Der Einsturz der Textilfabrik in Bangladesch mit mehr als 1100 Toten, vielen Verletzten und Schwerverletzten vor zwei Jahren hat die andere Seite unseres großen Konsumangebots gezeigt: Extremer Arbeitsdruck in Fabriken ohne jede Sicherheitsvorkehrung in „Niedriglohnländern“ wie Bangladesch oder Kambodscha. Zustände, die an die Industrialisierung in Europa im 19. Jahrhundert erinnern. Was können wir in Europa, in Deutschland tun, damit sich ein solches Drama nicht wiederholt, was erwarten Verbraucherinnen und Verbraucher von Politik und Unternehmen, welchen Einfluss haben sie selbst?
Wie viel Ethik verträgt das Geschäft?
Der Deutsche Evangelische Kirchentag hat mit der Frage „Wie viel Ethik verträgt das Geschäft“ einen Nerv des Publikums getroffen: 5000 Gäste verfolgten die Eröffnungsrede von Friedensnobelpreisträger Kailash Satyarthi und zwei hochkarätig besetzte Diskussionsrunden. Der indische Kinderrechtler und langjährige Brot-für-die-Welt-Partner erinnerte daran, dass die Kampagne gegen ausbeuterische Kinderarbeit dazu geführt hat, die Zahl der arbeitenden Kinder von 260 Millionen auf 168 Millionen zu drücken: „Es gibt keine andere Verbraucher- und Sozialinitiative, die so viel erreicht hat.“
20 Milliarden Euro Schaden
Johannes Merck, Direktor Corporate Responsibility der Otto-Gruppe, sagte: „Ethik hat natürlich ihren Preis. Wir können diesen Preis gut errechnen.“ Er bezifferte die „Schadschöpfung“ der Unternehmensgruppe, vor allem die Bodenbelastung, auf deutlich über eine Milliarde Euro. Das erwirtschaftete Ergebnis liege bei etwa einem Drittel. Merck: „Es entstehen über 20 Milliarden Euro Schäden durch die Textilproduktion Deutschlands, die aktuell vergesellschaftet werden.“
Bernhard Felmberg, Leiter der Unterabteilung Zivilgesellschaft, Kirchen und Wirtschaft im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ist optimistisch: „Vor drei Tagen sind 32 größere und kleinere Unternehmen dem Textilbündnis beigetreten, jetzt sind es schon über 100 Mitglieder.“ Das Bündnis verfolgt das Ziel, die Lebens- und Umweltbedingungen der Arbeiterinnen und Arbeiter in den Produktionsländern zu verbessern.
Freiwilligkeit reicht nicht
Jens Martens, Direktor des Global Policy Forum, sieht im Textilbündnis einen Schritt in die richtige Richtung, aber: „Nur Freiwilligkeit ist nicht genug, wie brauchen ein Rahmenwerk auf politischer Ebene zu Wirtschaft und Menschenrechten.“ Er verglich freiwillige Regulierungen mit der Straßenverkehrsordnung: „Das ist, als wenn der ADAC, Porsche, Mercedes und Fußgänger sich über das Tempo in Ortschaften einigen müssten.“
Uwe Mazura, Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbands Textil und Mode, der produzierende Textilunternehmen vertritt, dämpft die Erwartungen: „80 Prozent unserer Mitglieder haben einen Umsatz von unter 50 Millionen Euro und sind zu klein, um Marktmacht zu sein.“
Wie können Konsumenten und Konsumentinnen erkennen, wie ein T-Shirt oder eine Hose hergestellt wurde? Welche Aussagekraft haben Siegel? Hier wies Bernhard Felmberg auf die Website siegelklarheit.de hin.
"Reputation is cash"
Dass die Kirche etwas zu Ethik und Geschäft zu sagen hat, unterstrich der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich-Bedford-Strohm in der zweiten Diskussionsrunde: „Die Menschen im Süden wollen Regeln, wie sich Unternehmen verhalten. Bei meinen Gesprächen fordere ich die Bischöfe in den Partnerländern auf, mir zu schreiben. Wir bringen die Diskussion nach Deutschland. Da haben wir als Kirche besondere Möglichkeiten. Reputation is cash.“
Kailash Satyarthi ist mit seiner Kinderrechtsorganisation dort aktiv, wo deutsche Unternehmen ihre Lieferketten haben. Er hat beobachtet: „Die Wirtschaft hat den Staat immer mehr zurückgedrängt.“ Gesetze und Regularien werden einseitig auf Wachstum, auf die Interessen der Wirtschaft ausgerichtet, prominentes Beispiel dafür sei das Freihandelsabkommen TTIP. Satyarthi: „Wachstum der Wirtschaft und Wachstum der Menschenrechte müssen Hand in Hand gehen. Menschenrechte sind nicht verhandelbar.“
Renate Künast, Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz, forderte: „Regelungen, die in Deutschland gültig sind, müssen Unternehmen auch für ihre Beschäftigten in Niedriglohnländern beachten.“ Es reiche jedoch nicht, diese Regelungen allein für Deutschland zu formulieren. Künast: „Wir brauchen europäische Regelungen, dann stehen 500 Millionen Menschen dahinter.“
Miriam Saage-Maaß vom European Center for Constitutional and Human Rights unterstrich, dass Unternehmen verpflichtet werden müssten, die Menschenrechte an all ihren Produktionsstandorten egal in welchem Land zu achten. Sie forderte zugleich eine Debatte darüber, was wir als Gesellschaft von unseren Managern erwarten, was sie wissen müssen.
Bedform-Strohm richtete die Forderung nach einem internationalen Rechtsrahmen vom Deutschen Evangelischen Kirchentags an die G7 : „Sorgt endlich dafür, dass es Wege gibt, die internationales Recht schaffen!“
Brot für die Welt setzt sich für Menschenrechte und gerechte Handelsbeziehungen ein. Handels- und Investitionsabkommen sollten weltweit die Bedürfnisse der vom Weltmarkt Marginalisierten achten.