Die Verhandlungen über das Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA (kurz: TTIP) werden seit fast einem Jahr in der Öffentlichkeit breit und kontrovers diskutiert. Bürgerrechtsorganisationen, Politiker verschiedener Parteien, Gewerkschafter und viele Bürger und Bürgerinnen kritisieren, dass der Verhandlungsprozess undemokratisch sei. Auch fürchten sie, der Verbraucherschutz werde ausgehöhlt, Umweltstandards würden abgebaut und die Sozialsysteme geschwächt. Brot für die Welt teilt viele dieser Besorgnisse. Darüber hinaus sehen wir aber auch möglichen Risiken, die TTIP für die Entwicklungs- und Schwellenländer in sich birgt.
Brot für die Welt fordert daher die Verhandlungspartner auf, die derzeitigen Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU aussetzen – und ihre handelspolitischen Ambitionen zukünftig darauf konzentrieren, das multilaterale Handelssysteme auf der Ebene der Welthandelsorganisation zukunftsfähig und gerecht mitzugestalten.
Ferner fordern wir von der Europäischen Union ein generelles Umdenken in ihrer Handels- und Investitionspolitik. Wir haben dazu klare Anforderungen an eine ökologische und solidarische Handelspolitik formuliert:
Die Handelspolitik demokratisieren
Intransparenz ist ein Merkmal europäischer Handelspolitik – nicht erst seit TTIP. In der Regel fallen Entscheidungen hinter verschlossenen Türen. Nur bestimmte Interessengruppen haben Zugang - allen voran Unternehmensverbände und Vertreter großer Konzerne. Zivilgesellschaftliche Organisationen dagegen sind von Verhandlungen meist ausgeschlossen. Wenn sie doch einmal teilnehmen dürfen, werden sie zu absoluter Verschwiegenheit verpflichtet. Selbst Institutionen wie das deutsche Bundesumweltministerium und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung werden vom federführenden Bundeswirtschaftsministerium auf Distanz gehalten.
Diese mangelnde Transparenz ist einer der Hauptgründe, warum zivilgesellschaftliche Vorschläge zu entwicklungs- und umweltpolitischen sowie menschenrechtlichen Aspekten bei TTIP kaum eine Rolle spielen. Notwendig ist es deshalb, dass die EU alle Verhandlungsdokumente veröffentlicht. Außerdem sollte ein breiter Konsultationsprozess stattfinden, damit sich alle staatlichen Ebenen - Bund, Länder und Gemeinden - sowie die Bürger und Bürgerinnen an der Ausgestaltung eines Handelsabkommens beteiligen können.
Die Handelspolitik qualifizieren
Internationaler Handel wird gegenwärtig nur nach dem Preis bewertet, nicht aber nach seiner sozialen und ökologischen Qualität. Staaten dürfen den Verkehr von Waren und Dienstleistungen laut WTO-Regeln meist nicht davon abhängig machen, unter welchen Bedingungen die Produkte hergestellt wurden. Ein mit Pestiziden produziertes oder genetisch verändertes Nahrungsmittel genießt demnach die gleiche Zugangsberechtigung zum ausländischen Markt wie ein Lebensmittel vom Biobauernhof.
TTIP folgt dieser Logik, indem man die beiden Grundprinzipien des europäischen Umweltrechts zu Handelshemmnissen erklärt - das Vorsorge- und das Verursacherprinzip. In diesem Sinne kritisieren US-Lobbygruppen die angeblich zu langsamen Zulassungsverfahren und die Kennzeichnung von Gentechnik-Lebensmitteln in Europa. Außerdem beziehen sie Stellung gegen die Weiterentwicklung der EU-Chemikalienverordnung REACH, der EURO-Norm für Auto-Emissionswerte und auch der EU-Strategie, die die Umweltgefahren von Kunststoffen begrenzen soll.
Damit der Handel zum Motor für Gerechtigkeit und Ökologie wird, brauchen wir höhere, nicht niedrigere soziale und ökologische Standards. Erforderlich sind Verbote, Steuern und Zölle für schädliche Herstellungsverfahren. Demgegenüber muss es möglich bleiben, nachhaltige Produktionsverfahren gezielt zu fördern.
