Jetzt haben wir eine neue Agenda für eine weltweite nachhaltige Entwicklung - und nun? Nach dem großen SDG-Event in New York geht’s jetzt nach Paris und vor allem an die Hausaufgaben!
Der größte Gipfel in der Geschichte der Vereinten Nationen ist vorbei: Die Vertreter von 193 Nationen, darunter 152 Staats- und Regierungschefs, haben vom 25. bis zum 27. September in New York über die Zukunft der Welt debattiert und eine neue Agenda für eine nachhaltige Entwicklung beschlossen, die es in sich hat. Kernstück sind 17 so genannte Sustainable Development Goals (SDGs), die bis 2030 erreicht werden sollen und – wenn man sie wirklich ernst nimmt – von ALLEN Ländern tiefgreifende Veränderungsprozesse einfordern. Es geht darum, Politik, Wirtschaft , Konsumverhalten und Lebensstil künftig so zu gestalten, dass wirklich alle Menschen in Sicherheit und Würde leben können, ohne dass Raubbau an der Natur begangen oder auf Kosten nachfolgender Generationen gelebt wird.
Zu den 17 globalen Zielen für eine weltweite nachhaltige Entwicklung gehören sowohl klassische Entwicklungsziele wie die vollständige Überwindung von extremer Armut und Hunger als auch Ziele, die dem Schutz der natürlichen Ressourcen (Klima, Gewässer, Böden, biologische Vielfalt) dienen. Dazu kommen u.a. die Überwindung der Ungleichheit zwischen und in den Ländern, die Etablierung nachhaltigerer Produktions- und Konsummuster sowie gute Regierungsführung und freier Zugang zur Justiz.
Neue Agenda mit großem Potenzial
Würde man tatsächlich umsetzen, was in der umfangreichen Schlusserklärung mit den 17 SDGs und den 169 Unterzielen steht, wäre dies in der Tat die Einleitung einer großen sozial-ökologischen Transformation – nicht die Addition von vielen Einzelmaßnahmen sondern das Beschreiten eines neuen Entwicklungspfades, der nicht mehr vom Konzept der „nachholenden Entwicklung“, ausgerichtet am Wachstumsmodell der Industrienationen, geprägt ist.
Doch wird jetzt wirklich alles besser? Auf dem Papier schon, aber in der Wirklichkeit noch lange nicht! Die neue Agenda ist zwar weder perfekt noch frei von Widersprüchen, aber für ein Verhandlungsergebnis, das letztendlich von alle Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen akzeptiert wurde, erstaunlich ambitioniert.
Legt man den Text der in New feierlich verabschiedeten Schlusserklärung neben die Nachrichten und die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die in den letzten Tagen veröffentlich worden sind, dann wird ein gewaltiger Graben deutlich, der zwischen den Bekenntnissen und der Realität klafft.
SDG Nummer 10 zielt auf die Überwindung der Ungleichheit zwischen und in den Staaten und fordert in einem Unterziel sogar konkrete Umverteilungsmaßnahmen von oben nach unten. Tatsächlich aber hat sich die Schere zwischen arm und reich sowohl weltweit als auch in der großen Mehrheit aller Länder im letzten Jahr erneut noch weiter geöffnet.
SDG Nummer 12 fordert nachhaltigere Produktions- und Konsummuster. Tatsächlich aber sind die Treibhausgasemissionen weiter angestiegen.
Diese Liste ließe sich beliebig fortsetzen – etwa mit einer Gegenüberstellung der schönen Worte, die in der Schlusserklärung zu einem humanen Umgang mit Flüchtlingen und Migranten zu finden sind, mit Bildern aus dem Mittelmeer, aus Ungarn oder unzureichend ausgestatteten Flüchtlingslagern überall auf der Welt.
Die Regierungschefs beim Wort nehmen!
Ist die Ende September in New York beschlossene Agenda 2030 deshalb wertlos? Keineswegs! Die Staats- und Regierungschefs sollen sich noch wundern über das, was sie da mit viel Pathos beschlossen haben! Es kann und darf nun nicht mit „business as usual“ weitergehen. Das steht sogar genau so in der von allen akzeptierten Erklärung. Und daran müssen nun viele, viele Menschen aus den Parlamenten, aus der Zivilgesellschaft einschließlich der Kirchen und Religionsgemeinschaften, aus der Wissenschaft und ja, auch aus der verantwortungsbewussten Wirtschaft, die Regierungen immer und immer wieder erinnern. „Wir müssen die Staats- und Regierungschefs mit dem konfrontieren, was sie in New York beschlossen haben. Wir müssen fordern, dass den Worten jetzt Taten folgen. Wir müssen Regierungen drängen, jetzt nationale Aktionspläne zur Umsetzung der SDGs zu erarbeiten und die Zivilgesellschaft daran zu beteiligen“, so Danny Sriskandarajah von CIVICUS International, der als Vertreter von NGO-Bündnissen vor der UNO sprechen durfte.
