In Deutschland und in anderen westlichen Ländern stehen wir täglich vor der Herausforderung, viele Entscheidungen zu treffen: was ziehe ich heute an? Was möchte ich zu Abend essen? Welchen Handyanbieter soll ich nehmen? Wohin geht der nächste Urlaub? "First World Problems" nennen es die einen. Andere sprechen von der "Tyrannei der Wahl". Um diese Herausforderung zu meistern, ist es eine beliebte Strategie, die Entscheidung zu verschieben. Es kann helfen, mal eine Nacht darüber zu schlafen. Oder zwei.
Im Falle der Klimaverhandlungen in Paris (COP21), hat man diese Strategie längst ausgereizt. In der ersten Woche der Verhandlungen haben es die Verhandelnden bevorzugt, die dringendsten Entscheidungen auf die zweite Woche zu verschieben. Jetzt ist es Zeit für Entscheidungen.
Laut Psychologen ist das Gefühl, eine Chance verpasst zu haben, das einzige, womit das psychische Immunsystem kaum fertig wird. Keine Entscheidung bereuen wir mehr als die, nichts getan zu haben. Ohne Entscheidungen weiter zu verhandeln, macht also keinen Sinn. Die Klimapolitik würde in eine ernsthafte Depression fallen. Zudem haben die Menschen, die schon heute unter den Folgen des Klimawandels leiden, ein Recht darauf, dass in Paris die Chancen zu Klimagerechtigkeit genutzt werden.
Vielleicht hilft es ja, die Wahlmöglichkeiten noch einmal drastisch zu vereinfachen. Mit unserem internationalen Netzwerk ACT Alliance haben wir heute morgen alle TeilnehmerInnen der COP21 symbolisch vor eine ganz einfache Wahl gestellt: wollen sie eine 1,5 Grad oder eine 3 Grad wärmere Welt. Am Eingang des Konferenzzenrums wurden zwei Teppiche ausgerollt, ein roter und ein grüner. Der grüne Teppich symbolisierte den Weg in eine 1,5 Grad-Zukunft, der Rote den Weg in eine 3 Grad-Zukunft. Wie bei einer solch symbolischen Aktion zu erwarten, nahm die große Mehrheit den grünen 1,5 Grad Weg. Wobei interessant zu beobachten war, dass die meisten Verhandelnden einen großen Bogen um uns machten. Hoffen wir mal, dass sie das aus Scheu vor einer zivilgesellschaftlichen Aktion gemacht haben und nicht aus der Routine heraus, eine Entscheidung zu vermeiden.
Denn eine solche Entscheidung tut nicht weh. Klimaschutz tut nicht weh. Im Gegenteil. Vergangenen Samstag (5. Dezember 2015) veranstaltete Brot für die Welt gemeinsam mit der Friedrich-Ebert-Stiftung, Germanwatch, WWF, Indy Act und CAN International ein Side-Event zu kohlenstoffarmen Entwicklungsstrategien. Darin wurden Projekte von VorreiterInnen vorgestellt, die zeigen, dass Klimaschutz viele positive Nebeneffekte erzielen und ein wichtiger Motor zur Überwindung von Armut sein kann.
Hoffen wir also, dass es uns gelingt, in Paris zu ambitionierten Entscheidungen zu kommen. Es gibt schlicht keine Zeit mehr, Klimaschutz und die Bewältigung der Schäden auf die lange Bank zu schieben.