Menschenrechte in der Handelspolitik stärken
Die EU hat sich im EU-Vertrag verpflichtet, die universellen und unteilbaren Menschenrechte auch in ihrer auswärtigen Politik zu achten und zu fördern. Die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte bestätigen ferner die Verpflichtung von Staaten, die Bevölkerung vor Menschenrechtsverstößen durch Unternehmen zu schützen, sowie die Verantwortung der Unternehmen selbst, die Menschenrechte zu achten. Für die europäische Handelspolitik folgt daraus, dass die EU bei allen Handels- und Investitionsabkommen regelmäßig unabhängige menschenrechtliche Folgeabschätzungen vornehmen muss. Aufgrund möglicher negativer Auswirkungen des TTIP auf Entwicklungs- und Schwellenländer ist die EU verpflichtet, bei menschenrechtlichen Folgeabschätzungen auch Drittstaaten mit einzubeziehen.
Alle zukünftigen internationalen Handelsabkommen sollten eine Menschenrechtsklausel enthalten. Diese muss ermöglichen, Vertragsbestimmungen auszusetzen oder zu ändern, die die Menschenrechte gefährden. Außerdem muss in solchen Abkommen ein unabhängiger transparenter Beschwerdemechanismus für den Fall vorgesehen werden, dass Investitionen zu Menschenrechtsverletzungen in Drittstaaten führen.
Staatliche Gestaltungsspielräume erweitern
Eine ökologisch und sozial nachhaltige Handelspolitik, die dem Wohlstand aller Menschen dient, braucht einen politischen Ordnungsrahmen. Dieser ist notwendig, um Unternehmen einerseits an bestehende Umwelt- und Sozialstandards zu binden, und andererseits neue Regelungen für Ressourcenschonung, Umweltschutz, soziale Gerechtigkeit und Menschenrechte zu erlassen.
Geht es jedoch nach dem Willen der Verhandlungsführer, soll das Freihandelsabkommen TTIP einseitig die Rechte ausländischer Investoren stärken. Sondergerichte könnten dann rechtsverbindlich entscheiden, ob Gesetze private Gewinne beeinträchtigen. Solche Sonderklagerechte für Investoren schränken staatliche Handlungsmöglichkeiten in unzulässiger Weise ein. Denn die Gewinnerwartungen von Unternehmen würden damit über das Gemeinwohl gestellt. Weil Sondergerichte intransparent sind und keiner Kontrolle durch nationale Gerichte unterstehen, untergraben sie die Rechtsstaatlichkeit. Streitschlichtungsmechanismen für Unternehmen sind aus dem TTIP und allen bilateralen Investitions- sowie Handelsabkommen auszuklammern.
Landwirtschaft bäuerlich und umweltgerecht gestalten
Eine bäuerliche und zukunftsfähige Landwirtschaft braucht ein faires Handelssystem, das die Interessen von Bäuerinnen und Bauern berücksichtigt, das Recht der Staaten auf eine Politik der Ernährungssouveränität respektiert, sowie Klima, Umwelt und biologische Vielfalt schützt. Statt Regulierungen abzubauen oder diese im Sinne der Agrarindustrie nur auf Nahrungsmittelsicherheit und Hygiene zu konzentrieren, gilt es, durch angemessene politische Weichenstellungen eine Agrarwende einzuleiten, die die ökologisch problematische industrielle Landwirtschaft auf beiden Seiten des Atlantiks überwindet.. Wichtige Elemente dafür sind die Bindung der Tierhaltung an die Fläche, die Begrenzung von Monokulturen und der Schutz vielfältiger Landschaftsstrukturen. Dies würde den Bedarf an importierten Futtermitteln verringern und bäuerliche Strukturen fördern.
In der angehängten Publikation „Nachhaltige Handelspolitik statt TTIP“ werden zudem die TTIP-Verhandlungen in den Kontext der WTO und deren Verhandlungen über die Doha-Entwicklungsrunde sowie der europäischen Freihandelsstrategie gestellt. Bei den anschließenden Auswirkungen auf den globalen Süden liegt der Schwerpunkt auf dem Investitionsschutz.