Die Gewalt hat in Mexiko und Guatemala neue Höchststände erreicht. Einzelpersonen und zivilgesellschaftliche Gruppen, die sich für soziale Gerechtigkeit und politische Teilhabe einsetzen, stehen unter starkem Druck. Partnerorganisationen von Brot für die Welt begleiten Opfer und unterstützen Organisationen, die vielfach besonders staatlicher Repression ausgesetzt sind. Zwei Expertinnen für sozialtherapeutische Begleitung berichten über ihre wichtige Arbeit.
Die Partnerorganisationen ECAP und ALUNA unterstützen Menschenrechtsverteidiger und zivilgesellschaftliche Organisationen bei ihrer Arbeit. Die Expertinnen Vilma Duque und Clemcia Correa beschreiben im Gespräch zunächst den von Gewalt geprägten Alltag in Guatemala und Mexiko und erläutern dann ihre Ansätze von psychosozialer Beratung und Begleitung von Menschenrechtsorganisationen.
Alltägliche Gewaltphänomene
In Guatemala gab es nach einem jahrzehntelanden Bürgerkrieg keine Phase für den gesellschaftlichen Übergang. Viele strukturelle Probleme sind geblieben. Es gab keine Zeit für eine Erneuerung. Die alten Eliten haben ihre Privilegien und Besitz behalten können, Amnestien sorgten dafür dass viele Straftäter ohne Strafe blieben., so die Analyse. Heute gibt es neue Formen der Gewalt, die oftmals vom Staat selbst ausgeht, zum Beispiel um Großprojekte wie Goldminen durchzusetzen. Gruppen, die sich gegen Enteignung, Vertreibung und Umsiedlungen wehren, werden kriminalisiert. „Der Präsident steht dem Militär sehr nahe und setzt seine Politik autoritär um: Gewalt geht vom Staat aus, Korruption und Straflosigkeit nehmen zu“, so beschreibt Dr. Vilma Duque, Fachkraft von Brot für die Welt bei der Partnerorganisation ECAP, die Situation in ihrem Land.
Neben 8000 regulären Polizisten gebe es 80.000 private Sicherheitsleute. Der Alltag vieler Menschen sei durch Gewalt geprägt: Mehr als 6000 Tote durch Gewaltverbrechen in einem Jahr, die höchste Quote weltweit bezogen auf die Einwohnerzahl , seien ein trauriger Rekord für ein kleines Land wie Guatemala, erläutert die promovierte Psychologin mit den Schwerpunkten Gruppensupervision und psychologische Gemeindebegleitarbeit.
Politische Teilhabe und gesellschaftlicher Wandel werden blockiert
In Mexiko ist die Situation ähnlich: Im Rahmen des von der Regierung ausgerufenen Kriegs gegen die Rauschgiftkartelle sind auch andere Konflikte im Land militarisiert worden. Überall in Mexiko ist das Militär präsent. „Wir leben in einer Situation des Paramilitarismus“ sagt die Psychologin Clemencia Correa, von der Organisation ALUNA. Seit der Rückkehr der alten Staatspartei PRI an die Macht wird zunehmend autoritär regiert und auf die Kontrolle der Bevölkerung abgezielt. Mehr als 100.000 Menschen, vor allem aus Landarbeiterfamilien, sind für Großprojekte zwangsumgesiedelt oder vertrieben worden. Sie erleben strukturelle Gewalt, der sie praktisch schutzlos ausgeliefert sind. Wer sich widersetzt, wird als Verhinderer von Entwicklung kritisiert und oftmals privat bedroht.
