„Kühn“ sollen die Lösungsansätze sein, die auf dem Klimagipfel in New York präsentiert werden. Uno-Generalsekretär Ban Ki-Moon erwartet von Regierungen und Unternehmen, dass sie zeigen, wie ernst es ihnen mit nachhaltigem Klimaschutz ist. Auf dem hochrangigen Gipfel am 23.September soll unter anderem eine Allianz für klima-intelligente Landwirtschaft (Alliance for Climate-Smart Agriculture) aus der Taufe gehoben werden, die landwirtschaftliche Emissionen reduzieren und gleichzeitig zur weltweiten Ernährungssicherheit beitragen soll.
Allzu viel Mut bei der Bekämpfung der Ursachen der weltweiten Klima- und Ernährungskrise darf man von dieser Allianz unter Beteiligung großer Agrarkonzerne und Nahrungsmittelmultis wie Yara, Syngenta, Kellogg und McDonalds allerdings nicht erwarten. Hunger, Mangelernährung und stetig anwachsende Treibhausemissionen sind vor allem Folgen einer Politik, die in den letzten Jahrzehnten systematisch auf die Bedürfnisse des globalen Agrobusiness und eines verschwenderischen Konsumverhaltens hin ausgerichtet war. So wurde ein globales Ernährungssystem geschaffen, das zwar hochproduktiv ist, in dem aber zwei Milliarden Menschen nicht ausreichend ernährt werden können. Die landwirtschaftliche Biodiversität blieb dabei genauso auf der Strecke, wie die Kleinbauern- und Kleinfischerfamilien, die mehr als 80% der Nahrungsmittel in Entwicklungsländern produzieren. Beide sind aber für die Hungerbekämpfung und Klimaanpassung von zentraler Bedeutung.
Das die neue Allianz den benötigten Kurswechsel weg von industriell geprägten Landwirtschaftsmodellen anschieben wird, ist zweifelhaft. Zwar finden sich in ihrem Gründungsdokument allerhand vielversprechende Formulierungen. Dahinter verbirgt sich aber unter Umständen nichts anderes als business as usual . Statt klar zu definieren, welche landwirtschaftlichen Praktiken sich aus ökologischer und sozialer Sicht als „klima-intelligent“ qualifizieren und welche nicht, setzt die Allianz auf das schwammige Konzept „nachhaltiger Intensivierung“, welches potentiell auch agroindustrielle Praktiken bis hin zur Gentechnik einschließt. Lösungsansätze, die jedoch vorrangig und einseitig auf der Verbreitung teurer Betriebsmittel basieren (mineralische Dünger, Pflanzenschutzmittel und Hybridsaatgut), schaden Kleinbauernfamilien in Nord und Süd, die dabei in existenzgefährdende finanzielle Abhängigkeiten geraten. Statt gezielt Ursachen des Hungers und der Anfälligkeit gegenüber dem Klimawandel in den Blick zu nehmen, folgt die Allianz vor allem der Logik weiterer Produktions- und Produktivitätssteigerungen.
Agrarmultis an der Macht
Es besteht die Gefahr, dass die Allianz zu einem weiteren Deckmantel für die Wirtschaftsinteressen der großen Agrar- und Ernährungskonzerne missbraucht werden könnte, die seit einigen Jahren gezielt ins Rampenlicht der Gestaltung internationaler Agrarpolitik treten. So gibt es bereits eine ganze Reihe von Multi-Stakeholder Initiativen, die mithilfe von privatwirtschaftlichem Engagement Armut und Hunger in Entwicklungsländern bekämpfen wollen. Unter den Einflussreichsten sind die New Alliance for Food Security and Nutrition der ehemaligen G8-Staaten oder die Alliance for a Green Revolution in Africa der Bill und Melinda Gates/Rockefeller Stiftung. Entwicklungsorganisationen beobachten mit Sorge, dass sich die zugrunde liegenden Agrar- und Entwicklungsmodelle dieser Initiativen vorranging an den Interessen der internationalen Agrarindustrie und nicht etwa an den Bedürfnissen kleinbäuerlicher Strukturen und somit an der Stärkung der Armen und Hungernden orientieren.
