Hinter den Kulissen wurde heftig gestritten - Herausgekommen ist ein lauer Kompromiss, in dem sich jedoch eine längst überfällige Kurskorrektur andeutet
Das Ziel klingt großartig - zumindest auf den ersten Blick: Die G7-Staaten wollen ihre Anstrengungen zur Sicherung der Welternährung verstärken und bis zum Jahr 2030 500 Millionen Menschen aus dem Hunger befreien. So hat es Bundeskanzlerin Angela Merkel am Montag zum Ausklang des G7-Gipfeltreffens in Elmau verkündet.
Doch die Initiatoren der neuen Anti-Hunger-Initiative der G7, Leitung und Ernährungsexperten des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), hatten sich zu Beginn eines mehrwöchigen Verhandlungsmarathons, der lange vor dem Gipfeltreffen begann, auf Schloss Elmau bis zum letzten Tag fortgesetzt wurde und nur mit Mühe finalisiert werden konnte, zu Beginn alles etwas anders vorgestellt.
Sie wollten der 2012 aus der Taufe gehobenen "G8 New Alliance for Food Security and Nutrition", die vor allem auf das Engagement großer transnationaler Agrar- und Lebensmittelkonzerne wie Monsanto, Coca Cola und Kraft Foods setzt und von der Zivilgesellschaft heftig kritisiert wird, etwas entgegensetzen - zumindest das G7-Engagement im Agrar- und Ernährungssektor in eine etwas andere Richtung drehen.
Und sie wollten die Staats- und Regierungschefs der G7 im Vorfeld der großen internationalen Konferenzen in Addis Abeba (Entwicklungsfinanzierung) und New York (Verabschiedung einer neuen Entwicklungsagenda) dazu bringen, sich ehrgeizige Ziele zu setzen und verbindliche Zusagen zu machen, die die nachfolgenden Konferenzen beflügeln.
Beides ist nur ein bisschen gelungen - aber immerhin: Wie man die G7-Schlusserklaerung zu diesem Bereich beurteilt, hängt davon ab, ob das Glas eher als halb voll oder als halb leer gesehen werden soll.
Viele Punkte, die den Initiatoren aus dem BMZ wichtig waren, finden sich zwar in der Schlußerklärung wieder, in den verschiedenen Verhandlungsrunden wurde aber Liter weise Lenor hineingegossen. Als Lenor, Weichspüler, werden in Verhandlungskreisen Worte und Redewendungen bezeichnet, die aus klaren Zusagen und Verpflichtungen unverbindliche Absichtserklärungen oder gar nur Andeutungen machen. Statt "wir sagen zu" heißt es dann "wir streben an" oder "wir wollen darauf hinarbeiten, daß..". Auch das Wörtchen "möglichst" ist so ein Hintertürchen, das eine Regierung davor schützen kann, später auf eine Zusage festgenagelt zu werden.
Die G7-Erklärung zum Kampf gegen den Hunger ist voll von solchen Weichspül-Worten. Das 5OO-Millionen-Ziel war ursprünglich so gedacht, dass die G7-Staaten, die "Pfeffersäcke dieser Welt" wie sie BMZ-Staatssekretär Friedrich Kitschelt in einer Rede mal ironisch nannte, tief ins Portemonnaie greifen und sich gemäß ihrer Wirtschaftskraft dazu verpflichten, ihren Teil dazu beitragen, dass der Hunger bis zum Jahr 2030 ganz aus der Welt geschaffen wird (so lautet eines der 17 neuen nachhaltigen Entwicklungsziele, die aller Wahrscheinlichkeit nach im September auf einem Sondergipfel der Vereinten Nationen in New York beschlossen werden).
