Mein Weckruf wurde auf 2 Uhr morgens in der letzten Nacht gestellt. Laptop und Handy liegen neben dem Kopfkissen, um 2 Uhr morgens deutscher (Sommer-)Zeit werden im japanischen Yokohama die Ergebnisse des 2. Teils des UNO-Klimaberichts vorgestellt, der sich vor allem mit den Auswirkungen des Klimawandels befasst. Zusammen mit Germanwatch wollen wir die Endergebnisse bewerten und in einer gemeinsamen Pressemitteilung vorstellen. Unser Mann vor Ort, Manfred Treber von Germanwatch, wird versuchen uns per Skype in die Pressekonferenz in Yokohama mit einwählen. Um 2.20 Uhr liegt uns dann der finale Bericht vor und wir analysieren im Team von fünf Personen unter Hochdruck die Ergebnisse – und was vor allem in den letzten Stunden aus dem Text rausverhandelt worden war.
Ein Team von 309 Wissenschaftlern, 66 Hauptgutachtern und 436 beitragenden Autoren aus 70 Ländern hat an dem Bericht mitgearbeitet. Er enthält 30 Kapitel, etwa 9.200 wissenschaftliche Publikationen werden zitiert. Innerhalb von drei Begutachtungsrunden wurden mehrere zehntausend Kommentare bearbeitet, die von 1729 Fachgutachtern eingereicht worden sind. Noch nie wurde ein Klimabericht so gut wissenschaftlich unterfüttert an Studien – aber das soll nichts heißen. Die Ergebnisse sind dennoch mager, denn fast alle Zahlen und handfesten oder konkreten Annahmen wurden zum Schluss rausverhandelt – ganz wie bei den UNO-Klimaverhandlungen. Leider ist der UNO-Weltklimarat so vorsichtig geworden wegen den Vorwürfen der letzten Jahren, zu alarmistisch zu sein. Und leider steigt die Erkenntnis, dass auch die Wissenschaft politisiert wird. Die Industriestaaten haben noch in den letzten Tagen von Yokohama dafür gesorgt, dass die Kostenannahmen nur für die Anpassung in den Entwicklungsländern aus dem letzten Text gestrichen werden. Mit Kosten kommen auch Verantwortungen – also lieber weg damit. Beim letzten UNO-Klimabericht hat China alleine dafür gesorgt, dass 900 Seiten gelöscht wurden – so sagte mir ein IPCC-Vertreter aus Bangladesch.
Dennoch lässt sich der Bericht auf einige Probleme konkret ein, aus denen wir dann auch unsere Forderungen ziehen konnten für eine gemeinsame Pressemitteilung mit Germanwatch.
In unserer gemeinsamen Pressemitteilung von Brot für die Welt und Germanwatch werden wir wie folgt zitiert:
Brot für die Welt und Germanwatch fordern die Bundesregierung und die EU auf, aus dem in der Nacht veröffentlichten zweiten Teil des 5. Weltklimaberichts (IPCC-Bericht) zügig die richtigen Schlüsse zu ziehen. Der Bericht zeige klar auf, dass sowohl die Anpassung an die nicht mehr vermeidbaren Folgen des Klimawandels als auch der Kampf gegen einen unkontrollierbaren Klimawandel noch nicht ausreichend aufgenommen wurde. In beiden Bereichen spielen die EU und die Bundesregierung entscheidende Rollen.
"Der neue IPCC-Bericht belegt, dass die ärmsten Menschen durch klimabedingte Risiken direkt betroffen sind und sie nichts haben, was sie dem entgegensetzen könnten", sagt Sabine Minninger, Klimareferentin bei Brot für die Welt. Unmittelbare Folgen seien vor allem die Zerstörung von Lebensgrundlagen sowie Ernteverluste.
"Der Bericht zeigt zudem deutlich, dass international die Ernährungssicherheit wegen des menschgemachten Klimawandels abnehmen wird", sagt Sabine Minninger von Brot für die Welt. "Schon bei einem Grad Erwärmung werden die Erträge von wichtigen Grundnahrungsmitteln wie Weizen, Reis oder Mais in vielen Regionen der Welt zurückgehen. Derzeit steuern wir aber eher auf vier Grad oder mehr zu, wodurch die Risiken für die Ernährungssicherheit und die Wasserversorgung ganz massiv zunehmen."
