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Die G7 und die Gipfelproteste

Von Sven Hilbig am

Gastbeitrag von Peter Wahl

G7-Gipfel ohne Proteste ist wie Oktoberfest ohne Bier. Das war nicht immer so. Die ersten Jahre in der Geschichte der G7 verliefen ohne organisierten Protest und nennenswerte Kritik. Die Gipfel waren in den ersten Jahren noch nicht ins Visier der Zivilgesellschaft geraten, obwohl diese damals – in der Nach-68er-Phase - durchaus recht stark war. Ändern sollte sich das erst 1984, vor allem bei den Gipfeln auf europäischem Boden. Zuvor waren in Großbritannien Margret Thatcher und  in den USA Ronald Reagan an die Regierung gekommen. Sie stehen für den Aufstieg des Neoliberalismus als gesellschaftspolitisches Leitbild. Das provozierte Protest und Widerstand, auch wenn damals noch nicht abzusehen war, welch tiefgreifenden Umbrüche damit eingeleitet worden waren.

Die Pioniere der organisierten Gipfelkritik kommen aus Großbritannien. Unter dem Titel The Other Economic Summit (TOES) wurde 1984 eine Konferenz parallel zum Londoner G7 abgehalten. Die Initiative war aus der damals noch jungen Umweltbewegung gekommen, die mit ihrer Hauptforderung nach einer umweltverträglichen Wirtschaftsweise auch das inhaltliche Profil prägte. Die Idee des Alternativgipfels hat sich bis heute gehalten.

Bonn 1985 – die erste Großdemonstration

Ein Jahr später, beim Bonner Gipfel 1985, kam es dann zum ersten Mal zu größeren Straßenprotesten. Eine Demonstration mobilisierte immerhin 25.000 Menschen. Es war die Zeit der Anti-Raketenbewegung und der erstarkenden Umweltbewegung. Die Abschlusskundgebung wurde von der Polizei wegen der Verbrennung einer US-Fahne gestürmt, wie der Autor dieser Zeilen mit eigenen Augen beobachten konnte, bevor sein Infostand zu Bruch ging. Heute gilt so etwas als Bagatelle, für die kein Polizist mehr seinen Gummiknüppel ziehen würde. Freilich gehört die Diskussion um Gewalt - auf beiden Seiten - seither zu allen G7-Protesten.

Gleichzeitig wurde eine Alternativkonferenz mit etwa tausend Teilnehmern durchgeführt. Die Kombination aus Alternativkongress und Straßenprotesten hat sich von da an fest etabliert, wobei je nach politischer Großwetterlage natürlich ein Auf und Ab zu verzeichnen ist. Ein absoluter Tiefpunkt war z.B. der TOES 1992, der in einem ehemaligen Münchner Pornokino ein Häuflein von vielleicht 150 Aufrechten versammelte. Eine Demonstration in der Größenordnung von 3.000 Leuten wurde aufgelöst und erregte nur deshalb mediale Aufmerksamkeit, weil 500 Demonstranten stundenlang von der Polizei rechtswidrig eingekesselt worden waren. Der bayrische Ministerpräsident Streibl sagte damals: „Wenn einer glaubt, sich mit Bayern anlegen zu müssen, dann muss er wissen, dass hartes Hinlangen bayerische Art ist.“[1]

Highlights der Gipfelproteste

Große Höhepunkte waren dagegen der Pariser Gipfel 1998, der im Kontext der Zweihundertjahrfeier der französischen Revolution Hunderttausend Menschen auf der Place de la Bastille versammeln konnte, oder Birmingham 2000, wo eine Kundgebung mit 70.000 Menschen den Abschluss der Kampagne für einen Schuldenerlass der armen Länder (Jubilee 2000) markierten. Die Proteste 2001 in Genua waren dann Ausdruck der aufstrebenden globalisierungskritischen Bewegung. Mit 250.000 Demonstranten erlebte dieser Gipfel die größte Mobilisierung in der Gipfelgeschichte. Leider wurde bei Auseinandersetzungen zwischen Polizei und einem Teil der Demonstranten der Student Carlo Giuliano von einem Carabiniero erschossen.

Der Gipfel in Genua sorgte jüngst wieder für Schlagzeilen, als der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Italien nach 14 Jahren für einen Polizeieinsatz im Rahmen des Gipfels verurteilte. Das Gericht wertete den Vorfall als „Folter“ und urteilte, „der brutale Einsatz der Polizei sei durch nichts zu rechtfertigen gewesen, die Polizisten hätten vielmehr willkürlich zugeschlagen. Außerdem seien die Polizisten, die den Mann damals misshandelten, nie identifiziert und zur Rechenschaft gezogen worden.“ [2]

Nach Genua finden die offiziellen Gipfel nicht mehr in Großstädten, sondern an entlegenen Orten, auf Inseln und in Wintersportorten statt. Die Hoffnung, dass die Proteste dadurch aufhören würden, hat sich allerdings nicht erfüllt, wie z.B. der letzte deutsche Gipfel in Heiligendamm zeigt. Es hat in Deutschland nie soviel Mobilisierung und soviel Medienresonanz für Gipfelproteste gegeben wie gerade 2008.