Dem BMZ war es in den Verhandlungen besonders wichtig, darauf zu drängen, in den Entwicklungsländern die Infrastruktur zu stärken und zwar so, dass sie vor allem den Kleinbäuerinnen- und Kleinbauern zu Gute kommt. Gemäß dem Motto "public money for puplic goods" war und ist damit vor allem gemeint, dass die Regierungen der Länder, in denen Hunger herrscht, mehr Steuern eintreiben, damit sie ihre Kleinbauern stärker unterstützen, die Infrastruktur im ländlichen Sektor verbessern und vor allem auch soziale Sicherungssysteme auf- und ausbauen können. Aufgabe der G7-Staaten wäre es dann, mit angepasster Technologie, know how und öffentlichen Entwicklungsgeldern (ODA - official development assistance) vor allem die ärmeren Entwicklungsländer darin zu unterstützen, diese Aufgaben zu schultern.
Hinter diesem Ansinnen steht die Erfahrung, dass die besonders von den USA, Kanada und Japan propagierten Großinvestitionen des privaten Sektors in Bereiche fließen, die profitabel erscheinen - zum Beispiel in Großplantagen für Exportgüter wie Futtermittel für die (Massen)tierhaltung oder Energiepflanzen, aus denen Agrosprit gemacht wird. Solche Privatinvestitionen in den Agrarsektor führen zwar zur Produktionssteigerung - aber für wen? Im schlimmsten Fall können sie zur Folge haben, dass Kleinbauern vertrieben und ihre Existenzgrundlage beraubt werden. Dann haben solche Agrarinvestitionen sogar einen Effekt, der den Hunger verschärft.
Investitionen in die unabhängige Agrarberatung oder ein auch für arme Viehhalter bezahlbares Veterinärwesen, in erschwingliche Lagerhäuser und Kühlsysteme, in ein Mikrokreditwesen und in Landstraßen, die von den Feldern der Kleinbauern zu lokalen und regionalen Märkten führen, sind für private Geldgeber wenig attraktiv. Hier ist die öffentliche Hand gefordert - die Kombi von Eigenmitteln (domestic ressources) und Entwicklungsgeldern (ODA), die zumindest als Anschubfinanzierung nötig sind, bis ein sich selbst tragende Entwicklung in Gang gekommen ist.
In der G7-Erklärung zur Hungerbekämpfung wurde das Motto "public money for public goods" aber sehr verwässert und die Rolle ausländischer Privatinvestitionen, die ursprünglich relativiert werden sollte, recht stark betont. Die G7-Staaten verpflichten sich nicht mehr dazu, ODA-Mittel bereitzustellen, die dazu beitragen, 500 Millionen Menschen aus dem Hunger zu befreien. Sie "streben nur an" gemeinsam mit anderen (Geldgebern?) dafür zu sorgen, dass die Mittel zusammenkommen und sprechen auch davon, Privatinvestitionen mobilisieren zu wollen.
Klare ODA-Zusagen wären viel besser gewesen und hätten tatsächlich dazu beitragen können, die bevorstehenden Verhandlungen in Addis und New York zu beflügeln.
Dass hier auf G7-Ebene kein klares "Commitment" zu erreichen war, lag wohl hauptsächlich an Staaten wie Frankreich und Italien, die sich aufgrund ihrer Haushaltslage (und der von der Regierung Merkel eingeforderten Austeritätspolitik) nicht in der Lage sahen, größere Finanzzusagen zu machen - auch wenn sie nur indirekter Natur gewesen wären.
Dabei soll Frankreich bei einem anderen Streitpunkt die deutsche Position unterstützt haben - gegen Hardliner Kanada, Japan, USA und Großbritannien. So berichtet es jedenfalls eine französische NGO, die sich wohl mit ihrer Regierung ausgetauscht hat. Deutsche und Franzosen wollten einen deutlich breiteren, ganzheitlicheren Ansatz zur Hungerbekämpfung beschreiben und in der Schlusserklärung verankern, als ihn die bisherige G8 New Alliance mit ihrem "Die Privatwirtschaft soll's richten"-Motto propagiert hat. Und davon ist in dem tatsächlich beschlossenen "broader approach" auch einiges zu finden: ein Anti-Hunger-Engagement, dass auch eine Stärkung der sozialen Sicherungssysteme, des Gesundheits- und Bildungswesens sowie den Schutz der natürlichen Ressourcen und der biologischen Vielfalt umfasst, das die besondere Rolle der Frauen betont, sie stärken will und die intensive Einbeziehung der Kleinbauern bei der Förderung von Programmen der ländlichen Entwicklung und des Auf- und Ausbaus von regionalen Wertschöpfungsketten fordert.