Indirekte Auswirkungen könnten steigende Lebensmittelpreise und die Gefährdung der Nahrungssicherheit sein. Minninger ergänzt: "Nach dem Bericht kann davon ausgegangen werden, dass sich künftig mehr Klimaflüchtlinge nach dem Verlust der Lebensgrundlagen durch langsame klimabedingte Änderungen oder plötzliche Katastrophen auf den Weg machen müssen. Beim Kampf um knapper werdende wichtige Lebensgrundlagen können sich Bürgerkriege entfachen. Der Klimawandel verschärft die Armut, und nur durch koordinierte Anpassung kann das Schlimmste abgewendet werden."
Ein internationaler Klimafonds soll den Entwicklungsländern zwar bei der Anpassung an den Klimawandel helfen, doch bisher kommen die zugesagten Milliarden nicht zusammen. Während die Langversion des IPCC-Berichts den Bedarf der Entwicklungsländer auf bis zu 109 Milliarden US-Dollar pro Jahr schätzt, kommen aus den Industrienationen keine konkreten Summen. "Die Bundesregierung verweigert selbst die schon zugesagte Unterstützung. Im Haushaltsentwurf ist kein Cent eingestellt, um den lange verhandelten internationalen Klimafonds mit Geld zu füllen, der Entwicklungsländer bei Klimaschutz und Anpassung unterstützen soll", kritisiert Christoph Bals, Politischer Geschäftsführer von Germanwatch. Sabine Minninger ergänzt: "Anders als im Koalitionsvertrag versprochen, ist bisher auch nicht vorgesehen, vom geplanten Aufwuchs der Entwicklungshilfe um zwei Milliarden Euro einen Teil für Klimaschutz und -anpassung bereitzustellen."
Der IPCC-Bericht zeigt zudem präziser als je zuvor auf, wie wichtig es ist, die globale Erwärmung auf zwei Grad zu begrenzen. "Zwar gibt es auch schon bei weniger als zwei Grad Temperaturanstieg erhebliche Gefahren etwa für wichtige Ökosysteme wie Korallenriffe oder in Bezug auf extreme Wetterereignisse. Bei 3,5 bis 5,4 Grad aber steigt das Risiko flächendeckend auf ein hohes bis sehr hohes Niveau", erläutert Bals. "Sogar die Möglichkeit, in diesem Jahrhundert Kipp-Punkte zu überschreiten, die ganze Kontinente umgestalten oder irreversibel mehrere Meter Meeresspiegelanstieg in den kommenden Jahrhunderten anstoßen, ist dann hoch." Dem könne jedoch begegnet werden, wenn jetzt entschieden der Abschied von fossilen Energien durchgesetzt wird. Die EU müsse hier mit ambitionierten und verbindlichen Klimazielen für die Zeit nach 2020 vorangehen. "Die Zeit drängt", betont Bals. "Denn im September sollen die Staaten beim Gipfel bei UN-Generalsekretär Ban Ki-moon konkrete Zusagen auf den Tisch legen. Die EU muss daher vorher klare Beschlüsse fassen."
Panikmache oder wirklicher Grund zur Besorgnis?
Um 3 Uhr morgens haben wir die Kernbotschaften abgestimmt und dürfen ernüchternd wieder schlafen gehen mit dem Wissen, dass viele Punkte gelöscht oder abgeschwächt nur dargestellt wurden. Die Erde wird in den nächsten Jahren sich grundlegend verändern. Es hat wohl wenig mit Panikmache zu tun, wenn man jetzt auf die Dringlichkeit zu konkretem Handeln aufrufen möchte – gerade weil es noch Handlungsmöglichkeiten gibt. In keinem Teil der Welt ist man auf die schon jetzt nicht mehr abwendbaren Folgen des Klimawandels ausreichend vorbereitet.
Je später die Staaten gegen die noch vermeidbare Verschärfung des Klimawandels vorgehen, desto schwieriger und teurer wird es. Für die Einsparung der Treibhausgase ist es nicht zu spät und die Finanzierung von effektiven Anpassungsmaßnahmen hilft, schlimmere humanitäre Katastrophen in den ärmsten Ländern einzudämmen.
Der 3. Teil des UNO-Klimaberichts wird dann in 2 Wochen vorgestellt – diesmal in Berlin, Sonntagvormittag. Einen Wecker muss ich nicht stellen, denn ich werde vor Ort dabei sein und wohl die Nacht hindurch die Abstimmungen mitverfolgen. Es geht um Lösungsmöglichkeiten, nachdem der 2. Teil die Probleme skizziert hat.