Der erste Humanitäre Weltgipfel, der am 23./24. Mai in Istanbul stattfindet, könnte eine Chance bieten, die Hilfe für Menschen in humanitären Krisen zu verbessern.
Auch wenn in Deutschland im letzten Herbst die Debatte über Sachleistungen für Flüchtlinge noch einmal aufflammte, belegen internationale Studien, dass Bargeldtransfers, etwa über Geldkarten oder Gutscheine, das effektivste Mittel sind, um die Not der Menschen zu lindern. Zum einen benötigen immer mehr Menschen immer länger Hilfe, das überlastet das bestehende System der Hilfslieferungen. Zum anderen erfordern Flüchtlingsbewegungen, wie jüngst in Europa, kurzfristigere, flexiblere Reaktionen. Vor allem aber helfen Bargeldtransfers den Empfängern, ihre Würde und Entscheidungsfreiheit zu bewahren.
Bargeld statt Hilfspaket
Vorgepackte Hilfspakete entsprechen der Kultur und den Standards der Helfer, nicht unbedingt denen der Hilfeempfänger. Sie können sogar kulturell unangemessen sein. Sie machen die Betroffenen zu passiven Empfängern. Die Hilflosigkeit und Ohnmacht, die jede Katastrophe mit sich bringt und Menschen traumatisiert, darf nicht verlängert werden durch eine Hilfe, die die Menschen zu Objekten der Hilfe ohne Mitsprache macht und faktisch entmündigt. Die Menschen müssen so unterstützt werden, dass sie schnell wieder die Verantwortung für ihr Leben in die eigene Hand nehmen können. Die Art der Hilfeleistung spielt hier eine große Rolle: Wenn Flüchtlinge Nahrungsmittel und Sachleistungen gestellt bekommen, haben sie keine Wahlmöglichkeiten. Wenn sie stattdessen Geldmittel bekommen, können sie sich das kaufen, was ihre Familie wirklich und am dringendsten braucht. Sie können sich selbst versorgen statt versorgt zu werden, ihre Selbstbestimmung und Eigenverantwortung wird gestärkt – eine Frage der Würde und der Überwindung von Traumata. Bei längerem Verbleib von Flüchtlingen in einem Gastland wäre der dringende nächste Schritt dann, ihnen rasch Zugang Zum Arbeitsmarkt zu geben.
Schließlich können durch Geldtransfers auch die lokalen Märkte gestärkt werden. Humanitäre Hilfe leistet dadurch einen Beitrag zu nachhaltigen Entwicklungsbemühungen, statt sie durch große Tonnagen importierter Hilfsgüter zu untergraben.
Bis zum Jahr 2030 Hälfte der Hilfe per Bargeldtransfer
Nach Schätzungen werden aktuell nur sechs Prozent der Mittel für Humanitäre Hilfe weltweit in Form von Bargeldtransfers umgesetzt (Report von Overseas Development Institute und Center for Global Development). Der Rest erfolgt noch über klassische Hilfslieferungen oder Unterstützungsleistungen. Die Diakonie Katastrophenhilfe setzt heute bereits 14,2 Prozent der bewilligten Mittel von aktuell rund 54 Millionen Euro in Projekten mit Bargeldtransfer ein, wo immer es die lokalen Märkte und Rahmenbedingungen zulassen - unter anderem in der Ukraine, im Südsudan, im Irak, in Kenia, in der Zentralafrikanischen Republik, in Griechenland und in der Türkei.
Die Diakonie Katastrophenhilfe setzt sich dafür ein, dass bis zum Jahr 2030 mindestens die Hälfte der Hilfe in Krisen- und Katastrophengebieten per Geldtransfer geleistet werden wird. Dazu könnten die Weichen in Istanbul gestellt werden.