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Migration und Staatenlosigkeit - besorgniserregende Entwicklungen in der Dominikanischen Republik

Durch ein Urteil des Dominikanischen Verfassungsgerichts (Urteil Nr. 0168-13) vom 23. September 2013 droht mehreren hunderttausend Menschen ausländischer Abstammung die Staatenlosigkeit. Die Mehrzahl von ihnen hat haitianische Vorfahren.

Von Nils Utermöhlen am

Hintergrund:

Hintergrund dieser Entscheidung war eine Verfassungsbeschwerde von Juliana Deguis Pierre. Sie hatte geklagt, weil ihr 2008 von der dominikanischen Wahlbehörde die Ausstellung eines Personalausweises verweigert sowie ihre Geburtsurkunde beschlagnahmt wurde. Die Wahlbehörde begründete dies damit, dass ihre Namen „haitianisch“ seien.

 

Laut Urteil des Verfassungsgerichts handelte die Wahlbehörde rechtmäßig. Die Begründung des Gerichts lautete, dass ihre Eltern laut Gesetz den Status „ausländische Transitreisende“ zum Zeitpunkt ihrer Geburt gehabt hätten, da sie ihren regulären Migrationsstatus in der Dominikanischen Republik nicht nachweisen könnten und Juliana Deguis Pierre daher unrechtmäßig die dominikanische Staatsangehörigkeit erhalten hätte. . Dies hätte zwingend den Entzug ihrer dominikanischen Staatsangehörigkeit zur Folge.

 

Das Verfassungsgericht hat die Wahlbehörde darüber hinaus aufgefordert, alle registrierten Geburten seit 1929 einer erneuten Prüfung zu unterziehen und alle diejenigen Personen aus dem Register zu streichen, die mutmaßlich unrechtmäßig eingetragen und als dominikanische Staatsangehörige anerkannt worden waren. Der Gerichtsentscheid gilt somit rückwirkend für alle Fälle seit 1929. 

Die dominikanische Wahlbehörde gab am 7. November die Ergebnisse ihrer Überprüfung der Personenstandsregister bekannt. Demnach sind 53.847 Personen von ausländischen Eltern in der Dominikanischen Republik zur Welt gekommen. Hiervon hätten 24.392 rechtswidrig die dominikanische Staatsbürgerschaft erhalten.

Andere Zahlen ergeben sich aus einer Erhebung des Nationalen Statistikbüros aus dem Jahr 2012. Nach dieser Untersuchung sind 244.151 Personen als Kinder ausländischer Eltern zur Welt gekommen.

 

 

Bisherige Rechtsprechung

Von 1929 bis 2004 erhielten alle auf dominikanischem Territorium geborenen Kinder die dominikanische Staatsangehörigkeit. Ausgenommen waren hiervon Kinder, deren Eltern sich zum Zeitpunkt der Geburt des Kindes „im Transit“ befanden oder Diplomatenstatus hatten. Der Status „im Transit“ bezog sich dabei auf eine Aufenthaltsdauer von weniger als 10 Tagen.

Diese Regelung betraf also in der Regel nicht die zahlreichen haitianischen ArbeitsmigrantInnen, die vorübergehend oder auch dauerhaft in der Dominikanischen Republik arbeiteten. Dennoch erschwerten die dominikanischen Behörden systematisch die Ausstellung von Geburtsurkunden für deren Kinder.

 

Im Jahr 2004 wurde versucht, die bisherige diskriminierende, gesetzwidrige Praxis gegenüber Kindern haitianischer Herkunft durch ein neues Migrationsgesetz rechtlich zu zementieren (Gesetz Nr. 284-05), das die Kategorie „im Transit“ neu definierte. Demnach umfasst diese Kategorie nun auch  Personen, deren Aufenthaltsgenehmigung abgelaufen ist oder die keine Papiere besitzen.

