Die Mitglieder des Bündnis Entwicklung Hilft fordern in der Bundespressekonferenz zum Thema „Fluchtursachen“ Solidarität mit Schwächeren. Ohne Hilfe vor Ort stünde Europa vor deutlich größeren Herausforderungen.
In der Bundespressekonferenz sprachen heute die Vertreterinnen und Vertreter des Bündnis Entwicklung Hilft. Bärbel Dieckmann, Präsidentin der Welthungerhilfe, Cornelia Füllkrug-Weitzel, Präsidentin von Brot für die Welt und Albert Recknagel, Vorstandssprecher von terre des hommes. Sie erörterten die zahlreichen Ursachen, aus denen sich Menschen auf die Flucht begeben. Beim Thema Fluchtursachen geht es nicht darum, warum Flüchtlinge nach Europa kommen. Es geht darum, warum sie ihre Heimat verlassen müssen. Die Mitglieder des Bündnis Entwicklung Hilft setzen sich explizit auch für die Länder ein, die Geflüchtete aus den umliegenden Regionen aufnehmen. Auch hier müssen auf Dauer Perspektiven geboten werden.
Das Ausmaß der Fluchtbewegung nach Europa hat Europa sich selbst geschaffen
Als einer der häufigsten Gründe für die Flucht – beispielsweise aus Syrien – nennt Cornelia Füllkrug-Weitzel die immer weitere Eskalation kriegerischer Gewalt dort. Es schlage die große Stunde der Waffenproduzenten und -exporteure: „Und Deutschland fällt nichts Besseres ein, als sich daran zu beteiligen. Ohne Überblick, Ziel und Plan.“ Füllkrug-Weitzel fügt verdeutlichend hinzu: „Befeuert Europa die Krisen mit Waffen, anstatt sich rechtzeitig für gewaltfreie Konfliktlösung stark zu machen, ist das das Gegenteil von Fluchtursachenbekämpfung.“ Im 1. Halbjahr 2014 habe Deutschland mehr Waffen exportiert als im Jahr zuvor. „Dass deutsche Waffen die Krisen und Konflikte der Region befeuern – unerträglich“, sagt Füllkrug-Weitzel.
Der andere Skandal innerhalb Europas sei, immer erst und nur dann zu reagieren, wenn man selbst betroffen ist; dies sei das Gegenteil von weitsichtiger und solidarischer Politik. Das Ausmaß dieser Fluchtbewegung nach Europa habe Europa sich selbst mit diesem Prinzip geschaffen.
Politische Lösungen für mehr Sicherheit
„Bewaffnete Konflikte sind zunehmend Ursache für große Flüchtlingsströme, Hunger und Armut. Die Menschen aus den betroffenen Gebieten suchen vor allem Sicherheit, fast alle bleiben in der Nähe der Länder, aus denen sie fliehen. Humanitäre Hilfe in akuten Notsituationen, wie wir sie gerade in Syrien erleben, ist das eine, was wir tun müssen“, sagt Bärbel Dieckmann, „im Kern geht es aber um politische Lösungen.“ Die Situation in Syrien sei hochkomplex und verfahren, mit unerträglichen Lebensbedingungen für die Menschen dort, so Dieckmann: „Wir müssen alles dafür tun, dass die Flüchtlinge in eine sichere Situation kommen und versorgt werden.“
Aktuell gebe es kaum eine Rückkehrmöglichkeit für syrische Flüchtlinge. Im Gegenteil. Sollte Aleppo fallen, würden sich erneut hunderttausende Menschen aus diesem Kampfgebiet auf den Weg machen, so Dieckmann. Wir müssen daher gerade Nachbarländer wie den Libanon oder Jordanien viel stärker unterstützen, vor allem auch die Türkei, die bereits 2,5 Millionen Flüchtlinge aufgenommen hat. Ob die drei Milliarden Euro an EU-Mitteln reichen werden, sei fraglich.
Wo Menschen ihre Heimat verlassen müssen, gehen Kinder meist nicht mehr zur Schule, wächst eine verlorene Generation heran. Neben der Grundversorgung seien daher Bildungsangebote für Geflüchtete elementar, damit die jungen Menschen später eine Perspektive für ihr Leben finden können. „Der Versuch, in Europa eine gemeinsame Lösung für den Umgang mit den aktuellen Herausforderungen zu finden, ist richtig“, sagt Dieckmann, „ob uns das gelingen wird, sehe ich im Moment skeptisch.“
Ein neues Miteinander mit Zuversicht, Mut und Augenmaß
Die Hälfte der 60 Millionen Flüchtlinge weltweit sind Kinder. Rund 400.000 dieser werden von terre des hommes unterstützt; die Heranwachsenden benötigen eine altersgerechte Betreuung – auch mit psychosozialer Unterstützung. „Wir können es weder aus politischen noch humanitären Gründen zulassen, dass ganze Generationen von perspektivlosen Menschen entstehen“, sagt Albert Recknagel. Er fordert mehr Investitionen, die Kindern und ihren Familien ein neues Leben erleichtern und Perspektiven eröffnen. Dabei sollten auch Lösungsansätze in den Regionen selbst entwickelt werden: „Es kann nicht alles von Europa aus gesteuert werden.“
Doch auch hier in Deutschland sei es unsere Aufgabe, Solidarität zu organisieren und sich auf ein neues Miteinander einzustellen – nicht blauäugig, aber mit Zuversicht, Mut und Augenmaß. Es geht in Deutschland wie in Europa nicht um das effektive Management einer momentanen „Flüchtlingskrise“, sondern wir müssten anerkennen, dass sich die Folgen von Krieg, Gewalt, Hoffnungs- und Perspektivlosigkeit nicht länger auf die regionalen Krisenherde und Brennpunkte beschränken und von unseren Grenzen fernhalten lassen. Wir stehen vor der Langzeitaufgabe, diese Menschen bei uns in Deutschland in unsere Gesellschaft aufzunehmen, sagt Recknagel.