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LOTTJE LECTURE 2014: Aktuelle Herausforderungen beim Schutz von Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidigern

Von Gastautoren am

von Praktikant Ansgar Gilster

Die eigene Stimme gegen Unrecht zu erheben, ist für Alejandra Ancheita immer der erste Schritt in Richtung Gerechtigkeit. Doch als Direktorin und Gründerin der Menschenrechtsorganisation ProDESC in Mexiko tut sie viel mehr: Sie verleiht anderen eine Stimme. Seit über 15 Jahren vertritt und berät ProDESC Migrantinnen und Migranten sowie indigene Gemeinden in Konflikten mit multinationalen Bergbau- und Energiefirmen. Das Kräfteverhältnis sei dabei vergleichbar mit David und Goliath, berichtete Alejandra Ancheita in ihrem Vortrag am 10. November  im Rahmen der Werner Lottje Lecture 2014. An zwei konkreten Fällen aus dem südmexikanischen Bundestaat Oaxaca veranschaulichte sie, wie spanische Energiekonzerne für die Schaffung großer Windparkanlagen die Rechte der indigenen Bevölkerung verletzen. „Die negativen sozialen und ökologischen Auswirkungen der Windenergieprojekte wiegen weit schwerer als die Vorteile der grünen Stromproduktion. Solche Bauvorhaben werden extrem schnell durchgezogen – ohne Rücksicht auf die Menschenrechte der lokalen indigenen Bevölkerung, insbesondere ihr Recht auf eine selbst bestimmte Entwicklung und ihr Recht auf eine freie, vorherige und informierte Zustimmung zu den Projekten.“

Diese verbrieften Rechte kümmern die Energiekonzerne wenig: Informationen werden zurückgehalten und die konkreten Auswirkungen der Bauprojekte verschleiert. Sämtliche Verträge sind in Spanisch abgefasst, obgleich die indigene Bevölkerung Zapotekisch spricht. Und mit der sprachlichen Umdeutung zu „Kleinbauern“ wurden ihnen ihre tatsächlichen Besitzrechte an den Baugrundstücken vertraglich abgesprochen. Wegen dieser Menschenrechtsverletzung und dem Betrug verklagen nun die indigenen Gemeinden die multinationalen Energieriesen mithilfe von ProDESC. Für diese wichtige Arbeit wurde Alejandra Ancheita mit dem diesjährigen Martin-Ennals-Preis Menschenrechtspreis ausgezeichnet.

Dass alle Verträge zwischen den indigenen Gemeinden und den Energiekonzernen mithilfe mexikanischer Notare und Behörden zustande kamen, wundert  Alejandra Ancheita nicht: „Die Energiekonzerne agieren in Komplizenschaft mit dem Staat, dem es blind darum geht, seine Treibhausgas-Emissionen zu reduzieren.“ Doch das rechtliche Staatsversagen reicht noch weiter. Immer wieder werden sowohl die betroffenen indigenen Gemeinden wie auch Menschenrechtsaktivisten Opfer von Einschüchterungen, Drohungen und tätlichen Angriffen. Manche werden gar ermordet oder verschwinden spurlos. Auch ProDESC ist Ziel solcher Gewalt: Die Aktivisten werden bedroht und überwacht; ihre Arbeit wird in Pressekampagnen diffamiert. Im vergangenen Jahr verwüsteten Unbekannte die ProDESC-Büros.

Der mexikanische Staat bleibt angesichts dieser  Gewalt weitgehend tatenlos und ist nicht im Stande, die Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidiger zu schützen. „Aus meiner eigenen Erfahrung – wie auch von vielen Kolleginnen – weiß ich, dass Frauen, die sich für die Rechte anderer einsetzen, ganz besonders nachgestellt wird und sie einer geschlechtsspezifischen Gewalt ausgesetzt sind. Entsprechend müssen wir den Schutz von Menschenrechtsverteidigerinnen geschlechtsspezifisch gestalten. Sicherheitsmaßnahmen sind wichtig, reichen allein jedoch nicht aus. Wir müssen ganzheitlich vorgehen, um auch die Wurzeln dieser frauenfeindlichen Gewalt zu bekämpfen. Nur dann werden Frauen als Menschenrechtsverteidigerinnen sicher arbeiten können.“

Wie drängend der Schutz von Menschenrechtsaktivisten nicht nur in Mexiko, sondern weltweit ist, wusste im Anschluss an Alejandra Ancheita auch Michel Forst zu berichten. Als UN-Sonderberichterstatter für Menschenrechtsverteidiger und –verteidigerinnen trifft er derzeit in Konsultationen Aktivisten auf allen Kontinenten. Nach ersten Besuchen im Nahen Osten und Gesprächen über die Situation in Osteuropa, dem Kaukasus und Zentralasien, stellt er fest: Die Gefahren, denen sich Aktivisten in ihrer Arbeit aussetzen, ähneln sich sehr – gerade im Kontext von großen Bauvorhaben und Wirtschaftsprojekten. „Menschenrechtsverteidigerinnen und –verteidiger haben in solchen Projekten das unbedingte Recht gehört und in die Entscheidungsprozesse einbezogen zu werden, ihre Meinungsfreiheit auszuüben und friedlich zu demonstrieren. Stigmatisierungen als „Wirtschaftssaboteure“ oder „Entwicklungshemmer“ sind nicht hinnehmbar.“ Obgleich Michel Forst auch die Rolle von Unternehmen betonte, sind für ihn Staaten die entscheidenden Akteure beim Schutz von Menschenrechtsverteidigern: „Letztendlich stehen die Staaten in der Pflicht und Verantwortung. Ohne staatliches Handeln lassen sich diejenigen, die für Menschenrechte streiten, nicht schützen. Nur mit Zugang zu funktionierenden Rechtsmitteln können sich Betroffene zu ihrem Recht verhelfen. Und auch gegen die Straffreiheit von Tätern vielerorts muss vorgegangen werden; hierfür braucht es rasche und unparteiische Aufklärung, Gerichtsverfahren und eine angemessene Strafzumessung.“

Über die Perspektiven der Implementierung schützender Strategien und Mechanismen auf weltweiter, europäischer und bundesdeutscher Ebene diskutierten am abschließend Alejandra Ancheita und Michel Forst mit Frank Schwabe, Mitglied im Deutschen Bundestag und im Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe. Es moderierte Michael Windfuhr, stellvertretender Direktor des Deutschen Instituts für Menschenrechte.

 

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