Mit großem Interesse sieht Brot für die Welt dem G7-Gipfel in Deutschland entgegen. Daher werden wir in den nächsten 13 Wochen immer wieder aktuelle Blogbeiträge im Vorfeld des Weltgipfels veröffentlichen. In diesem Beitrag geben wir einen Überblick über unsere Erwartungen.
Der diesjährige G7-Gipfel findet am 7. und 8. Juni 2015 in Schloss Elmau bei Garmisch-Partenkirchen statt. Seit dem letzten Gipfel auf deutschem Boden, 2008 in Heiligendamm, hat sich die Welt weiter verändert. Wenige Monate nach Heiligendamm erschütterte die größte Finanzkrise seit dem Zweiten Weltkrieg die Weltwirtschaft. Auch die Entwicklungs- und Schwellenländer wurden unverschuldet in ihren Sog gerissen. In der EU ging die Finanzkrise in eine Schuldenkrise über, die bis heute ungelöst ist. Die Eurozone wurde zum „kranken Mann“ der Weltwirtschaft. Instabilität, Ungleichgewichte und Ungewissheit in der globalen Wirtschaft haben zugenommen.
Veränderte geopolitische Lage seit 2008
Zudem sind geopolitische Konflikte aufgebrochen, – in Nahost und Nordafrika, im Südchinesischen Meer, in der Ukraine – die sich über die schrecklichen Folgen für die direkt Betroffenen hinaus auch auf Weltwirtschaft und Entwicklung auswirken. Die Weltordnung, die sich nach dem Kalten Krieg herausgebildet hatte, befindet sich erneut im Umbruch. Aufsteigende Länder streben eine multipolare internationale Ordnung an und stellen die fünfhundertjährige ökonomische, kulturelle und militärische Dominanz des Westens in Frage. Sie haben gute Gründe dafür. Doch dadurch ergeben sich auch neuartige und komplexe Fragen, auf die es noch wenige Antworten gibt.
Gleichzeitig ist es bisher nicht gelungen, bei der Lösung der großen Menschheitsprobleme Klimawandel, Umweltzerstörung, Krieg, Armut und soziale Ungleichheit substantielle Fortschritte zu erzielen. Es besteht die Gefahr, dass Krisen und Umbrüche die Problemlösungsfähigkeit von Regierungen und multilateralen Institutionen derart absorbieren, dass Menschenrechte, Umwelt, Frieden und Entwicklung weiter ins Hintertreffen geraten.
Vor 40 Jahren als Weltwirtschaftsgipfel gegründet
Vor vierzig Jahren mit dem Anspruch als Weltwirtschaftsgipfel gegründet, findet sich die G7 heute in einem völlig anderen Kontext. So repräsentieren die Mitglieder heute nicht mehr die sieben stärksten Volkswirtschaften. Schon jetzt würden Italien und Kanada herausfallen, und spätestens in fünf Jahren auch Frankreich und Großbritannien. Neben den G7 sind neue Akteure entstanden, darunter die G20 und die Allianz der BRICS-Staaten. Das Monopol der G7 auf Steuerung der Weltwirtschaft besteht nicht mehr. Das geht mit einem Funktions- und Bedeutungsverlust einher. Es ist ungewiss, welche Rolle die Gruppe zukünftig spielen soll.
G7 schon lange umstritten
Dabei ist die G7 schon lange umstritten und Gegenstand von Kritik und Protesten. So zum Beispiel wegen
- des exklusiven Clubcharakters der Gruppe,
- den Verdrängungseffekten gegenüber dem UN-System, das trotz Reformbedarf noch immer am ehesten einem universalen und demokratischen Multilateralismus nahekommt,
- der Vorreiterrolle bei der Durchsetzung des neo-liberalen Leitbildes seit den 1980er Jahren, und damit der Mitverantwortung für dessen Scheitern spätestens in der Finanzkrise 2008,
- der Rolle der G7 an der Spitze des Schuldenmanagements in der Verschuldungskrise des Südens, insofern die G7 den Schuldnern Strukturanpassungen diktierte, deren Kosten primär zu Lasten von Sozialem, Gesundheit, Bildung und anderen Gemeinschaftsgütern gingen und damit zu Lasten der Armen und verwundbaren Gruppen,
- zahlreicher gebrochener Zahlungsversprechen in Umwelt- und Entwicklungsfinanzierung,
- der Unfähigkeit, einen ihrem Gewicht entsprechenden Beitrag zur Lösung der planetarischen Probleme von Klimawandel, Umweltzerstörung, Armut und sozialer Polarisierung zu leisten.
Wenn die G7 zukünftig eine positive Rolle spielen soll, muss sie sich stärker auf ihr Gründungsmotiv besinnen: So wie die Weltwirtschaft nach Ende der festen Wechselkurse und der Golddeckung des Dollars nicht einfach den Märkten überlassen, sondern Marktversagen durch politische Kooperation vermieden werden sollte, so ist es heute dringend geboten, die problematischen Seiten globalisierter Märkte durch politische Regulierung unter demokratische Kontrolle zu nehmen.
Wertegemeinschaft oder Wagenburg?