 

 

Kollision mit Internationalem Recht

Grundsätzlich sind Staaten souverän in ihrer Entscheidung, wem eine Staatsangehörigkeit verliehen wird. Eingeschränkt wird diese Souveränität jedoch durch das Völkerrecht, nach dem eine Staatsangehörigkeit nicht entzogen werden darf, wenn dadurch die betroffene Person staatenlos werden würde.

Laut Artikel 8 des Übereinkommens zur Verminderung der Staatenlosigkeit, darf ein Staat einer Person die Staatsangehörigkeit nicht aberkennen, wenn diese Person dadurch staatenlos werden würde.  Da die Dominikanische Republik ein Vertragsstaat dieses Übereinkommens ist, stellt die Entscheidung des Verfassungsgerichts einen Rechtsverstoß dar.

Artikel 15 der AEMR legt fest, dass jeder Mensch Anspruch auf eine Staatsangehörigkeit hat und diese niemandem willkürlich entzogen werden darf. 

 

 

 

Mögliche Folgen des Urteils

Die Konsequenzen für die Betroffenen sind fatal, da ihnen mit dem Entzug ihrer dominikanischen Staatsangehörigkeit die Wahrnehmung grundlegender Menschen- und Bürgerrechte verwehrt bleibt. Ohne Ausweispapiere besitzen sie keine gesicherten Ansprüche auf einen geregelten Zugang zum Bildungs- und Gesundheitssystem, genießen kein Wahlrecht und sind Nachteilen auf dem Arbeitsmarkt ausgesetzt Die Ausübung  von bestimmten Berufen kann von dieser Entscheidung beeinträchtigt werden. Darüber hinaus sind sie ständig mit  der Gefahr der Ausweisung aus dominikanischem Territorium konfrontiert.

Des Weiteren trägt das Gesetz zu einer Perpetuierung von Staatenlosigkeit bei, insofern auch Neugeborene der Staatenlosen jeglichen Anspruch auf eine dominikanische Staatsangehörigkeit verlieren.

 

 

Auch für die Wirtschaft der Dominikanischen Republik werden Nachteile erwartet, sollte es zu Massenausweisungen kommen. Jahrzehntelang war die Dominikanische Republik ein Profiteur von billigen haitianischen Arbeitskräften, die  auf den Plantagen, im Bau- sowie Dienstleistungsbereich für einen geringen Lohn gearbeitet haben und somit zur Konkurrenzfähigkeit dominikanischer Exportwaren auf dem Weltmarkt beigetragen haben.  

 

 

Internationale Reaktionen

Das Urteil des Verfassungsgerichts wurde von verschiedenen Seiten zum Teil scharf kritisiert. Internationale Menschenrechtsorganisationen, verschiedenen UN-Institutionen sowie Regierungen verschiedener Länder zeigten sich besorgt hinsichtlich möglicher negativer Auswirkungen, die sich aus dem Urteil ergeben könnten.

Das Urteil wurde auch im Ständigen Rat der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) diskutiert. Dieser beschloss daraufhin die Entsendung einer interamerikanischen Menschenrechtskommission (CIDH) in die Dominikanische Republik, um mögliche Auswirkungen des Verfassungsgerichtsurteils zu überprüfen.

Bei ihrem Besuch Anfang Dezember stellte CIDH fest, dass die nachträgliche Aberkennung der dominikanischen Staatsbürgerschaft ein schwerer Verstoß gegen die Menschenrechte sei und das Urteil eine Verletzung internationaler Vereinbarungen darstelle, so der Vorsitzende der Kommission, José de Jesús Orozco Henríquez.

Die Regierung der Dominikanischen Republik hat den Bericht zurückgewiesen, da er „eine subjektive, einseitige und teilweise nicht mit der Realität unseres Landes übereinstimmende Sicht“ einnehme, heißt es in einer Erklärung des Außenministeriums.

Die Karibische Gemeinschaft (CARICOM) hat mitgeteilt, dass eine weitere Teilnahme der Dominikanischen Republik an Foren wie bspw. CARIFORUM, CELAC und OAS überdacht werden sollte.  Bislang genießt die Dominikanische Republik lediglich einen Beobachterstatus innerhalb der Karibischen Gemeinschaft.