Ähnliches gilt für den Gipfel 2005 in Gleneagles, eine Dorf im schottischen Bergland. Um sein durch den Irak-Krieg angeschlagenes Image aufzubessern rief der damalige Premierminister, Tony Blair, das Jahr 2005 zum Jahr Afrikas aus und machte sich für eine Erhöhung der Entwicklungshilfe stark. Die britischen Gipfelkritiker, darunter einflussreiche entwicklungspolitische Hilfswerke, wie Oxfam, Christian Aid, etc. griffen das auf. Unter dem Slogan Make Poverty History entstand eine Kampagne, die bis weit in die Mitte der britischen Gesellschaft Fuß fasste. In kurzer Zeit wurde die Öffentlichkeit in einem Maße für Entwicklungsfragen sensibilisiert, wie das sonst über viele Jahre hinweg nicht möglich ist.

Was nutzen Kritik und Protest?

Ausmaß und Wirkung der Proteste waren immer Funktion der politischen Gesamtsituation im Land, in dem der Gipfel stattfindet. Und die kann wechseln, von Land zu Land und von Jahr zu Jahr. Beim Münchener Gipfel 1992 war gerade der Kalte Krieg vorbei, die westlichen Eliten erschienen als Sieger der Geschichte, Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen und gar Protest waren als altes Denken ziemlich außer Mode. Die Rio-Konferenz im gleichen Jahr erweckte den Eindruck, die Zivilgesellschaft würde jetzt in die offiziellen Entscheidungsprozesse einbezogen. Mit Dialog und konstruktiver Mitarbeit in den offiziellen Strukturen würde mehr erreicht, als durch Straßenaktionen.

Es dauerte einige Jahre, bis sich die Einsicht durchsetzte, dass ohne massiven öffentlichen Druck die schönsten Dialogveranstaltungen substanzloses Ritual bleiben. Es wäre einmal eine Evaluierungsanstrengung wert, den Weg von zivilgesellschaftlichen Vorschlägen und Forderungspaketen durch die offiziellen Instanzen der G7 zu verfolgen. Es ist wohl kein Zufall, dass z.B. die ansonsten so evaluierungsbesessene entwicklungspolitische Szene das bisher nicht angepackt hat. Vermutlich weil alle ahnen, dass die Ergebnisse niederschmetternd sein dürften. Dennoch sollte man einmal versuchen, auch empirisch feststellen, in welcher Aktenablage die Papiere der NGOs verstauben.

Demgegenüber waren Projekte, wie die Verschuldungskampagne in den späten Neunzigern insofern ein Erfolg, weil sie Druck von unten und Dialog geschickt kombinierten. Die HIPIC-Initiative beim Gipfel in Köln 1999 brachte zwar nicht die Erfüllung aller zivilgesellschaftlichen Wünsche, aber sie war ein Fortschritt, der ohne den Druck aus der Gesellschaft so nicht zustande gekommen wäre.

Der komparative Vorteil der Zivilgesellschaft liegt nun einmal nicht in technischer Expertise und Verfügungswissen, sondern in ihrer Glaubwürdigkeit, ihrem moralischen Standing, ihrem Orientierungswissen und dadurch in der Fähigkeit, auf die öffentliche Meinung einzuwirken. Wenn dann dazu noch der strategische Weitblick kommt, Ressourcen systematisch und für einen längeren Zeitraum auf ein Themenfeld zu konzentrieren, statt sich von Milchpulverproblemen über Aids und Biodiversität bis zur Finanzmarktreform in Dutzend Einzelthemen zu zersplittern. Nur über diesen „Umweg“ entsteht Druck und Einfluss auf Entscheidungen. Andernfalls hechelt sie nur der offiziellen Agenda hinterher und wird in Gremien und Dialog absorbiert.

Gelingt es nicht, eine solche zugegebenermaßen schwierige Strategie zu entwickeln, bleibt als zweitbeste Option noch die Möglichkeit, durch eine große Mobilisierung und Einwirkung auf die Öffentlichkeit die G7 generell als Institution auf umstritten zu stellen. Das war das Modell Heiligendamm. Dort war die Hauptbotschaft: die G7 (bzw. damals noch G8) sind Teil des Problems, nicht der Lösung. Ein paar Monate später fand dann ja auch prompt der erste G20-Gipfel statt und es sah so aus, als ob die G7 zur Bedeutungslosigkeit herabsinken oder gar abgeschafft würden.

Durch die Beschleunigung der Umbrüche im internationalen System – Aufstieg der BRICS-Staaten, Tendenz zu einer multipolaren Weltordnung, etc. – stellt sich die Frage nach der Zukunft der G7 und der G7-Kritik wieder neu. Um eine Antwort zu finden, bedarf es einer entsprechenden Diskussion innerhalb der Zivilgesellschaft. Wer fängt damit an?

[1] SPIEGEL, 13.07.1992. www.spiegel.de/spiegel/print/d-13679397.html

[2] Tagesschau, 7.4.2015.  www.tagesschau.de/ausland/g8-genua-urteil-101.html

Peter Wahl ist Vorsitzender der Nichtregierungsorganisation WEED - Weltwirtschaft, Ökologie & Entwicklung. Für Brot für die Welt beobachtet er den G7-Gipfel 2015 in Schloss Elmau.

 

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