Es war einmal, dass ein Gerücht die Runde machte: Die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft, TTIP, fördert – zum Nulltarif – das Wirtschaftswachstum in der EU und den USA, setzt weltweit vorbildliche Standards und ist auch zum Vorteil der Entwicklungs- und Schwellenländer.
Neue politische Vorhaben werden der Öffentlichkeit in der Regel gleich zu Beginn mit einem ganzen Blumenstrauß an Argumenten präsentiert, die das Projekt im besten Licht erscheinen lassen (sollen). Sei es nun ein neues Gesetz oder ein neuer Flughafen, stets herrscht bei der Ankündigung eitel Sonnenschein. Erst nachdem sich Bürger, Medien und Kenner der Materie eingehender mit der neu angekündigten Idee vertraut und Schwachstellen aufgedeckt haben, rudern die Politiker zurück, räumen Schwachstellen und negative Auswirkungen ein, die sie (angeblich) übersehen hätten. Nicht so bei TTIP.
Bei der transatlantischen Freihandelszone werden uns die positiven Auswirkungen von TTIP erst nach und nach präsentiert. Alle halbe Jahre warten die TTIP-Befürworter mit neuen Argumenten auf. Sollte TTIP zunächst nur die Volkswirtschaften in der EU und den USA ankurbeln, so verkündet die EU-Kommission während der 8. Verhandlungsrunde, Anfang Februar in Brüssel, „TTIP sei auch eine Goldgrube für Entwicklungsländer“. Aber der Reihe nach.
Die Häutung der TTIP
Im Vergleich zum gegenwärtigen Diskurs erscheint einem, rückblickend, die Ankündigung von TTIP, im Sommer 2013, als ein relativ bescheidenes Projekt. Die Freihandelszone sollte zunächst nur dazu dienen, das Wirtschaftswachstum der nordatlantischen Bündnispartner anzukurbeln, und zwar etwa um ein halbes Prozent des BIP. Verschiedene Studien schienen diese Wirkungen zu untermauern.
Nichtsdestotrotz stand TTIP von Anfang an in der Kritik. Dabei entzündete sich die Kritik weniger an den Zollsenkungen als vielmehr daran, Regelungen zu treffen, mittels derer sog. nicht-tarifäre Handelshemmnisse in zahlreichen gesellschaftlichen Bereichen abgebaut werden sollen (Hauptsache die Produktion und der Handel mit Waren und Dienstleistungen wird günstiger. Wen interessieren schon die Produktionsbedingungen und Folgewirkungen der Produkte für Mensch und Umwelt?)
Außerdem wuchsen die Zweifel an den Prognosen über die Wohlfahrtsgewinne für die beiden Volkswirtschaften und deren Bürger. Je genauer die Studien von Bertelsmann, dem ifo-Institut und dem Centre for Economic Policy Research gelesen und analysiert wurden, desto mehr schrumpften die Vorteile für die europäischen und US-amerikanischen Bürger zusammen. Zugleich fragten sich immer mehr Menschen, warum dieses Handelsabkommen mit einer solchen Intensität vorangetrieben wird, wenn die Wachstumsraten unseres Bruttoinlandsprodukts sich lediglich im Promillebereich bewegen.
Standards setzen, bevor es die Chinesen tun
Und siehe da: Plötzlich gab der damalige EU-Handelskommissar – mehr als ein halbes Jahr nach Verhandlungsbeginn! – bekannt, TTIP habe nicht nur eine transatlantische, sondern auch eine globale Zielsetzung. Mittels TTIP sollen globale Standards, Normen und Regelungen getroffen werden – bevor es andere tun. (Auf gut deutsch: bevor es die Chinesen tun!). Warum nicht gleich so? Warum mussten wir bis Anfang 2014 warten, um zu erfahren, dass die Verhandlungsführer in Brüssel und Washington die Welt mit besseren Standards beglücken wollen, als es die Chinesen tun. Wären wir nicht alle stolz darauf, wenn EU und USA ein altes Versprechen einlösen würden, und sich in Handelsabkommen für Standards in den Bereichen ökologische Nachhaltigkeit und Menschenrechte einsetzten?
Das Argument „Standards setzen, bevor es die Chinesen tun“ ist inzwischen zu einem der Hauptargumente der TTIP-Befürworter geworden. In Anbetracht dieser globalen Herausforderung, um nicht zu sagen: Mission, scheinen die anderen – negativen - Begleiterscheinungen von TTIP innerhalb von EU und USA (angefangen von den Investitionsstreitigkeiten bis hin zur Gefahr, dass das Vorsorgeprinzip eingeschränkt wird) zweitrangig.
