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Humanität als Auftrag

Von Prof. Dr. h. c. Cornelia Füllkrug-Weitzel am

Vor 100 Jahren entfesselte der Erste Weltkrieg global eine nicht vorstellbare und unbeschränkte Gewalt. Er zerstörte weltweit wahllos das Leben von Zivilisten und Soldaten und beraubte Millionen von Menschen ihrer Lebensgrundlagen und ihrer Würde. Er offenbarte die Schonungslosigkeit und Schrecken neuer Waffensysteme und Kriegsführung - bis hin zum Einsatz chemischer Waffen und die Missachtung jedweder Humanität.

Genfer Konvention

Ziemlich genau 50 Jahre zuvor – ebenfalls im August – war mit der Genfer Konvention der erste Schritt zum humanitären Völkerrecht getan worden. Ein Schlachtbericht über das gnadenlose Schicksal von entwaffneten Soldaten hatte die Öffentlichkeit aufgeschreckt. Zwar wurde daraufhin nicht das ‚ius ad bellum‘,das Recht zum Krieg ,infrage gestellt. Aber in Erwartung neuer Kriegsmethoden und angesichts der geplanten Einführung der allgemeinen Wehrpflicht in einigen Ländern wurde ein ‚ius in bello‘ , ein Recht im Krieg, eingeführt: wenigstens kampfunfähigen verletzten und gefangenen Soldaten sollten human behandelt werden. Ähnliche Ziele verfolgte die erste Haager Friedenskonferenz 1899.

Auf den Verlauf des Ersten Weltkrieges nahmen diese Bemühungen einiger Regierungen keinen Einfluss. Aber als beide Stränge des humanitären Völkerrechts im Laufe des vergangenen Jahrhunderts vom IKRK, vom Völkerbund und von der UNO miteinander weiter entwickelt wurden, waren das Gewaltausmaß des Ersten Weltkrieges und erst recht des Zweiten Weltkrieges Anlass die Regeln weiter zu entwickeln. Die neuen Kriegserfahrungen und Waffenentwicklungen führten zur Ausdehnung des Geltungsbereichs des humanitären Völkerrechts auf “den Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten“ (1949) und zur Infragestellung eines uneingeschränkten ‚ius ad bellum‘. Die UN-Charta von 1945 stellte ferner das ‚ius ad bellum‘ infrage und auferlegte einem Kriegseintritt strikte völkerrechtliche Grenzen. Das humanitäre Völkerrecht wurde seitdem erweitert um die Resolution „Respect for Human Rights in Armed Conflicts“ (Dem Respekt gegenüber Menschenrechten in bewaffneten Konflikten 1968), dann die Ausdehnung auf innerstaatliche Gewaltkonflikte, sowie die Schaffung von ständigen Internationalen Institutionen zur Überwachung der Einhaltung und Ahndung von Verstößen (der Internationalen humanitären Ermittlungskommission und dem Internationalen Strafgerichtshof).

Drei Grundprinzipien

Drei Grundprinzipien des humanitären Völkerrechts gelten seit dem für zwischenstaatliche und innerstaatliche Konflikte:

  1. Beschränkungen bei der Wahl der Mittel zur Kriegsführung;
  2. das Verbot von Angriffen gegen die Zivilbevölkerung;
  3. die Verpflichtung zur Unterscheidung zwischen Kombattanten und der Zivilbevölkerung sowie zur weitestmöglichen Verschonung der Zivilbevölkerung.

Wir sind zutiefst erschüttert und beklagen, dass dem zum Trotz und Hohn 150 Jahre nach der Genfer Konvention und 100 Jahre nach Ausbruch des ersten Weltkrieges bewaffnete Konflikte weltweit an Zahl, Schrankenlosigkeit und Brutalität zugenommen haben und das humanitäre Völkerrecht immer offener ignoriert wird. Symptomatisch zeigt die martialische Internet-Selbstpräsentation der Organisation „Islamischer Staat“, die im Irak wütet, und ihr gnadenlose Tötungsbereitschaft gegenüber allen „Abweichlern“ ein dramatisches Vergötzen der Gewalt und eine zynische Verachtung jedweder Humanität und des humanitären Völkerrechts, die sich im letzten Jahrzehnt breit gemacht hat.

