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Stabilisierung ohne Ende? Die vergessene humanitäre Krise in Somalia

Seit mehr als 20 Jahren herrscht in Somalia Bürgerkrieg. Trotzdem ist das Land am Horn von Afrika auf der politischen und öffentlichen Agenda weitgehend „vergessen“, wenn nicht gerade Hungersnöte, Terroranschläge oder der Einsatz gegen Piraterie kurzzeitig Aufmerksamkeit bringen. Dabei haben die andauernden Konflikte zu einer der größten humanitären Krisen weltweit geführt. Helmut Hess, ausscheidender Aufsichtsrat der somalischen Partnerorganisation der Diakonie Katastrophenhilfe, über die Arbeit in einem "zerfallenden Staat".

 

Von Gastautoren am

Somalia ist in Deutschland und der EU weitgehend vergessen. Aufmerksamkeit in den Medien und in der Politik erlangt Somalia nur am Rande, als ein „Zerfallender Staat“, Terror der Al-Shabaab-Milizen,  Stützpunkt von Piraten, Herkunft von Migranten, Dürre- und Hungerkatastrophen. Dabei ist das Land am Horn von Afrika geprägt durch eine der größten und komplexesten Notsituationen, von einer Stabilisierung ist Somalia weit entfernt.

Stabilisierung ohne Ende?

Mit dem Sturz der Regierung Siad Barre endete in 1991 zwar eine Militärdiktatur in Somalia. Die folgenden Jahre waren allerdings ebenfalls geprägt durch massive Gewalt, jetzt der verschiedenen Warlords und konkurrierenden Interessengruppen, die für die Durchsetzung ihrer Anliegen schwer bewaffnete Milizen einsetzten. Regionale Interessen verhindern bis heute eine Stabilisierung Somalias unter einer zentralen Regierung. Militärische und politische Interventionen der direkten Nachbarn sowie der „Internationalen Gemeinschaft“ waren weitgehend motiviert durch wirtschaftliche und geopolitische Interessen und dem US-geführten Kampf gegen den Terror. Begründet als Beitrag zur Stabilisierung haben externe militärische Interventionen eher zur Destabilisierung und zur Stärkung radikaler Gruppen beigetragen.

Seit 2012 existiert mit der Einsetzung eines Parlaments, Wahl des Präsidenten und der Premierministers erstmals seit 1991 wieder eine zentrale Verwaltung. International zwar anerkannt, entbehrt sie aus Sicht weiter Teile der somalischen Bevölkerung jeder Legitimation, wird als „Extern“ wahrgenommen. Als extrem anfällige, zerstrittene und korrupte Regierung, die in den wenigen Jahren mehrmals umgebildet wurde, kann sie sich bisher nur mit Unterstützung der Truppen der AMISOM (African Union Mission in Somalia ) an der Macht halten. Der Kampf gegen die Al-Shabaab-Milizen ist längst nicht beendet. Die Verhandlungen zur Gründung einer somalischen Föderation sind durch regionale Interessen weitgehend blockiert.

Humanitäre Hilfe als Beitrag zur Stabilisierung?

Extreme Dürre, massive Kampfhandlungen zwischen AMISOM-Truppen und Al-Shabaab-Milizen und zwischen verschiedenen Clans um die Vorherrschaft, Terror-Regime von Al-Shabaab in weiten Teilen des Landes und vollständiges Versagen der Sicherheitskräfte resultierten seit 2009 in einem bisher nicht vorstellbaren Exodus der somalischen Bevölkerung. Menschenmassen sammelten sich in Lagern für sogenannte „Internal Displaced Persons“ (Vertriebene im eigenen Land), Hunderttausende flüchteten in die Nachbarländer, in Dadaab, Kenia entstand das größte Flüchtlingslager Afrikas, wo in den schlimmsten Dürrezeiten in Somalia 2011 mehr als 450.000 Menschen lebten . Humanitäre Hilfe wurde behindert durch bewaffnete Überfälle von Al-Shabaab, die internationale Hilfsprogramme ablehnen und als Einrichtungen des Westens bekämpfen. Nur wenigen lokalen Akteuren gelang zwischen 2009 und 2012 die Fortsetzung der Hilfsprogramme, darunter der Dikonie Katastrophenhilfe und ihrer lokalen Partnerorganisation „Daryeel Bulsho Guud (DBG)“. Unsere Erfahrungen aus dieser Periode zeigen, dass in Konfliktsituationen humanitäre Hilfe nur bei konsequenter Neutralität möglich ist. Das bedeutet Verzicht auf politische Positionierung und Einmischung. Hilfsprogramme tragen deshalb nur indirekt zur nachhaltigen Stabilisierung bei.