Auch Salil Shetty von Amnesty International appellierte an die Staats- und Regierungschefs, es nicht bei Sonntagsreden zu belassen sondern nach dem Gipfel an die Hausaufgaben zu gehen. Er forderte vor allem, der Zivilgesellschaft mehr Luft zum Atmen zu lassen. In 96 Ländern werden Menschenrechts- und Umweltaktivisten und Gewerkschafter verfolgt oder zumindest in ihrer Arbeit stark eingeschränkt. Aber gerade sie werden dringend benötigt, um die neue Agenda mit den 17 SDGs bekanntzumachen und umzusetzen.
Die neue Agenda wird nicht von allein die Welt verändern. Aber sie ist ein hervorragender Referenzrahmen, auf den sich jetzt alle berufen können, die von ihren Regierungen konkrete Veränderungsprozesse einfordern, mutige Schritte hin zu einer menschenrechtsbasierten nachhaltigen. Entwicklung.
Nach dem Gipfel ist vor dem Gipfel. Der erste Lackmustest wird der Klimagipfel Anfang Dezember in Paris sein. Bundeskanzlerin Merkel hat in New York die Dekarbonisierung der Weltwirtschaft gefordert. Frankreichs Präsident Hollande fand ähnliche Worte. Auf offener Bühne gab es dazu keinen Widerspruch. Die Vertreter der kleinen Inselstaaten flehten geradezu darum, rigorose Maßnahmen zu ergreifen, um die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen („Wir gehen sonst unter“). Selbst 2 Grad seien für die Inseln im Südpazifik zu viel. Tatsächlich befindet sich die Welt auf einem Pfad, der zu einer Erderwärmung zwischen 3 und 4 Grad führen würde, wenn nicht bald das Steuer herumgerissen wird. Wird das in Paris gelingen?
„Nach den Gipfelhöhen kommen die Mühen der Ebene“. So heißt es in einer Stellungnahme des Verbandes der entwicklungspolitischen Nichtregierungsorganisationen in Deutschland (VENRO). Die Bundesregierung hat – vertreten durch das Entwicklungs- und das Umweltministerium – eine positive Rolle bei der Erarbeitung der neuen Agenda mit den ambitionierten Zielen gespielt. Jetzt sollte sie sich darum bemühen, auch bei der Umsetzung in und durch Deutschland vorbildlich zu sein. Aber da liegt noch vieles im Argen. Das Festhalten an der Braunkohleverstromung, an einer keineswegs nachhaltigen Landwirtschaft und an Freihandelsabkommen ohne klare Bindung an strenge Menschenrechts-, Umwelt- und Sozialstandards, stehen im Widerspruch zu den 17 Zielen, für die sich Deutschland auf globaler Ebene stark gemacht hat. Diese Widersprüche und Inkohärenzen gilt es jetzt anzusprechen und mit Nachdruck zu bearbeiten.
Dies soll nach aktueller Beschluss der Bundesregierung durch die Überarbeitung der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie geschehen. Doch dabei will man sich auf einige Schwerpunktthemen konzentrieren, statt zu allen 17 SDGs mit sämtlichen Unterzielen Stellung zu nehmen. Hier gibt es noch erheblichen Diskussions- und Veränderungsbedarf. Eine Herausforderung für den Bundestag und die Zivilgesellschaft, der sich auch Brot für die Welt stellt.
Herausforderung auch für die Kirchen
Dabei geht es nicht nur um Forderungen an die Bundesregierung, an die Wirtschaft, an „andere“. Kirchen und kirchliche Hilfswerke sind jetzt auch herausgefordert, darüber nachzudenken, was sie selbst zur Verbreitung und Umsetzung der neuen Agenda und der Erreichung der SDGs beitragen können.
Dabei wird auch die spirituelle Dimension eine wichtige Rolle spielen. Denn ohne Bewusstseinswandel, ohne spirituelle Transformation, wird die weltweite sozial-ökologische Transformation nicht zu haben sein. Es geht dabei ja auch um die Überwindung des Strebens nach unbegrenztem Wachstum und um eine „Ethik des Genug“. Dann werden die Fragen „Woran hängst Du Dein Herz?“ und „Was brauchst Du wirklich – für ein gutes Leben, um glücklich zu sein?“ zentral.