Der Geruch ist typisch. In die Abendluft mischt sich auf indischen Straßen der Duft von Holzfeuer, der Gestank von Kerosin und ein Hauch von Kohle – Indien kocht. Fast 800 Millionen Menschen des Subkontinents sind für die Zubereitung ihrer Mahlzeiten auf Kohle- oder Holzfeuer angewiesen oder betreiben einen Herd mit Kerosin. In den kleinen, dunklen und verrauchten Küchen gefährdet der Qualm die Gesundheit ganzer Familien. Auch im Großen ist diese Art des Kochens ein Problem: Viel Treibhausgas entsteht – eine Gefahr für das Klima.
Cornelia Füllkrug-Weitzel, Präsidentin von Brot für die Welt, sagt: „Indien ist in Sachen Klimaschutz sehr interessant.“ Das Land sei widersprüchlich: „Auf der einen Seite das Schwellenland mit 5 Prozent Wirtschaftswachstum und dem hohen Ausstoß an Treibhausgas – auf der anderen Seite 200 Millionen Hungernde, viele schon jetzt Opfer des Klimawandels und ohne Zugang zu sauberer Energie oder nachhaltiger Entwicklung.“
Einblick in den Alltag von Familien
Wie geht es den Menschen in diesem Land der Gegensätze? Davon macht sich Anfang April eine Delegation von Brot für die Welt ein Bild – mit dabei Cornelia Füllkrug-Weitzel. Rechtzeitig vor dem nächsten Klima-Gipfel in Paris besuchen die Fachleute gemeinsam mit Vertreterinnen und Vertretern aus Politik und Medien Klimaschutz-Projekte der Partner von Brot für die Welt und des kirchlichen Treibhausgas-Kompensationsfonds Klima-Kollekte. Bei der Reise ergeben sich auch immer wieder interessante Debatten mit indischen Nichtregierungsorganisationen und den Partnern von Brot für die Welt über die Klimapolitik Indiens und die Strategie für den Gipfel in Paris.
In den Dörfern im Süden des Landes, nördlich von Bangalore, zeigen Familien der Delegation aus Deutschland stolz ihre neuen Öfen. Sie werden mit Biogas statt mit Kerosin, Holz oder Kohle betrieben. In 17.000 Haushalten hat die Partnerorganisation von Brot für die Welt, ADATS, diese Kochstellen eingerichtet. Die Bilanz fürs Klima ist beachtlich: Allein diese Biogasöfen haben der Umwelt bisher insgesamt 250.000 Tonnen Kohlendioxid erspart.
Dung befeuert die Küche
Das Prinzip ist einfach: Der Dung von Kühen, Ziegen und Schafen wird mit Wasser vermengt und in die Anlage gefüllt. Ein schwarzer Schlauch leitet das entstehende Gas zum Herd. Dort wird es entzündet. Die Familien sind zufrieden: „Der neue Herd ist viel besser. Jetzt ist das Essen fertig, wenn meine Kinder aus der Schule kommen“, sagt Lukisama Adinarayanappa aus dem Dorf Golapalli. . Die 20-Jährge spart das Geld für Kerosin, sie muss auch kein Holz als Brennmaterial mehr beschaffen und entgeht dem Risiko, beim Sammeln im Wald vergewaltigt zu werden. „Und das Feuer brennt heißer“, ergänzt Jamama Siddappa, in deren Küche noch der verrußte alte Herdabzug zu sehen ist.
Für ein ausgeglichenes Verhältnis
250.000 Tonnen nicht ausgestoßenes Kohlendioxid sind ein Beitrag für den Klimaschutz – und sie sind echtes Geld wert: als Emissionszertifikate, also Verschmutzungsrechte. Dabei kommt die Klima-Kollekte ins Spiel. Der kirchliche Kompensationsfonds kauft Zertifikate von den Betreibern indischer Biogasanlagen und gleicht damit den Ausstoß von Kohlendioxid in anderen Teilen der Welt aus. Das Treibhausgas entsteht etwa bei den Dienstreisen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Brot für die Welt. Cornelia Füllkrug-Weitzel: „Natürlich ist das Vermeiden von Treibhausgas sehr wichtig, aber wenn sich . Reisen nicht vermeiden lassen, leistet die Klima-Kollekte gute Dienste. Erst recht, seit es den Gold-Standard gibt.“
Eigner Herd ist Goldes wert
Dieser Standard ist wichtig, denn beim Ausgleich von CO2 ist nicht alles Gold, was glänzt. So gibt es in Indien große Wasserkraftwerke, die Zertifikate anbieten. Wasserkraft ist klimafreundlich, aber wenn für den Bau der Anlage Hundertausende vertrieben werden, ist der Klimaschutz viel zu teuer zulasten der Menschen erkauft. Der Neubau von solchen Anlagen kann den CO2-Ausstoß senken, aber wichtig ist auch, die Umwelt zu erhalten und etwas gegen die Armut in der Region zu tun. Als Gold-Standard gelten daher nur Projekte, die unterm Strich dem Klima, der Umwelt und den Menschen nutzen. Die 17.000 Biogasanlagen von ADATS erfüllen diese Anforderung – sie machen die Leute in den Dörfern unabhängig von teuren, klimaschädlichen Brennstoffen und bekämpfen die Armut wirksam. Daher fördert die Klima-Kollekte das Projekt.
Die Rolle der Seidenraupe
Immer mehr Menschen kochen in Indien mit Biogas – und die Leute in den Dörfern entwickeln die Anlagen weiter. Sie setzen auf die Hinterlassenschaften ganz besonderer Tiere: Die Ausscheidungen von Seidenraupen sind im Vergleich zu Kuh- und Ziegendung schwerer zu sammeln, aber sie haben einen deutlich höhreren Brennwert. In vielen Häusern gibt es daher große Regale mit Körben, in denen sich Seidenraupen durch die Maulbeerbaumblätter fressen. Und bevor die Kokons als Rohstoff der prächtigen Saris enden, die die Frauen in Indien stolz tragen, sorgt der Raupen-Dung für das warme Abendessen.
Seit 1986 fördert das evangelische Hilfswerk ADATS – jüngst in der Stärkung der Selbstorganisation der benachteiligten Landbevölkerung und zur Fortbildung von 25 Nichtregierungsorganisationen, damit sie Emissionszertifikate vermarkten können. Seit 2011 hält die Klima-Kollekte solche Zertifikate.