Bemerkenswert ist auch, dass in dem Dokument die koordinierende Rolle des Komitees für Welternährung (Commity on Food Security, CFS), das bei der Welternährungsorganisation (FAO) der Vereinten Nationen angesiedelt ist, anerkannt wird. Das CFS besitzt hohe Legitimation und bezieht sowohl die Zivilgesellschaft als auch die Privatwirtschaft in verschiedenen Segmenten in seine Beratungen ein. Obwohl es in den letzten Jahren erfolgreich reformiert worden war, hatten die G7 dieses Gremium des VN-Systems bisher stets ignoriert und Parallelstrukturen geschaffen und bedient.
Deutet sich hier ein Positionswechsel der G7 an? Das könnte sein, wird sich aber erst in der Praxis erweisen. Und dass eine logische Schlussfolgerung aus der Anerkennung der koordinierenden Rolle des CFS, nämlich auch die Beschlüsse des CFS zu respektieren und die Aktivitäten der G7 nach den vom CFS erarbeiteten Freiwilligen Leitlinien zum verantwortungsvollen Umgang mit Landrechten, Fischgründen und Wäldern (VGGT) sowie den Prinzipien für verantwortungsbewusste Investitionen im Agrarbereich (rai) auszurichten, umstritten war und nur sehr vage und abgeschwächt in die Abschlusserklärung aufgenommen werden konnte, lässt Zweifel aufkommen, ob hier tatsächlich eine Kurskorrektur erreicht werden konnte oder nur ein ganz kleines Schrittchen in die richtige Richtung, dem einige G7-Staaten nur zähneknirschend zugestimmt haben.
Dass das von nahezu allen Staaten der Welt ja eigentlich anerkannte Recht auf Nahrung und die im FAO-Rahmen beschlossenen Freiwilligen Leitlinien zu seiner Umsetzung nicht im G7-Schlussdokument erwähnt werden - die USA lehnten das strikt ab - ist traurig und unverständlich. Dass der 2OO8 erschienene Weltagrarreport (IAASTD) im Dokument nicht auftaucht, war dagegen - leider - zu erwarten. Mit seiner Forderung nach einer Ökologiesierung der Landwirtschaft passt er in keinem G7-Staat zum agrarpolitischen Mainstream. Momentan liegen die agrarmethodischen Vorstellungen des BMZ und in der gefühlten Mitte zwischen den Empfehlungen des Weltagrarreports und dem Konzept der "nachhaltigen Intensivierung", das von den Grundprinzipien der konventionellen Landwirtschaft getragen ist aber den Einsatz von Stickstoffdünger und Pestiziden auf ein Minimum reduzieren will
Brot für die Welt und vielen anderen NGOs wie zum Beispiel Misereor, Welthungerhilfe, Inkota und Oxfam geht die Strategie des BMZ zur Hungerbekämpfung und im Agrarbereich noch nicht weit genug. Das BMZ setzt noch zu stark auf nicht nachhaltige Methoden der konventionellen Landwirtschaft und hat erst in letzter Zeit und noch zu zaghaft die Situation der Ärmsten der Armen in den Blick genommen.
Allerdings ist im BMZ zunehmend Dialogbereitschaft festzustellen und erste Korrekturen an der Sonderinitiative Eine Welt ohne Hunger gehen nach Meinung von Brot für die Welt in die richtige Richtung.
Bei aller berechtigten Kritik der entwicklungspolitischen NGOs am BMZ wurde jetzt in den Verhandlungen vor und auf dem Gipfel in Elmau aber deutlich, dass im Kreis der G7-Länder Deutschland aus NGO-Sicht zu den Progressivsten - oder anders ausgedrückt, zu den Nachhaltigsten zählt.
Thilo Hoppe und Stig Tanzmann