Nur einige Tage nach den ersten freien Parlamentswahlen tagte das Steuerungskomitee des Weltsozialforums (IC) in Hammamet/Tunesien, um sich über die Vorbereitungen zum WSF 2015 in Tunis zu informieren. Die Delegierten von über 50 NROs aus aller Welt begrüßten den Stand der Vorbereitungen und das Motto des nächsten Forums „Recht und Würde“ im März 2015. Darüber hinaus wurde analysiert, welchen Stellenwert das WSF in einer von sehr unterschiedlichen Krisen überzogenen Welt noch haben kann. Daher nahmen auch verschiedene Solidaritätsadressen und Resolutionen einen breiten Raum ein, vor allem der Flashmob #Save Kobane und Solidaritätsadressen an die kurdische Bevölkerung, aber auch an die Menschen in Burkina Faso. Diese wurden beglückwünscht zum errungenen Sturz des autokratischen Präsidenten, aber es wurde auch gefordert, dass eine zivile Übergangsregierung und nicht das Militär das Machtvakuum schließt.
Tunesische Wahlen bringen Stabilität
Die tunesischen Mitglieder des IC erläuterten die politischen Verschiebungen nach den Parlamentswahlen Ende Oktober 2014, die neben einer Stärkung säkularer Kräfte auch die Unterstützung neoliberaler Wirtschaftsmodelle mit sich gebracht hat. Die Wirtschaftskrise, die viele Sektoren nach der tunesischen Revolution ergriffen hat, lässt die Menschen darauf hoffen, dass marktliberale Lösungen, zum Teil getragen von Funktionären des alten Regimes, Arbeitslosigkeit und sozialen Abstieg aufhalten. Der Eintritt vieler Unternehmer über verschiedene Listen ins Parlament verstärkt diese Tendenz. Auf jeden Fall aber ist das Ergebnis ein gutes Fundament dafür, dass Tunesien einen friedlichen Weg gehen wird und sich damit von den blutigen Folgen der anderen arabischen Erhebungen absondert. Es wird daher eine entspannte Sicherheitssituation im März 2015 erwartet.
Vorbereitungen für WSF 2015 weit fortgeschritten
In einem detaillierten Bericht schilderte das tunesische Koordinationskomitee den Stand der Vorbereitungen für das WSF 2015. Das schon sehr gut organisierte Forum in 2013 soll noch übertroffen werden, nicht nur logistisch, sondern auch was die Breite der Beteiligung angeht, besonders aus dem afrikanischen Kontinent. Beindruckt zeigte sich das IC über den partizipatorischen Ansatz des lokalen Vorbereitungsausschusses. Dieser überträgt nicht nur alle wöchentlichen Sitzungen zum Mitreden weltweit im Internet, sondern mobilisiert im ganzen Land für die Teilnahme und führt eine Vielzahl von Versammlungen durch.
Es wurden auch Schwächen des letzten Forums analysiert wie der schlechte Zugang zu den Veranstaltungen für Menschen mit Behinderung oder fehlende Übersetzungen. Dazu gibt es nun eigene Ausschüsse. So auch von Betroffenen mit Behinderung, die sich um Abhilfe kümmern. Großen Einfluss haben auch diesmal wieder die verschiedensten Jugendinitiativen mit eigenen Aufrufen und Forderungen, sowohl thematisch zum Beispiel die Frage der Migration zu behandeln als auch für die Methodologie des Forums. Positiv wurde hervorgehoben, dass es nach dem letzten Forum gelungen ist, viele damalige junge Freiwillige dafür zu gewinnen, sich nun aktiv in die Vorbereitungskommissionen einzubinden.
Auch auf der Sitzung des IC haben sie nun erstmalig aktiv das Wort ergriffen. Die verschiedenen Frauengruppen wollen, ermuntert durch den großen Erfolg des Frauenforums als Auftakt des WSF 2013, nun zusätzlich einen eigenen Raum mit logistischer Unterstützung haben, damit sich ständig Aktivistinnen und Interessierte austauschen können. Das IC diskutierte dennoch kritisch, wie es die schon länger abwesenden Bewegungen in Asien, besonders Süd- und Südostasien wie Indien, Bangladesh, aber auch Indonesien und Philippinen wieder näher an das WSF heranführen könnte. Eine wirkliche Lösung gab es nicht, da wiederum kein Mitglied des IC von dort anwesend war.
Beteiligung am WSF auch über das Internet möglich
Mehrmals wurde auf die Fortschritte der sogenannten "Extension" des WSF aufmerksam gemacht. Immer öfter gibt es die Möglichkeit für nicht Anwesende, so auch auf der jetzigen Sitzung, diese per Videostream zu verfolgen und per skype chat sich mit Fragen zu beteiligen. Dies wurde schon halbwegs erfolgreich beim letzten WSF ausprobiert. Diese Möglichkeit soll über die Plattform openFSM verbessert und erweitert werden.
