Zurzeit wird (fast) jeden Tag über die Verhandlungen der geplanten Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft (Transatlantic Trade and Investment Partnership – TTIP) in den Medien und der Öffentlichkeit kontrovers diskutiert. Selten war ein EU-Handelskommissar so präsent in den deutschen Medien. Wer erinnert sich noch an die Namen früherer Handelskommissare? Karl de Gucht ist hingegen nicht nur dem interessierten Zeitgenossen ein Begriff. Handelspolitik steht wieder oben auf der politischen Agenda!
Lediglich in den Anfangsjahren der globalisierungskritischen Bewegung, 1998 - 2003, standen Handelsabkommen und deren gesellschaftliche Auswirkungen so sehr im Fokus der politischen Arbeit und Diskussionen. Nach der (erfolgreichen) Kampagne gegen das Multilaterale Investitionsabkommen, MAI, (1998), entlud sich der Protest an den Auswirkungen der Globalisierung im Rahmen der WTO-Ministertagung in Seattle (1999). Die Proteste gegen den G-8-Gipfel in Genua (2001) und die WTO-Ministertagung in Cancún (2003) bildeten die weiteren Höhepunkte. Nach dem Scheitern der WTO-Verhandlungen im mexikanischen Cancún wurde es ruhiger um die Handelspolitik. Spätestens nach dem Zusammenbruch der US-amerikanischen Investmentbank Lehmann Brothers, stand ein anderes Thema, und die hinter ihn stehenden Akteure, im Vordergrund des öffentlichen Interesses: Finanzmärkte und (Investment)Banken.
Umwelt- und entwicklungspolitische Organisationen beschäftigten sich unterdessen weiterhin mit Handelspolitik, allerdings weniger mit dem multilateralen Handelspolitik als vielmehr mit der europäischen Handels- und Investitionspolitik und deren Auswirkungen auf die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie die Umwelt in den Vertragspartnerstaaten des globalen Südens; insbesondere nachdem die EU im Oktober 2006 ihre neue handelspolitische Strategie „Ein wettbewerbsfähiges Europa in einer globalen Welt“ vorstellte. So wichtig und richtig die Auseinandersetzung mit der neoliberal ausgerichteten europäischen Freihandelspolitik war (ohne die während dieser Zeit gewonnene Expertise wäre eine so schnelle und fundierte Analyse von TTIP nicht möglich gewesen!), in der breiten Öffentlichkeit stieß sie nur auf ein begrenztes Interesse. Solange sich die Kritik an der Brüsseler Handelspolitik ‚lediglich‘ an den Auswirkungen auf die Entwicklungs- und Schwellenländern entzündete war das Thema nicht kampagnenfähig. TTIP hat dies verändert! Zum ersten Mal ahnen die Menschen in Deutschland und den anderen EU-Mitgliedstaaten, welche umfassenden Auswirkungen Handels- und Investitionsregelungen auf die Gesellschaften eines Landes und ihre Bürger Bürgerinnen haben kann.
Warum wir uns als entwicklungspolitische Organisation mit einem transatlantischen Abkommen beschäftigten hat kein geringerer als der EU-Handelskommissar Karl de Gucht in seinem Interview mit der Süddeutschen Zeitung auf den Punkt gebracht: „Der große Kampf im Welthandel der Zukunft wird sich um Normen Standards, Staatshilfen drehen, nicht mehr um Zölle. Wir Europäer müssen globale die Standards setzen, damit es nicht andere für uns tun.“ (SZ 17.01.14) Mit anderen Worten: Die Errichtung einer transatlantischen Freihandelszone hat das Ziel ein neues handelspolitisches globales Paradigma zu schaffen, um sich dadurch Vorteile beim weltweiten Wettlauf um Wettbewerbsvorteile und Marktanteile zu verschaffen. Damit will die EU wieder Boden gegenüber China, Brasilin, Indien und den anderen aufstrebenden Schwellenländern gut machen. Es ist zu befürchten, dass weniger wettbewerbsfähig Staaten, allen voran die LLDC dabei ins Hintertreffen geraten.
Ein Blick auf den Dienstleistungsbereich zeigt, ein solches Unterfangen kann grundsätzlich erfolgsversprechend sein. So könnten EU und USA eine Einigung im Dienstleistungssektor im Rahmen des bilateralen TTIP nutzen, um dann diese harmonisierten Liberalisierungs- und Deregulierungsregelungen zunächst im Rahmen des plurilateralen Dienstleistungsabkommen Trade in Services Agreement, TiSA (, wo die EU und USA neben ca. weiteren 50 Staaten vertreten sind) durchzusetzen. Anschließend wäre es ihnen möglich Nicht-TiSA-Mitgliedstaaten dazu zu drängen diesem plurilateralen Dienstleistungsabkommen beizutreten, in dem sie die Gewährung von Handelspräferenzen und andere Vergünstigungen vom Beitritt abhängig machen. Die Folge: Eine sukzessive Vergrößerung ihres Einflussbereichs im Dienstleistungssektor auf globale Ebene. Dieser Dreierschritt – vom Bilateralismus über den Plurilateralismus zum Multilateralismus – ist in verschiedenen Bereichen denkbar.
In dem angehängten Artikel " Mögliche Folgen des TTIP auf Entwicklungs- und Schwellenländer " skizziere ich u. a. anhand der Bereiche Investitionen und geistige Eigentumsrechte, welche Implikationen das transatlantische Freihandelsabkommen langfristig auf den globalen Süden haben kann. Der Artikel ist einer von mehreren Beiträgen des heute erscheinenden Buches „Die Freihandelsfalle - Transatlantische Industriepolitik ohne Bürgerbeteiligung“. 18 Autorinnen und Autoren unterschiedlicher Organisationen setzen sich hierin kritisch mit dem TTIP auseinander.