Nicht nur dadurch sind hundert Jahre nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges Humanität und humanitäre Hilfe gegenwärtig auf vielfache Weise tiefgreifend gefährdet – in Syrien, Irak, Gaza, der Zentralafrikanischen Republik, der DR Kongo und und und...: Verwundete und Gefangene werden oft nicht mehr versorgt oder verschont, sondern gefoltert, verstümmelt und öffentlich hingerichtet. Selbstmordattentäter, blind abgeschossene Raketen, das Bombardement von und der Bodenkampf in Städten, aus denen die Zivilbevölkerung kaum entfliehen kann, töten wahllos Zivilisten. Bei ethnischen oder religiösen Sauberungen, bei Vergewaltigungen, Missbrauch von Kindern und Jugendlichen als Kombattanten oder als Schutzschilde, etc. wird das Recht ganzer Bevölkerungsgruppen auf Schutz, auf Würde, auf Leben mit Füßen getreten. Seit dem Zweiten Weltkrieg waren nicht mehr so viele Menschen zur Flucht innerhalb oder außerhalb ihres Landes gezwungen wie jetzt: 51,2 Millionen.

Mehr Gefahren für Helferinnen und Helfer

Zugleich wird der Zugang zu und die Versorgung von Verletzten und zwischen die Fronten geratene, bzw. gezielt angegriffenen Zivilisten für humanitäre Organisationen immer schwieriger. Humanitäres Personal, Einrichtungen humanitärer Organisationen und Hilfsgütertransporte werden selbst immer häufiger angegriffen, entführt und für die Kriegsführung missbraucht.

Auch die aktuelle Debatte über eine mögliche Anschaffung bewaffneter Drohnen durch die Bundeswehr ist Indiz für einen Bedeutungsverlust des humanitären Völkerrechts. Hinrichtungen vermuteter Terroristen und Warlords per Drohne – keineswegs immer so gezielt, wie behauptet - ohne rechtsstaatliche Verfahren gegen sie, militärische Drohneneinsätze in Ländern, denen nicht der Krieg erklärt wurde – auch das sind Brüche des humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte. Die Entwicklung von Distanz-Waffen, die die hunderter Zivilisten (als sog. ‚Kollateralschäden‘) inkauf nehmen, um Leib und Leben der eignen Soldaten (mit bezahltem Kampfauftrag!) zu schonen, ist nachgerade eine zynische Verkehrung des Gedankens des humanitären Völkerrechts, dessen Kern nicht die Schonung der Kämpfer, sondern der Nichtkämpfer ist! Der nachvollziehbare Wunsch, die Verwundung und Tötung der eigenen jungen Generation auszuschließen, sollte konsequent durch NIchtbeteiligung an Kriegen erfüllt werden und nicht auf Kosten des Lebens von Kinder, Frauen, Alte anderer Nationen!

Primat der gewaltlosen Konfliktlösung?

Für Krieg, militärische Kampfmittel und Rüstung werden weltweit wie in Deutschland immense finanzielle Ressourcen eingesetzt. Wir waeren einen erheblichen Schritt weiter im Blick auf den Schutz von Humanität und Völkerrecht, wenn ebenso viele Menschen, Finanzmittel, Kreativität und politische Energie heute für humanitäre Hilfe, Menschenrechte und zivile Konfliktbearbeitung eingesetzt würden.

Gottes Geschenk

100 Jahre nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges sollte die Besinnung auf dessen Schrecken uns innehalten und einen mutigeren Einsatz für die Verteidigung von Humanität und humanitärer Hilfe, Konfliktprävention und zivile Konfliktbearbeitung wagen lassen.

Wir beklagen, dass kein anerkannter Wert mehr ist. Wir fordern Christen und Christinnen als Einzelne, wie Gemeinden und Kirchen auf, sich in Gesellschaft und Politik für eine neue Akzeptanz der Humanität, der Würde und darum Verschonung und Bewahrung des von Gott geschaffenen Lebens und für Barmherzigkeit und Gnade als zentrale Werte stark zu machen. Wir fordern die Politik dazu auf, sich für die Bewahrung und den Schutz der Menschenwürde und die Respektierung der humanitären Prinzipien und Handlungsspielräume für humanitäre Hilfe in allen Konfliktregionen zu engagieren. Das kann nur diskriminierungslos und ungeteilt geschehen – in jedem Konflikt durch jede Seite. Humanität ist ebenso wenig teilbar wie das Völkerrecht. Dazu gehört auch die Ächtung von Waffen, die zur Eskalation von Kriegen und zur weiteren Unterminierung des humanitären Völkerrechts führen.

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