TTIP stärke die westliche Wertegemeinschaft
Und nachdem sich die Ukraine-Krise zuspitzte und Russland aus der G8 ausgeschlossen wurde, kam ein weiteres Argument hinzu: TTIP stärke die westliche Wertegemeinschaft. Vor kurzem verkündete der US-Handelsexperte D. Hamilton, Autor des Buches ‚Die Geopolitik und TTIP‘: „TTIP ist die wichtigste strategische Initiative des Westens seit dem Marshall Plan.“ Wenn die Bürger und Bürgerinnen schon nicht mit einfachen Argumenten überzeugt werden können, dann müssen große Worte und historische Vergleiche gezogen werden, um dem Vorhaben Glanz und Sinnhaftigkeit zu vermitteln. Ein Blick in eine der klassischen Einführungen ins Welthandels- und Wirtschaftsvölkerrecht zeigt hingegen: Handelsabkommen dienen nicht der Völkerverständigung, sondern haben nur ein einziges Ziel: Staaten und ihren Unternehmen Zugang zu ausländischen Märkten zu verschaffen.
Das BMZ als Garant für einen fairen Welthandel
Aber noch mal zurück zum Hauptziel des Abkommens, der globalen Standardsetzung. Das Argument, TTIP diene dazu, erstens, „Golden-Standards“ zu setzen und, zweitens, diese weltweit durchzusetzen, hatte einen Haken. Wenn EU und USA einseitig Standards setzen, um ihren Vorstellungen von Handel globale Geltung zu verschaffen, was ist dann mit den anderen Staaten, die nicht Teil dieser Freihandelszone sind – und die auch nicht an anderen Verhandlungen über Mega-regionale Handelszonen beteiligt sind, wie der Transpazifischen Partnerschaft (TPP) oder der Asiatisch-Pazifischen Freihandelszone (FTAAP). Mit anderen Worten: Was ist mit den Staaten Afrikas und zahlreichen anderen Least Developed Countries?
Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Apodiktisch hieß es: TTIP habe keine Auswirkungen auf die Entwicklungs- und Schwellenländer. Diese Position nahm nicht zuletzt das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) ein. Zugleich gab das BMZ beim ifo-Institut eine Studie in Auftrag, um die Frage nach den möglichen Folgen von TTIP auf die Länder Afrikas, Asiens und Lateinamerikas eingehender zu analysieren. Also eines jener Institute, das zu Beginn der TTIP-Verhandlungen den Volkswirtschaften in EU und USA überhöhte Wachstumserwartungen in Aussicht stellte.
Während die Autoren dieser Studie noch über ihren Modellrechnungen saßen, verkündete der BMZ-Staatssekretär Herr Kitschelt, im Rahmen der Veranstaltung "Globaler Handel im Kontext einer wertebasierten Entwicklungspolitik" (angehängt die Zusammenfassung der Beiträge und Diskussionen), TTIP könne sogar den Entwicklungsländern nützen. Zur Begründung verwies er auf die werteorientierte und nachhaltige Politik des BMZ und der Bundesregierung, die dafür Sorge tragen werde, dass die EU-Kommission sich für ein Abkommen einsetze, welches auch fair gegenüber den Entwicklungsländern sei. An dieser Stelle sei die Frage erlaubt: Warum ist es dem BMZ und der Bundesregierung in der Vergangenheit nicht gelungen, ihre Vorstellungen von einer fairen und nachhaltigen Handelspolitik in den bilateralen Abkommen zwischen der EU und den Staaten Afrikas, Asiens und Lateinamerikas umzusetzen? Nicht zuletzt die in 2013 abgeschlossenen Abkommen zwischen der EU und Peru/Kolumbien sowie den Staaten Zentralamerikas sind aus entwicklungs- und menschenrechtlicher Perspektive höchst problematisch, wie auch der breite Protest an den beiden Abkommen zeigte
Ifo-Institut sieht (fast) keine Probleme für den globalen Süden. Im Gegenteil.
Am 22. Januar 2015 wurde die steile These des BMZ-Sekretärs scheinbar mittels einer 250 Seiten umfassenden Studie bestätigt. G. Felbermayr, Hauptautor der ifo-Studie, präsentierte, in den Räumen des BMZ und unter Anwesenheit des Ministers Gerd Müller, die Ergebnisse der Analyse über „Mögliche Auswirkungen der TTIP auf Entwicklungs- und Schwellenländer“. Demnach trägt TTIP nicht nur zu sehr wichtigen Wohlfahrtsgewinnen in Europa und den USA bei, auch „Drittstaaten könnten von der transatlantischen Freihandelszone profitieren“.