Sehr problematisch ist die Unterwanderung des Staates und des Militärs durch Angehörige der organisierten Kriminalität. Das gewaltsame Verschwinden-Lassen von 43 Studierenden hat gezeigt, wie schwerwiegend sich die Kooperation von staatlichen Behörden wie Polizei, und Militär mit der Rauschgiftmafia auswirken kann. Paramilitärische Gruppen haben in einigen Regionen großen Einfluss und haben staatliche Strukturen ersetzt. Im Bundesstaat Guerrero sind in den letzten Monaten über 60 Massengräber gefunden worden. „Es handelt sich um echten Terror gegen die Bevölkerung.“ Positiv sei aber auch, dass sich immer mehr Mexikanerinnen und Mexikaner nicht mit dieser Situation abfinden wollen.
Umfassender Ansatz in der Traumabehandlung
Die Zivilgesellschaft, die sich für Bürgerrechte und Rechtsstaatlichkeit einsetzt, wird zunehmend kriminalisiert. Es gibt keine funktionierende Justiz, es herrscht Straflosigkeit und es gibt keinen Staat, der einschreitet. Das führt dazu, dass viele Menschen sehr viel Angst haben. Speziell zivilgesellschaftliche Gruppen und Einzelpersonen spüren großen Druck, sie erleben alltägliche Gewalt und Einschüchterung; ihre Arbeit und der Teamzusammenhalt werden hierdurch stark in Mitleidenschaft gezogen. An dieser Stelle kommt die psycho-soziale Begleitung und Beratung ins Spiel: Beide Organisationen wollen sowohl den Opfern als auch deren Helferinnen und Helfern Unterstützung bieten. „Einerseits müssen die Opfer von Menschenrechtsverletzungen begleitet werden. Andererseits müssen eben auch die Betreuer unterstützt werden. Es gibt multiple psycho-soziale Traumata“, beschreibt Clemencia Correa den umfassenden Ansatz.
Denen, die einem besonderen Risiko ausgesetzt sind, sollen in einem ersten Schritt Schutzräume geboten werden, im zweiten geht es darum, Perspektiven aufzuzeigen, zu vernetzen und Teams aufzubauen, Koalitionen zu bilden. Dieser Ansatz helfe Sicherheit zu gewährleisten und gemeinsam seine Ziele zu verfolgen. Es geht darum, die Menschenrechtsverteidiger- und Verteidigerinnen handlungsfähig zu halten. Denn immer mehr zeigt sich: Entwicklungs- und Friedensarbeit im Kontext von Bedrohung und Gewalt kann langfristig nur dann erfolgreich sein, wenn betroffene Akteur_innen durch adäquaten Umgang mit Belastungen und Sicherheitsanforderungen ihre Arbeitsfähigkeit aufrechterhalten können.
Seit vier Jahren gibt es in Guatemala eine formale Berufsausbildung in Traumabegleitung. Dies führe dazu, dass sich die Arbeit professionalisieren und verstetigen kann.
Brot für die Welt unterstützt auf vielen Ebenen
„Brot für die Welt hat einen guten Job gemacht“, lobt Vilma Duque. Neben der Finanzierung der Projektarbeit werde politische Begleitung geboten, um beispielsweise Menschenrechtsverstöße bei der Realisierung von Großprojekten auch in Europa öffentlich zu machen. Beides sei für die Projekte fundamental. Die Bedrohung erfordert darüber hinaus eine gewisse Flexibilität beim Mitteleinsatz: die Partner brauchen in dieser Situation Möglichkeiten, Projekte anzupassen, um auf bestimmte Szenarien zu reagieren.
Brot für die Welt unterstützt die Partnerorganisationen konkret dabei, Diskussionen und Themen von der nationalen Ebene in Guatemala oder Mexiko auf die internationale Ebene zu heben. So können beispielsweise Kosten aufgezeigt werden, die Konflikte auf lokaler Ebene oder Umsiedlungen auslösen. Diese erscheinen normalerweise nicht in Bilanzen internationaler Konzerne, aber seien ein Teil der Wahrheit. Die Unterstützung von Brot für die Welt sei im Bereich internationaler anwaltschaftlicher Arbeit besonders wichtig.
Das Interview führte Michael Klein