 

 

 

 

Aktuelle Entwicklungen

Trotz der internationalen Kritik hält die dominikanische Regierung an einer raschen Umsetzung der Entscheidung des Verfassungsgerichts fest.

Der Direktor für Migration, José R. Taveras, sagte jüngst, dass für den betroffenen Personenkreis temporäre Aufenthaltsgenehmigungen erlassen werden würden. 

Laut einem Erlass des Präsidenten soll den Betroffen ein Zeitraum von 18 Monaten gewährt werden, innerhalb dem sie einen Antrag auf eine dominikanische Staatsangehörigkeit stellen können. Innerhalb dieses Zeitraums sollen laut Regierung keine Deportationen erfolgen.

 

 

 

Historischer Hintergrund

Konflikte zwischen Haiti und der Dominikanischen Republik, die in dem aktuellen Gesetzeserlass erneut zum Vorschein kommen, reichen zurück bis ins 18. Jahrhundert.

Im Jahr 1822 marschierten haitianische Truppen in die Dominikanische Republik ein, befreiten die Sklaven und besetzten das Land über ein Vierteljahrhundert. Erst im Jahr 1844 erlangte die Dominikanische Republik schließlich ihre Unabhängigkeit von Haiti.

Unter dem Diktator Rafael Trujillo wurden im Jahr 1939 innerhalb weniger Tage ca. 20.000 Haitianer bei einem Massaker ermordet – Ziel war nach Angaben der Regierung eine „Säuberung“ der Grenzregion. 

Der Präsident Joaquin Balaguer verbreitete 1983 in seinem Buch „The Island in Reverse“ die Behauptung, Haitianer würden sich sprunghaft vermehren und die Dominikanische Republik schleichend unterwandern.

Wiederholt ist es in den vergangenen Jahrzehnten zu Übergriffen auf Menschen mit haitianischer Abstammung gekommen.

 

 

Quellen:

Sentencia TC/0168/13, Dominican Republic: Constitutional Court, 23 September 2013, www.refworld.org/docid/526900c14.html [Zugriff am 02.01.14]

Amnesty International: Drohende Staatenlosigkeit  www.amnesty.de/urgent-action/ua-289-2013/drohende-staatenlosigkeit [Zugriff am: 02.01.14]

Übereinkommen zur Verminderung der Staatenlosigkeit,  www.refworld.org/cgi-bin/texis/vtx/rwmain/opendocpdf.pdf [Zugriff am 02.01.14]

Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Art.  von15, www.humanrights.ch/de/Instrumente/AEMR/Text/idart_516-content.html [Zugriff am 02.01.14]

Center for Strategic and International Studies: Stateless Dominicans?, csis.org/publication/stateless-dominicans [Zugriff am: 02.01.14]

Neues Deutschland: Schlechte Noten für Santo Domingo, 09.12.13, www.neues-deutschland.de/artikel/917477.schlechte-noten-fuer-santo-domingo.html [Zugriff am 10.01.14]

CARICOM Statement On Developments in the aftermath of the ruling of the Constitutional Court of the Dominican Republic on Nationality, 26.11.13, www.caricom.org/jsp/pressreleases/press_releases_2013/pres265_13.jsp [Zugriff am 07.01.14]

Carribean Life: The Case for Haitians’ DR Citizenship, 10.01.14, www.caribbeanlifenews.com/stories/2014/1/2014_01_08_cc_haitian_citizenship_.html [Zugriff am 10.01.14]

The New York Times: Dominicans of Haitian Descent Cast Into Legal Limbo by Court, www.nytimes.com/2013/10/24/world/americas/dominicans-of-haitian-descent-cast-into-legal-limbo-by-court.html 24.12.13 [Zugriff am 02.01.14]

 

Bild: commons.wikimedia.org/wiki/File:Dominican_Republic_Passport.jpg

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