Diese Schlussfolgerungen beruhen zum Teil auf abenteuerlichen Annahmen. Hierzu gehört u. a. die Hypothese, die durch TTIP reicher werdenden Europäer würden ihr Mehreinkommen in Auslandsreisen investieren, zum Beispiel in das von der ifo-Studie untersuchte Land Kenia, wodurch TTIP letztendlich auch den Tourismussektor beleben werde. Wir rufen uns noch einmal kurz die Studie des Centre for Economic Policy Research von 2013 in Erinnerung, aus der die TTIP-Befürworter lasen, TTIP steigere das Jahreseinkommen einer 4-köpfigen Familie in Europa um bis zu 545 Euro. Bei genauerer Lektüre dieser Studie wurde bekanntlich deutlich, dass sich dieser Einkommenszuwachs auf einen Zeitraum von 12 Jahren erstreckt. Frage: Wie lange muss eine 4-köpige Familie in Deutschland sparen, bis sie, bei einem Anstieg des Jahreseinkommens von ca. 36 Euro, das Geld für vier Flüge nach Kenia, inkl. Übernachtung, etc. hat?
Ferner benennt die Studie sehr wohl auch negative Auswirkungen: Im Falle Brasiliens gehen die Autoren der Studie davon aus, dass u. a. der Export von Fruchtsäften, dessen jährliches Volumen sich immerhin auf zwei Milliarden Euro beläuft, stark einbrechen könnte. Diese Einbußen seien aber für Brasilien verkraftbar, da das Land über eine robuste und diversifizierte Volkswirtschaft verfügt. Wie gut, dass die Länder des Südens inzwischen über so dynamische Ökonomien verfügen, dass solche Beträge nicht mehr ins Gewicht fallen, während EU und USA alles dran setzen, um ihr Wirtschaftswachstum um 0,05 bis 0,1 Prozent zu steigern…….
Alles in allem ist die ifo-Studie eine makroökonomische Darstellung, die einerseits spekulativ hinsichtlich möglicher positiver Wirkung auf den Süden ist, andererseits zahlreiche entwicklungspolitisch wichtige Bereiche außer Acht lässt: Der Agrarsektor ist fast vollständig ausgeblendet, Menschenrechte werden nicht erwähnt, ein forcierter Rohstoffabbau in den Entwicklungs- und Schwellenländern wird, unreflektiert, als möglicher Wachstumsschub hingestellt. Um nur ein paar fragwürdige Punkte der Studie zu benennen. Nachhaltige Handelspolitik sieht anders aus!
Eine umfassendere kritische Betrachtung der ifo-Studie findet sich in der heute veröffentlichten Publikation „Wunschdenken statt gemäßer Wissenschaft“.
Hoffnung auf die goldene Gans
Schließlich bleibt abzuwarten, mit welchen ‚Enthüllungen‘ über weitere, bisher noch unbekannte, Segnungen des transatlantischen Abkommens uns die TTIP-Befürworter zukünftig noch überraschen werden. Eins ist klar: Je länger die Verhandlungen andauern und die Kritik an der transatlantischen Freihandelszone lauter wird, umso mehr versuchen die Verhandlungsführer in Brüssel und Washington wie auch die Bundesregierung uns weiß zu machen, dass sich das ehemals hässliche Entlein - märchenhaft – doch noch in eine goldene Gans entwickelt. Und wer kann dazu schon Nein sagen?
Fazit
Seit langem beobachtet Brot für die Welt die Verhandlungen über das transatlantische Handelsabkommen. In unserer ersten Analyse und Stellungnahme hatten wir gefordert, die Verhandlungen auszusetzen – in der Hoffnung, dass einige wichtige Akteure, wie das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit als auch die Bundesregierung, dazu bewegt werden könnten, sich für eine Neuausrichtung von TTIP hin zu einem nachhaltigen Handelsabkommen zu engagieren. Die neuesten Entwicklungen bei den Koalitionsparteien, wo sich eine durch den Wirtschaftsminister repräsentierte „Da müssen wir durch“-Haltung“ breit macht, bei der Kritiker und sachbezogene Argumente abgetan und nicht mehr gehört werden, sowie die ifo-Studie und deren Instrumentalisierung machen deutlich: Eine Reform des TTIP-Abkommens ist leider nicht möglich. Wir lehnen dieses TTIP ab!