Die aktuelle Situation ist gekennzeichnet durch die andauernden Terror-Attacken von Al-Shabaab in Somalia und den Nachbarländern, wie kürzlich in der Universität in Garissa, Kenia.. Kenia antwortet auf  die brutalen Überfälle mit der Verfolgung von Somalis in Kenia, fordert die Schließung der Flüchtlingslager und Repatriierung, also zwangsweise Rückführung der Flüchtlinge nach Somalia. Tausenden somalischer Flüchtlinge droht die Ausweisung nach Somalia. UN-Organisationen sowie die lokalen Organisationen in Somalia befürchten, dass sie den notwendigen humanitären Herausforderungen nicht gewachsen sein werden – auch in der aktuellen Situation wird der Beitrag der Hilfsprogramme auf dringende Unterstützung dieser Personen beschränkt sein, der Beitrag zur Stabilisierung Somalias bescheiden bleiben.

Beitrag lokaler Kräfte zu nachhaltiger Stabilisierung

Unsere Erfahrungen der letzten Jahre weisen darauf hin, dass langfristige Verbesserungen für die geplagte somalische Bevölkerung nur dann möglich sein werden, wenn somalische Kräfte aktiv in Entscheidungen und Durchführung von Programmen eingebunden sind. Zwar sind auch lokale Hilfsorganisationen Ziel von Anschlägen der Terror-Milizen und dem Druck unterschiedlicher Interessengruppen ausgesetzt. Entscheidend für längerfristiges Engagement und nachhaltige Veränderungen ist jedoch die Akzeptanz durch die lokale Bevölkerung. Während der turbulenten, von massiver Gewalt geprägten Jahre waren nur noch wenige lokale Organisationen mit somalischem Personal in der Lage, dringend notwendige humanitäre Hilfe zu leisten. Die Unterstützung durch internationale Organisationen ohne politische Interessen war dafür wichtige Voraussetzung.

Bis heute konzentriert sich die Arbeit lokaler sowie internationaler Organisationen weitgehend auf dringend benötigte Soforthilfe für  intern Vertriebene, für rückkehrende Somalis aus Kenia, Jemen und anderen Nachbarländern. Dabei ist erklärtes Ziel dieser Organisationen, einen Beitrag zu leisten zu nachhaltiger Verbesserung der Lebensgrundlagen der Bevölkerung, zu Frieden und Versöhnung zwischen verfeindeten Gruppen, zu nachhaltiger Stabilisierung. Es gilt in der aktuellen Situation, die dazu notwendigen Kompetenzen und Kapazitäten aufzubauen, politischen Raum und die notwendige Sicherheit zu schaffen als Voraussetzung für entsprechende Aktivitäten.

Insbesondere erscheint es notwendig, dass sowohl die direkten Nachbarn Somalias als auch die „Internationale Gemeinschaft“ zur Einsicht kommen, nicht mit externen und unkoordinierten Interventionen eigene Interessen durchzusetzen, sondern zum Aufbau stabiler Strukturen und zur Stärkung lokaler Kräfte beizutragen. Eine nachhaltige Stabilisierung ist mit militärischen Mitteln allein nicht zu erreichen, es bedarf der Bereitschaft zu Verhandlungen mit allen Interessengruppen, auch mit Al-Shabaab. Die internationale Diplomatie ist gefordert, sich auf Prozesse sowohl mit der somalischen Regierung, mit den traditionellen und religiösen Führern und mit Vertretern der Zivilgesellschaft einzulassen. Nur gemeinsam verantwortete Veränderungen haben die Chance auf Akzeptanz. Für die Hilfswerke Brot für die Welt, Diakonie Katastrophenhilfe und andere bedeutet dies die Zusammenarbeit mit Partnern, die kompetent und ohne politische Interessen mit der lokalen Bevölkerung zusammen arbeiten und die Unterstützung von Programmen, die sowohl dringende Nothilfe ermöglichen als auch nachhaltige Entwicklung unterstützen.

Am 11. Juni 2015 fand unter dem Motto Stabilisieren ohne Ende? Die vergessene humanitäre Krise in Somalia eine gemeinsame Veranstaltung von Brot für die Welt und Diakonie Katastrophenhilfe in Berlin statt.

Auf dem Podium saßen:

  • Rüdiger König, Leiter der Abteilung für Krisenprävention, Stabilisierung und Konfliktnachsorge, Auswärtiges Amt
  • Fartuun Adan, Direktorin des Elman Peace and Human Rights Center, Mogadischu, Trägerin des Menschenrechtspreises 2014 der Friedrich-Ebert-Stiftung
  • Stefan Brüne, Professor und politischer Berater, zuletzt im Auftrag des Auswärtigen Amts für die EU-Ausbildungsmission in Mogadischu
  • Helmut Hess, ausscheidender Vorsitzender des Aufsichtsrats der somalischen Hilfsorganisation Daryeel Bulsho Guud, ehemaliger Leiter der Afrika-Abteilung Brot für die Welt
  • Cornelia Füllkrug-Weitzel, Präsidentin von Brot für die Welt und der Diakonie Katastrophenhilfe

Moderation: Marc Engelhardt, Journalist

 

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