Internationale Verträge und Leitlinien endlich umsetzen
Anders als uns diese neuen „Allianzen“ glauben machen wollen, müssen Lösungen oft gar nicht neu entwickelt werden. Viele Kleinbauerfamilien weltweit praktizieren sie bereits. Das macht der 2008 vorgestellte Weltagrarbericht deutlich. Über 400 Expertinnen aller Kontinente und Fachrichtungen beschäftigten sich über vier Jahre mit der Frage, wie Landwirtschaft und Ernährungssysteme beschaffen sein müssen, um Hunger und Armut zu verringern und eine ökologische, klimaangepasste und sozial nachhaltige Entwicklung zu fördern. Der Bericht kommt zu dem Fazit: "Weiter wie bisher ist keine Alternative." Dem Mantra des industriellen Produktivismus mit seinen chemie-und energieintensiven Monokulturen wird eine klare Absage erteilt. Stattdessen fordern die Autoren und Autorinnen einen Paradigmenwechsel hin zu kleinteiligen und auf biologische Vielfalt ausgerichteten landwirtschaftlichen Strukturen, die auf agrarökologischen Prinzipien basieren. Außerdem gehen es darum die Rechte von Kleinbauern- und Kleinfischerfamilien zu stärken und landwirtschaftliche Investitionen in nachhaltige Bahnen zu lenken. Viele zielführende Konzepte sind dafür längst in internationalen Verträgen und Leitlinien verankert[1] - allein es fehlt am politischen Willen sie umzusetzen.
Trotz dieser Erkenntnisse hat sich bisher wenig geändert. Zudem sorgen Biosprit, Agrarspekulation und land-grabbing für eine weitere Expansion industrieller Landwirtschaftsmodelle. Die Alliance for Climate-Smart Agriculture nimmt keinen Bezug zu diesen problematischen Entwicklungen und auch nicht zum Weltagrarbericht. Die beteiligten Agrarkonzerne wissen nur zu gut, dass die darin geforderten agrarökologischen Bewirtschaftungsformen keine Kundschaft für Pestizide, synthetische Düngemittel und Großmaschinen bringen. Aber auch für Politiker ist Agrarökologie ein sperriges und weithin unbekanntes Konzept. Auf kurzfristige Ergebnisse fixiert, erscheinen ihnen aufwändige Entwicklungskonzepte wenig attraktiv. Dabei verspricht die Agrarökologie langfristig bessere Erfolge. Sie ist nicht nur an die jeweils örtlichen, ökologischen, sozialen und kulturellen Bedingungen angepasst, sondern stellt auch am ehesten sicher, dass zusätzlich produzierte Lebensmittel dort zur Verfügung stehen, wo sie am meisten gebraucht werden
Ein Kurswechsel ist möglich
Landwirtschaft ist zweifellos eines der Top-Themen im Kampf gegen die Erderwärmung und ihrer bereits spürbaren Konsequenzen. Eine globale Allianz kann tatsächlich helfen, der klimabedingten Verschärfung von Hunger und Mangelernährung entgegen zu wirken. Dafür muss sie aber im Sinne des Weltagrarberichts Kleinbauernfamilien in ihrer Ernährungssouveränität stärken und zu einer grundlegenden Reform industrieller Landwirtschafts- und Ernährungssysteme beitragen. Klare ökologische und soziale Standards sind dabei genauso unerlässlich wie institutionalisierte Partizipations- und Konsultationsmechanismen, die dafür Sorge tragen, dass sich Strategien und Maßnahmen an den Bedürfnissen und Fähigkeiten der Armen und Verwundbaren orientieren. Zudem muss deutlich differenziert werden zwischen dem Anpassungsbedarf kleinbäuerlicher Landwirtschaft und der Notwendigkeit, Emissionen aus industriellen Bewirtschaftungssystemen zu reduzieren.
Nur eine Allianz die sich traut, die Machtverhältnisse im globalen Ernährungssystem in Frage zu stellen und die langfristige Lösungsstrategien wagt, ist den Herausforderungen der Klima- und Ernährungskrise gewachsen. Sie wäre wirklich kühn.
[1] Besonders hervorzuheben sind dabei die Freiwilligen Leitlinien für das Recht auf angemessene Ernährung; das Global Strategic Framework for Food Security and Nutrition; die UN-Biodiversitätskonvention; der internationale Vertrag über pflanzengenetische Ressourcen für Ernährung und Landwirtschaft (ITPGRFA); die Freiwilligen Leitlinien für die verantwortungsvolle Verwaltung von Boden- und Landnutzungsrechten, Fischgründen und Wäldern; die Freiwillige Leitlinien zum Schutz der Kleinfischerei; die Frauenrechtskonvention (CEDAW), die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte