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Entwicklungsländer unter Freihandelsdruck

Von Sven Hilbig am

 Für eine gerechte Handelspolitik - Stopp-TTIP&CETA-Demo am 23. April in Hannover

Seit über zweieinhalb Jahren drehen sich die öffentlichen Debatten in der Handelspolitik um das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP. Nicht nur in Deutschland, Europa und den USA hat TTIP eine breite gesellschaftliche Debatte darüber ausgelöst, wie eine sozial gerechte und ökologisch nachhaltige Handelspolitik gestaltet sein müsste  und welche Art von Abkommen wir demensprechend ablehnen. Auch in den Entwicklungs- und Schwellenländern werden die TTIP-Verhandlungen aus vielfältigen Gründen  mit zunehmender Sorge beobachtet.

Handelsumlenkungseffekte

Zum einen befürchten einige Länder des globalen Südens einen Rückgang ihrer Exporte in die EU und USA, sollte TTIP verabschiedet werden. Selbst die vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung beim Münchener Ifo-Institut in Auftrag gegebene  Studie „Auswirkungen der TTIP auf Entwicklungs- und Schwellenländer“ prognostiziert u. a. Bangladesch, einem der ärmsten Länder der Welt, einen Rückgang des BIP pro Kopf von 2 Prozent.

Jeder Mensch, ob Ökonom oder Nicht-Ökonom, kann sich vorstellen, was ein solcher wirtschaftlicher Rückgang für die Menschen in einem Land bedeutet, indem weit über 40 Prozent der Bevölkerung in absoluter Armut leben. Ursache hierfür sind sog. Handelsumlenkungseffekte. Das heißt, durch den Abbau der Handelsschranken zwischen der EU und den USA können europäische und US-amerikanische Produkte wettbewerbsfähiger gegenüber den Produkten von Anbietern aus Drittstaaten werden, die dann ihre bisherigen Marktanteile in der EU oder den USA verlieren.

TTIP als Drohkulisse

Zum anderen bedrohen TTIP und weitere  mega-regionale  Handelsabkommen (wie CETA und die Transpazifische Partnerschaft TPP, wo die Verhandlungen inzwischen abgeschlossen sind) sowie plurilaterale Abkommen (wie das Dienstleistungsabkommen TiSA) bereits jetzt  schon das multilaterale Handelsregime.  Bei der 10. WTO-Ministertagung, die vom 15.- 19. Dezember 2015 in Nairobi, stattfand, nutzen die Europäische Union und allen voran die USA diese Abkommen, um den Ländern des globalen Südens ihre Interessen aufzuzwingen.

Brüssel und Washington stellten die Entwicklungs- und Schwellenländer in Nairobi vor die Wahl: Entweder erklären sie sich bereit, Themen in die Doha-Entwicklungsrunde aufzunehmen, die, nach Ansicht von EU, USA und Japan schon seit langer Zeit hätten aufgenommen werden müssen,  -  oder aber die Doha-Runde wird ergebnislos beendet. Zu diesen Themen gehört, neben dem Wettbewerbsrecht und der öffentlichen Beschaffung,  u. a. auch das Thema Investitionen  sowie einige der Themen, die von den beiden westlichen Wirtschaftsmächten bereits 1996, bei der 1. WTO-Ministertagung in Singapur, auf den Verhandlungstisch gelegt wurden. Diese sog. Singapur-Themen waren, aufgrund massiven Widerstandes aus den Entwicklungsländern, schon vor über zehn Jahren aus der Doha-Runde explizit herausgenommen worden. Letztendlich einigten sich die WTO-Mitgliedstaaten in Nairobi auf einen faulen Kompromiss, indem sie zwei nichtvereinbare Positionen (Fortführung als auch Nicht-Fortführung der Doha-Runde) neben einander stellten. Die Drohung, die Doha-Entwicklungsrunde zu beenden, steht für die Länder des Südens aber nach wie vor im Raum.

Mega-regionale Abkommen machen fairen Interessenausgleich zwischen Nord und Süd unmöglich

Für die zukünftige Entwicklung des multilateralen Handelsregimes folgt aus der 10. WTO-Ministertagung zweierlei:

1. indem Brüssel und Washington, TTIP, TISA, etc. als Druckmittel einsetzen, um den Rest der Welt zu bewegen, einer weiteren Liberalisierung des Welthandels zuzustimmen - die eindeutig nicht in deren Interesse ist - kann eine der Fragen, innerhalb der TTIP-Debatten  für obsolet erklärt werden. Nämlich die, ob und inwieweit TTIP oder auch Ceta mit einem multilateralen Handelsregime vereinbar sind oder dieses unterminieren.  Seit Nairobi wissen wir, dass die mega-regionalen Abkommen multilateral geführte Verhandlungen untergraben, und zwar nicht erst zukünftig, sondern bereits gegenwärtig – während die Verhandlungen noch laufen! Anderslautenden Erklärungen und Beschwichtigungen der  Verhandlungsführer oder auch der  Bundesregierung fehlt seit der WTO Konferenz in Nairobi jegliche Glaubwürdigkeit.

