Bei der Vorstellung des ersten internationalen Global Nutriton Reports im BMZ am 2. Juni 2015 wurde deutlich, dass in vielen Ländern die Datengrundlage für die Ermittlung von Fehlernährung sehr lückenhaft ist. Trotzdem kann bereits jetzt festgestellt werden, dass Investitionen zur Reduzierung von Fehlernährung einen hohen individuellen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Nutzen haben.
Der Global Nutrition Report, erstellt von einer internationalen Expertengruppe, macht deutlich, dass sich Interventionen in die Verbesserung der Ernährungssituation lohnen. Die Kosten-Nutzenanalyse ergab für 40 Länder einen Durchschnittswert von 1:16. Das heißt, für jeden eingesetzten Euro kann ein Nutzen von 16 Euro quantifiziert werden. Interventionen sind also allein aus wirtschaftlicher Sicht hoch profitabel. Aber anscheinend ist dies in der internationalen Gebergemeinschaft und bei Wirtschaftsunternehmen noch nicht so bekannt, denn eine solch hoher Nutzen müsste eigentlich mehr Investitionen in den Kampf gegen Fehlernährung zur Folge haben. Warum dies nicht so ist, hat mehrere Gründe. Unter anderem ist die Datengrundlage für die Ermittlung von Fehlernährung mangelhaft. Von 193 Staaten haben 84 Staaten keine Daten zur Feststellung von Unterernährung bei Kindern verfügbar. Bei der Festellung von Übergewicht und Fettleibigkeit ist es ähnlich. Bei 86 Staaten gibt es keine Datengrundlage. Ebenso fehlen in vielen Staaten einheitliche politisch kohärente Konzepte zur Bekämpfung der Fehlernährung, Zum Beispiel sind Maßnahmen der Agrarpolitik (verbesserte nährstoffreiche Sorten) und der Gesundheitspolitik (Verbesserung der hygienischen Bedingungen) nicht aufeinander abgestimmt. Und es fehlt in vielen Staaten noch die Verantwortlichkeit. Versprechungen zur Reduktion der Fehlernährung werden schnell gemacht, aber auch wieder schnell vergessen. Deshalb ist es eine prominente Aufgabe der Zivilgesellschaft, diese Verantwortung der Staaten einzufordern, damit das Recht auf ausreichende und angemessene Ernährung für alle auch umgesetzt wird.
Für viele Nahrungsmittelunternehmen bietet der Kampf gegen Fehlernährung auch neue wirtschaftlich interessante Geschäftsfelder. In Zusammenarbeit mit der Forschung werden Nahrungsmittel mit Vitaminen und Mineralstoffen entweder durch konventionelle züchterische Maßnahmen oder durch Gentechnologie angereichert und zunehmend auch in Entwicklungsländern vermarktet. Diese "biofortifizierten" Nahrungsmittel können zwar kurzfristig Mängel beseitigen, sind aber vor allem für arme Bevölkerungsgruppen nicht bezahlbar und bei unzureichendem Marktzugang nicht verfügbar. Deshalb kann dieser Weg nicht die Lösung sein und darf nicht von der wichtigsten Aufgabe ablenken: Die Ursachen für Fehlernährung müssen beseitigt werden und die Bedingungen für Produktion und Konsum von Nahrung sind so zu verändern, dass alle Menschen die Möglichkeit haben, sich gesund und vielseitig zu ernähren. Brot für die Welt setzt sich daher für ein grundlegendes Umdenken in der Ausrichtung der Gesundheits- und Ernährungssysteme weltweit ein.
Elementar ist dabei die menschenrechtliche Perspektive, besonders das Recht auf Nahrung und Gesundheit. Das Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen, vor allem von Frauen auf eine gesunde und ausgewogene Ernährung sollte berücksichtigt werden. Die Agrar- und Ernährungssysteme sollten auf einer lokalen und regionalen Nahrungsmittelproduktion aufbauen und die Erfordernisse kleinbäuerlicher Produktionssysteme berücksichtigen. Lokale Märkte und Wertschöpfungsketten sollten gefördert werden. Der Zugang von bäuerlichen Familienbetrieben und weiterer Nahrungsmittel produzierende Bevölkerungsgruppen zu Land, Saatgut, Fischgründen und Wasser sollte gesichert sein, damit sie über naturschonende und agrarökologische Anbaumethoden nährstoffreiche Nahrungsmittel produzieren können. Zur Sicherung einer guten Ernährung sind die Stärkung der Agrobiodiversität und die Weiterzüchtung von lokalem und traditionellen, wenig erforschtem Saatgut durch konventionelle Züchtungsverfahren notwendig. Wichtig ist, dass die Bäuerinnen und Bauern die Kontrolle über ihr Saatgut behalten und gegenüber den Interessen der Industrie geschützt werden. Verfahren der grünen Gentechnik und der Fortifizierung von Nahrungsmitteln durch Biotechnologie sollten nicht zum Einsatz kommen, da ihre Folgen ökologisch und gesundheitlich äußerst bedenklich beziehungsweise noch nicht genügend erforscht sind.
Ebenso wichtig ist, dass insbesondere in Ländern mit einem hohen Grad an informeller und ländlicher Beschäftigung soziale Sicherungssysteme geschaffen werden. Investitionen in Gesundheitsdienste sind notwendig, damit unter- und mangelernährte Menschen, besonders Kinder, jederzeit Zugang zu kostenloser medizinischer Behandlung haben. Staatliche Investitionen sollten den Zugang zu sauberem Wasser und funktionierenden Sanitäreinrichtungen gewährleisten, um zum Beispiel Infektionen oder Durchfall zu vermeiden, damit der Körper die verbesserten Nahrungsmittel aufnehmen und verarbeiten kann.
Der 2. Global Nutrition Report, mitfinanziert durch das BMZ, soll im Herbst 2015 erscheinen. Aus Sicht von Brot für die Welt wäre es wünschenswert, wenn der neue Bericht Perspektiven für den notwendigen Umbau der Ernährungs- und Gesundheitssysteme aufzeigen könnte.