Aus europäischer Sicht kann Klimaschutz in Indien doch gar nicht so schwer sein: Man fährt einfach über die Dörfer des Subkontinents und lädt Solaranlagen ab. Sonne gibt es in den allermeisten Regionen genug. So kommen die Menschen an nachhaltige Technologien, die sie sich auch leisten können.
„Nein, so funktioniert es nicht“, sagt Rem Esteves, der charismatische Chef von ADATS, der Partnerorganisation von Brot für die Welt und der Klima-Kollekte, die in ADATS-Projekten Treibhausgas kompensiert. Wie langfristig und sorgfältig die Beziehungen zu Dörfern mit armen Bewohnerinnen und Bewohner gepflegt werden müssen, um Klimaschutz erfolgreich zu machen, stellt eine Delegation von Brot für die Welt Anfang April bei einer Projektreise durch Indien fest. Zur Gruppe gehören auch Leute aus Politik und Medien, die mit den Partnerorganisationen und indischen Nichtregierungsorganisationen leidenschaftlich die indische Klimapolitik und die beste Strategie für die nächste Klimakonferenz im Dezember in Paris diskutieren.
Investition mit Weitblick
Dass klimafreundliche Energieerzeugung genutzt und erhalten wird, darin hat ADATS Jahrzehnte investiert. Seit langem kümmert sich die Organisation um die kleinen Bauern-Familienbetriebe und die Landarbeiter-Familien, die sich selbst „Coolies“ nennen und oft zu den niederen Kasten gehören. Sie bewirtschaften in dem trockenen Bundesstaat Karnataka ihre Felder, halten Milchvieh und hoffen auf Regen, der schon im dritten Jahr ausbleibt. Für Wasser müssen die Menschen 300 Meter tief bohren.
Klimazertifikate mit Mehrwert
Die Dorfbewohner haben sich in „Coolie Sanghas“ organisiert, Dorfgemeinschaften mit einer eignen kleinen Steuer und vielfältigen Hilfsangeboten. Mehr als 16.000 Kindern war in den vergangenen Jahren dadurch der Schulbesuch möglich. „Der Bagepalli-,Coolie Sangha‘ ist mit seinen klimafreundlichen Biogasanlagen inzwischen Anbieter von Treibhausgas-Zertifikaten“, erklärt Kirsten Gade, Referentin für Klimaschutz und Emissionshandel bei Brot für die Welt. Die Gemeinschaft hat sich ihre Ersparnis an Treibhausgasen für die Umwelt bescheinigen lassen und diese Zertifikate zu Geld gemacht.
Ein ganzes Dorf ist stolz auf sein Solarprojekt
Im Dorf Yelagallipalli schaut sich die Reisegruppe aus Europa ein Solar-Pilotprojekt von ADATS an, das auch solche Zertifikate anstrebt, aber sie noch nicht hat. Auf den Dächern der bunten Häuser stehen mehr als 90 kleine Solarpanels des Pilotprojekts. Sie liefern jeweils genug Energie für vier moderne Lampen, die Licht in die Häuser bringen. Wie stolz die Dorfbewohnerinnen und -bewohner sind, zeigt sich beim Empfang der deutschen Gäste unter dem bunten Baldachin auf dem Dorfplatz. „Man spürt sehr deutlich, wie selbstbewusst die Menschen dadurch geworden sin, dass sie ihre Zukunft ein Stück selbst in die Hand nehmen konnten“, sagt Matern von Marschall, Bundestagsabgeordneter der CDU aus Freiburg, der sich besonders für das Thema Klimaschutz interessiert.
Lernen trotz Dunkelheit
Pilaka Narayanaswamy, eine weißhaarige Frau aus Yelagallipalli, berichtet, dass sie nie Lesen und Schreiben gelernt hat, aber stolz ist, dass ihre Enkelkinder am Abend unter dem Solarlicht Hausaufgaben machen und lernen können. Und Kardarprah Narayanaswamy, ein Mann mit Schnauzbart, hat seine Stromrechnung mitgebracht und rechnet vor, was ihm die kleine Solaranlage an Kosten spart. Klar, die Wohlhabenden im Dorf können sich den Anschluss ans Stromnetz leisten und dann auch Fernseher und Smartphones betreiben. Das schaffen die kleinen Panels nicht, aber sie gehören meist auch Familien, die nicht das Geld für einen regulären Anschluss hätten. Und Kadarprah präsentiert auch die rosa Spardose, in die alle einzahlen, damit für die Reparaturen der Anlagen immer Geld da ist.
So schnell gehen die Lichter nicht aus
Rem Esteves von ADATS träumt von viel mehr: Er wünscht sich, dass sich die Dörfer zusammentun und Solar-Kraftwerke mit einer Leistung von einem Megawatt auf den kahlen Felsen errichten und mit den Zertifikaten handeln. Das ist Zukunftsmusik. Im Moment sind die Familien in Yelagallipalli froh, wenn sie Indiens größtem Problem begegnen können – der unsicheren Stromversorgung. Die indische Regierung will zwar die Industrialisierung des Subkontinents vorantreiben, doch die Energie dafür gibt es noch nicht. Es wäre zu wünschen, dass sie eher aus der Sonne geschöpft wird als aus den riesigen Kohlevorräten des Landes. Doch im Moment kommt es in Indien immer wieder zu Stromausfällen und -engpässen. „Doch in Yelagallipalli bleiben die kleinen Lampen hell“, sagt Kadarprah, „selbst wenn rundum mal wieder das Licht ausgeht, weil kein Strom da ist.“
Svenja Koch
Zusammenarbeit von Brot für die Welt und ADATS (Agricultural Development and Training Society:
Seit 1986 fördert das evangelische Hilfswerk ADATS; jüngst in der Stärkung der Selbstorganisation der benachteiligten Landbevölkerung und zur Fortbildung von 25 Nichtregierungsorganisationen, damit sie Emissionszertifikate vermarkten können. Seit 2011 hält die Klima-Kollekte solche Zertifikate.