Die G7 reagieren auf ihren Bedeutungsverlust damit, sich als „Wertegemeinschaft“ zu definieren. Hier läge eine Chance. Demokratie, politische und soziale Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, Bewahrung der Schöpfung, soziale Gerechtigkeit und die friedliche Lösung von Konflikten sind voneinander untrennbare Momente unseres Wertesystems. Wenn sich die G7 zum Vorreiter bei dessen Verwirklichung macht, würde sie noch gebraucht. Dagegen wäre es eine Sackgasse, die Gruppe zur Wagenburg des Westens zu machen.
Sieben Aufgaben für G7
Eine Vorreiterrolle für eine global zukunftsfähige Entwicklung einzunehmen und auch angemessen auszufüllen setzt voraus, dass die G7 den großen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts begegnet, indem sie sich den folgenden Aufgaben stellt:
- Auf dem Weg zu einem ambitionierten, gerechten und verbindlichen Klimaabkommen müssen die G7-Staaten Verantwortung übernehmen. Die Klimapolitik muss sich dabei an den Bedürfnissen der ärmsten und verletzlichsten Menschen ausrichten. Ambitionierte Emissionsreduktionsziele, der Ausstieg aus fossilen Energien und der Zugang zu erneuerbaren Energien für alle Menschen müssen zur Chefsache erklärt werden genau wie Zusagen zu einer langfristigen Klimafinanzierung und die Unterstützung von armen und verletzlichen Staaten in der Erhöhung ihrer Klima-Resilienz (Widerstandsfähigkeit gegen Folgen des Klimawandels). Die G7-Staaten müssen auf dem Weg nach Paris das Signal senden, dass niemand in der Klimakrise zurückgelassen wird.
- Ein nachhaltiges Wirtschaften setzt die Schaffung von sozial und ökologisch nachhaltigen Produktions- und Handelsketten voraus. Eine Beschränkung auf freiwillige Selbstverwirklichung ist keine angemessene Antwort auf die menschen- und arbeitsrechtlichen sowie ökologischen Probleme. Die G7 müssen sich vielmehr für verbindliche Vorgaben in den Bereichen Transparenz und menschenrechtliche Sorgfaltspflichten einsetzen, und zwar entlang der gesamten Wertschöpfungskette.
- Die G8-Staaten haben 2012 die Neue Allianz für Ernährungssicherung in Afrika geschaffen. Doch statt die Durchsetzung des Rechts auf Nahrung zu befördern, dient sie den Interessen von Konzernen. Die Neue Allianz muss entweder neu ausgerichtet oder beendet werden. Die geplanten Reformen, die großflächige Landinvestitionen vereinfachen und es Kleinbauern und -bäuerinnen erschweren, wie gewohnt ihr Saatgut zu erhalten, zu tauschen und zu verkaufen, müssen gestoppt werden.
- Die G7 müssen gute Arbeit ermöglichen. Dies setzt die Schaffung von ausreichenden, gerecht entlohnten und sozial abgesicherten Beschäftigungs- und Arbeitsverhältnissen für Frauen sowohl im formellen als auch im informellen Sektor weltweit voraus. Frauen und Mädchen brauchen Zugang auch zu wissenschaftlichen und technischen Berufen, um die bestehende Geschlechterungleichheit in diesen Bereichen zu überwinden.
- Die G7 sollten Antibiotika und andere Medikamente zur Behandlung von Infektionskrankheiten als globale öffentliche Güter anerkennen und die gravierende Zunahme antimikrobieller Resistenzen stoppen. Dazu sollten sie Regulierungen schaffen, die den Missbrauch von Antibiotika in der Tierhaltung eindämmen, so dass der Erhalt wirksamer Antibiotikabehandlung für die menschliche Gesundheit Vorrang vor ihrem kommerziellen Nutzen in der Nahrungsproduktion hat. Außerdem sollten sie Forschung und Entwicklung von neuen Medikamenten für armuts-assoziierte Infektionskrankheiten durch öffentliche Förderung verstärken .
- Trotz der G20 Initiativen bestehen die Risiken in den globalen Finanzmärkten fort. Die G7 sollten daher die Regulierung der Schattenbanken vorantreiben und ein Überprüfungsverfahren für neue Finanzmarktprodukte einführen. Notwendig wird zudem ein geordneter Entschuldungsmechanismus für Staaten. Für private Investitionen muss ein verbindliches Rahmenwerk entwickelt werden für die Einhaltung von Menschenrechts- und Umweltstandards.
- Fast die Hälfte der weltweiten Fischimporte werden in den G7 Staaten konsumiert und ihre Fangflotten gehören zu den größten der Welt. Daher kommt den G7 eine besondere Verantwortung zu, das ökologische Gleichgewicht der Weltmeere wiederherzustellen. Die G7 müssen sich viel stärker gegen Überfischung, Meeresverschmutzung, z.B. durch Plastikeinträge und extraktive Industrien, einsetzen. Eine Reduzierung von Fangkapazitäten, ein Verbot von schädlichen Fangtechniken, ein Moratorium für den Tiefseebergbau und ein massiver Ausbau von Meeresschutzzonen sollte von den G7 praktiziert und international einfordert werden.