2.  die Entwicklungsländer befinden sich noch stärker als bisher in einer Zwickmühle. Insbesondere die ärmsten Länder sind weder an den mega-regionalen noch an den plurilateralen Verhandlungen beteiligt. Und in Anbetracht der Drohkulisse von EU und USA  gehören sie plötzlich zu den Verteidigern der Doha-Runde. Hatten die Länder des Südens in der Vergangenheit die Doha-Runde eindeutig als Liberalisierungsvorhaben der führenden Industriestaaten kritisiert, so klammern sie sich nunmehr an diese Verhandlungsrunde. Sie befürchten, ansonsten entweder überhaupt keine Mitsprachemöglichkeit bei der Aushandlung neuer Handelsregeln zu haben oder aber demnächst eine ganz neue Verhandlungsrunde vorgesetzt zu bekommen, in denen sie angehalten werden, mehr Zugeständnisse zur Öffnung ihrer Märkte vorzunehmen, als in der Doha-Runde. Mit anderen Worten: Die 10. WTO-Ministertagung hat die Staatengemeinschaft noch weiter weggebracht  vom Ziel  eines fairen Interessenausgleichs zwischen Industriestaaten und Entwicklungsländern.

Fazit

Zur Gestaltung einer zukunftsfähigen Handelspolitik bedarf es einer Neuausrichtung bei den zur Verhandlung stehenden Handelsabkommen sowie einer grundlegenden Reform des multilateralen Handelsregimes. Die Liberalisierung von Handelsbeziehungen darf nicht die sozialen und ökonomischen Rechte und Errungenschaften in den betroffenen Staaten unterminieren. Vielmehr müssen die Verhandlungen vom Grundgedanken ökologischer Nachhaltigkeit, sozialer Gerechtigkeit und entwicklungspolitischer Kohärenz geleitet sein. Die Nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs) der Vereinten Nationen  mit der Agenda 2030 geben den Rahmen vor, an dem sich die zukünftige Handelspolitik ausrichten und verantworten muss.

Die Praxis der europäischen Handelspolitik genügt diesen Anforderungen nicht. Dies gilt weder für ihre zahlreichen bilateralen Abkommen mit den Ländern des globalen Südens, wie Mexiko, Peru/Kolumbien, Zentralamerika, Südkorea oder den Wirtschaftspartnerschaftsabkommen mit afrikanischen Staaten noch für ihr Agieren innerhalb der Welthandelsorganisation. Ein Blick auf das  im Herbst 2015  von der EU Kommission herausgegebene Strategiepapier „Trade for all“ lässt bedauerlicherweise keine Kurskorrektur in der europäischen Handelspolitik erkennen. Dem Strategiepapier fehlt nicht zuletzt die ernsthafte Perspektive für  eine menschenrechtsgeleitete Handelspolitik. Diese würde u. a. voraussetzen, dass die in Handels- und Kooperationsabkommen verwendete Menschenrechtklausel, dahingehend geändert wird, dass sie auch jene menschenrechtlichen Verstöße erfasst, die auf die Liberalisierungsbestimmungen des Freihandelsabkommens selbst zurückzuführen sind. Darüber hinaus erfordert menschenrechtliche Kohärenz in Handelsabkommen die Einführung effektiver Beschwerdemechanismen für Menschen, deren Rechte  im Zusammenhang mit dem Handelsabkommen verletzt werden. In ihrem Papier „Trade for all“ geht die EU Kommission auf diese, seit langem von zivilgesellschaftlichen Akteuren erhobenen Forderungen, überhaupt nicht ein.

Diese ernüchternde Bestandsaufnahme ist nicht neu. Neu ist hingegen, dass die EU mit der Aufnahme der Verhandlungen über CETA, TTIP und TiSA und deren Instrumentalisierung (z.B. bei den WTO-Verhandlungen in Nairobi), die Idee einer inklusiven, gerechteren Weltwirtschaft zusätzlich torpediert.

Als entwicklungspolitisches Hilfswerk liegt unser Augenmerk auch zukünftig auf den Beziehungen zwischen der EU und den Ländern des Südens, sei es im Rahmen von bilateralen Verhandlungen als auch bei den WTO-Verhandlungen. Unser Engagement für eine gerechte Handelspolitik und damit gegen das transatlantische Freihandelsabkommen und das EU-Kanada-Abkommen steht   ganz oben auf der politischen Agenda. Ein Stopp der TTIP-Verhandlungen würde zwar noch keinen Durchbruch hin zu einer gerechten Welthandelsordnung, bedeuten, aber der  Abschluss dieser transatlantischen Verhandlungen würde die Aussichten der Entwicklungsländer auf eine Reform der internationalen Handelsbeziehungen - zu ihren Gunsten - um Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte zurückwerfen. Ist es doch das erklärte Ziel von TTIP und TPP die Regeln für den Welthandel des 21. Jahrhunderts zu setzen – und festzuschreiben. Deswegen ruft Brot für die Welt auf: Engagieren Sie sich für einen gerechten Welthandel -, werden Sie gegen TTIP aktiv!

Werden Sie aktiv: Demonstrieren Sie am 23. April in Hannover gegen TTIP & CETA

Für den 23. April 2016 ruft ein breites gesellschaftliches Bündnis zu einer Demonstration in Hannover auf.  Diesem Bündnis gehören u. a. an: Brot für die Welt, Oxfam, Greenpeace, BUND, Nabu, Deutscher Kulturrat, attac. Anlass der Demonstration ist die Eröffnung  der Hannover Messe durch Bundeskanzlerin Angela Merkel und US-Präsident Barack Obama am darauffolgenden Tag. Die Demonstration „Für einen gerechten Welthandel! TTIP&CETA stoppen“ beginnt um 12 Uhr auf dem Opernplatz. Demonstrieren Sie mit!

Schließlich würden wir uns freuen, wenn sie unseren angehängten Flyer „Ja zu einer nachhaltigen Handelspolitik – Nein zu TTIP“ weiter verschicken.

 

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