So wendete sich das IC auch internen Fragen zu, nicht zum ersten Male. Besonders die Frage, ob neue Bewegungsformen ohne feste Strukturen sich durch das WSF ausreichend angesprochen fühlen, wurde diskutiert. Die Öffnung des IC für VertreterInnen - auch wenn sie sich so nicht nennen würden - solcher sogenannter horizontaler Bewegungen, wie man sie jüngst auch in Hongkong erlebt hat, war ein Vorschlag.
In ambitionierten Analysen einiger Mitglieder des IC über die Lage der Welt in der sich zuspitzenden Zivilisationskrise des Spätkapitalismus wurde darüber spekuliert, welche Rolle das WSF zur Überwindung der vielfältigen Krisen, die Menschen und ihre natürlichen Ressourcen zerstören, haben könnte. Es gab aber auch Stimmen, darunter Brot für die Welt, die davor warnten, die eigene Bedeutung mit einer so hohen Messlatte zu bewerten. Sie plädierten dafür, stattdessen das WSF als die einzige globale Möglichkeit zu begreifen, an der ohne politischem Gegenüber (wie zum Beispiel auf Staatengipfeln) relativ entspannt, soziale Bewegungen, NROs, Gewerkschaften und Einzelne sich begegnen und austauschen und vor allem netzwerken können.
Dennoch überwog bei der Mehrheit der Wunsch, in einer strategischen Konferenz nach dem nächsten Forum die Frage der Zukunft des IC und des WSF gemeinsam mit bisher nicht beteiligten Bewegungen und Gruppen zu besprechen und Entscheidungen über eine Neustrukturierung des IC zu beraten.
Kanadische Initiativen stimmen sich für 2016 ab
Ein heikles Thema wurde die Debatte über das übernächste WSF 2016 im kanadischen Quebec, auf dem letzten IC in Casablanca beschlossen. Es hat sich herausgestellt, dass die Gruppe, die damals diesen Vorschlag eingebracht hatte und aus verschiedenen Jugend- und Studentengruppen im frankophonen Quebec hervorging, nicht die Unterstützung der gesamten kanadischen Zivilgesellschaft hat, vor allem nicht die der starken Gewerkschaftsbewegung Kanadas. Diese hatte gemeinsam mit den indigenen Völkern Kanadas das „Forum der Völker“ im August 2014 organisiert und sich verwundert gezeigt, nicht in das Angebot für das WSF 2016 in Quebec einbezogen zu sein.
Das IC nahm zur Kenntnis, dass beide anwesenden kanadischen Initiativen bis zum März 2015 versuchen wollen, ihre Vorstellungen abzustimmen, damit ein kanadischen WSF im August 2016 in Montreal, getragen von einer breiten zivilgesellschaftlichen Plattform stattfinden kann.
Internationale Solidarität
Auch aktive Solidarität stand auf der Tagesordnung. Die Mitglieder des IC schlossen sich mit dem Flashmob #saveKobane den weltweiten Aktionen zur Unterstützung der kurdischen Bevölkerung an. Ebenso mit einer unterstützenden Erklärung für die kurdische Bevölkerung, in der ein Ende des Krieges in der irakisch-syrischen Region gefordet wird.
Ebenso wurde eine Erklärung an die mexikanische Regierung beschlossen, endlich über das Verschwinden der mexikanischen Studenten in Iguala aufzuklären. Die Situation nach der Zerstörung von Gaza war Anlass für eine Mehrheit der IC Mitglieder, die Weltgemeinschaft um Solidarität für das palästinensische Volk aufzufordern und zu einer baldigen Sitzung des IC in Gaza aufzurufen.
Nicht zuletzt verfolgte man die gleichzeitig in Burkina Faso stattfinden Ereignisse um den Sturz des Präsidenten und dem Doppelputsch des Militärs Ouagadougou. Die IC Mitglieder gratulierten der Bevölkerung in Burkina Faso zum mutigen Schritt auf den Straßen von Bobo-Dialasso und Ouagadougou für demokratische Veränderungen zu kämpfen und warnten davor, dass das Militär diese Situation zu einer Machtübernahme nutze, um ihre Verwicklung mit dem Regime Campaore fortzusetzen.
(Verlinkungen zu den verabschiedeten Erklärungen nach Veröffentlichung)
Der IC endete mit Applaus für eine Initiative der tunesischen Organisatoren, bis zum Ende des WSF 2015 national und international Geld dafür zu sammeln, dass 1.000 tunesische Familien aus den ärmsten Gegenden des Landes bis dahin ihre Wohnsituation verbessern können und das Schulgeld für ihre Kinder gesichert wird.