als während des Krieges. Man geht sogar davon aus, dass es mehr Tote wegen anderer Krankheiten als wegen Ebola gibt – weil die Menschen aus Angst keine Gesundheitseinrichtungen mehr aufsuchen.
MADAM sieht Potenzial für diese Schritte:
- Aufklärung über die offiziellen Verordnungen zu Ebola.
- Einrichtung einer lokalen „Eingreiftruppe“, um zu erheben, wie sich die Menschen auf dem Land in und zwischen den Dörfern bewegen.
- Bereitstellung von Fieberthermometern.
- Kampagnen zur Entmystifizierung von Ebola.
- Unterstützung von Familien nach Ablauf der 21-tägigen Quarantäne.
- Plakate, Handezettel und Radio-Spots mit Botschaften zum Abbau des Stigmas.
Das ist die derzeitige Lage in unserem Land. Deshalb ist es Zeit zu handeln. Da täglich mehr Todesfälle zu beklagen sind, muss sich etwas tun. In unserem Land ist die Antwort auf Ebola immer noch nicht zufriedenstellend. Das ist der Grund für die rasche Ausbreitung. Die mangelhafte Ausstattung und die Angst des Gesundheitspersonals vor Ansteckung verhindert die Zusammenarbeit – vor allem in Gegenden, in denen die staatliche Unterstützung ohnehin minimal ist. Man kann sich gut vorstellen, dass in Gegenden, in denen Wissen und Ausrüstung sowieso nicht vorhanden sind, der kleinste Fehler schreckliche Konsequenzen haben kann.
Übersetzung: Ebbe Kögel und Renate Of, Reddaktion: Niko Wald