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Charta für den Wandel

Von Prof. Dr. h. c. Cornelia Füllkrug-Weitzel am

Erstmalig wird 2016 in Istanbul ein UN-Weltgipfel zur Humanitären Hilfe stattfinden. Ein Hinweis darauf, dass die Not groß ist. Und das gilt in jedem Sinne des Wortes: Noch nie gab es so viele große Flüchtlingskrisen gleichzeitig, noch nie seit dem Ende des 2. Weltkrieges waren so viele Menschen zu versorgen. Aber die Finanzierung für Humanitäre Hilfe hält damit nicht Schritt – im Gegenteil. Dabei ist kein Ende des steten Anstiegs des Finanzbedarfes in Sicht. Und die Kritik am Humanitären System wächst: Mangel an Koordination ist die bekannteste. Zwei nachvollziehbare Gründe dafür, danach zu fragen, wie heute die humanitäre Hilfe am effektivsten und angemessensten geleistet werden sollte. Dazu wird einiges am humanitären System zu ändern sein.

Zum Beispiel Habitus, Rolle und Auftritt der internationalen Hilfsorganisationen. Damit Recht von Betroffenen auf humanitäre Hilfe wirklich werden kann, muss die Hilfe stärker von lokalen Akteuren vor Ort gestaltet werden: Es sind lokale zivilgesellschaftliche Organisationen und kommunale Behörden, die als erste und auch am längsten, weil dauerhaft  vor Ort sind, und Hilfe schnell und wirkungsvoll organisieren könnten. Sie brauchen weder Zeit noch Geld, um an den Ort des Geschehens zu kommen. Sie sind der Bevölkerung bekannt, sprechen ihre Sprache, kennen ihre Kultur und den Bedarf, sowie die Strukturen und wichtigen Akteure und Autoritäten vor Ort.

Aber statt sie systematisch mit KnowHow und Ressourcen zu stärken, damit sie ihre Aufgabe besser wahrnehmen können, werden sie von internationalen Helfern und vom internationalen ‚Hilfszirkus‘, wie manche deshalb sagen, oft ignoriert und an die Seite gedrängt und so selbst ihrer schon existierenden Wirkungsmächtigkeit beraubt – geschweige denn gestärkt.  Bisher wird die humanitäre Hilfe vor allem durch den globalen Norden und die Vereinten Nationen gestaltet – weit weg von den betroffenen Menschen. Die Stärkung der humanitären Hilfsorganisationen und  -strukturen vor Ort wird deshalb ein wichtiges Thema für den humanitären Weltgipfel im Mai 2016 sein.

Schon oft wurde mehr Rechenschaft gegenüber den Empfängern der Hilfe angemahnt – etwa nach der Tsunami-Katastrophe. Schon oft wurde von den UN die Stärkung lokaler Akteure angekündigt. Bisher hat sich allerdings nicht viel geändert und ob die Konferenz in Istanbul dafür eine Bereitschaft, gar eine klare Selbstverpflichtung formuliert, bleibt abzuwarten.

Das System der Hilfe vom Kopf auf die Füße stellen

Jetzt hat eine Gruppe von Hilfsorganisationen sich auf eine „Charta für den Wandel“ selbst verpflichtet. Frei nach dem Motto: es gibt nichts gutes, außer man tut es! Konkrete eigene Schritte, die zu einem Wandel des Hilfssystems beitragen statt zu warten, bis staatliche Geber oder die Vereinten Nationen das System verändern.

Bisher gibt es erst einige wenige Unterzeichner  aus dem Norden – aber eine lange Reihe von Befürwortern: viele, viele  Organisationen aus dem globalen Süden, die ihre Partner aus dem Norden an deren eigenen Verpflichtungen messen wollen. Dies belegt, dass es sich bei der Charta aus der Sicht des globalen Südens um einen richtigen und wichtigen Schritt handelt.

Die Diakonie Katastrophenhilfe gehört zu den Erstunterzeichnern der Charta, weil wir diesen grundsätzlichen Wandel in der Rollenverteilung zwischen den lokalen und den internationalen humanitären Helfern nicht nur für richtig halten, sondern ihn seit Jahrzehnten praktizieren: Wir leisten grundsätzlich die humanitäre Hilfe gemeinsam mit – meist langjährigen – Partnerorganisationen aus der jeweiligen Krisenregion. Und wir sind aktives Mitglied des weltweiten  Netzwerkes kirchlicher Hilfswerke ACT Alliance – die  Mehrheit der Mitglieder stammt aus dem globalen Süden und hat bei der Definition von Policies, Standards etc. das Sagen.

Die lokalen Mitglieder definieren den Bedarf und in ihrer Hand liegen die Planungen für die Hilfsmaßnahmen. Deshalb sind die meisten der Verpflichtungen aus der „Charter for Change“ für die Diakonie Katastrophenhilfe schon lange selbstverständlich.  Wir sehen in der „Charta für den Wandel“ einen Initialimpuls und eine hilfreiche Ermunterung  für möglichst viele Organisationen konkrete Schritte zu unternehmen, um das humanitäre System endlich vom Kopf auf die Füße zu stellen. Hilfe zur Selbsthilfe – das soll auch zum Prinzip für die Humanitäre Hilfe werden.

 

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