Im Jahr 2000 verabschiedete der UN Sicherheitsrat die Resolution 1325 „Frauen, Frieden und Sicherheit“. Julia Kharashvili, Direktorin einer Partnerorganisation von Brot für die Welt, berichtet über ihre Bedeutung für Georgien.
Resolution 1325 war die erste Resolution, die anerkannte, dass Frauen und Mädchen in Situationen von Krieg und Konflikt besonderen Schutz benötigen. Sie erkannte ebenfalls die wichtige Rolle an, die Frauen bei Friedensverhandlungen und dem Aufbau von friedlichen Gesellschaften spielen.
Julia Kharashvili ist Direktorin der georgischen Nichtregierungsorganisation IDP Women Association Consent (IDPWA), einer Partnerorganisation von Brot für die Welt. Sie setzt sich für Binnenvertriebene in Georgien und für Frauenrechte ein. Die Resolution 1325 ist ein wichtiges Instrument für die Lobbyarbeit der Organisation.
Warum ist die Resolution 1325 „Frauen, Frieden und Sicherheit“ so wichtig für Frauen?
Julia Kharashvili: Das hat eine Reihe von Gründen: UN Resolution 1325 war die erste Resolution, die Frauen und Mädchen im Kontext von Frieden und Sicherheit in den Blick genommen hat. Dadurch bekamen auch Frauenrechte einen erweiterten Fokus.
Die Resolution ermöglicht es, die ungeheuren Herausforderungen und Probleme, mit denen sich von Konflikten betroffene Frauen und Mädchen auseinandersetzen müssen, zu thematisieren, z.B. in Zusammenhang mit Neuansiedlung oder Wiederaufbau. Wichtig ist zu erwähnen, dass sich die Resolution nicht nur an die Mitgliedsstaaten der UN richtet, sondern an alle beteiligten Konflikt- oder Kriegsparteien. Dazu gehören auch nicht staatliche militärische Akteure, z.B. paramilitärische Gruppen, die häufig besonders gewalttätig sind.
Die Berücksichtigung nicht staatlicher Akteure in der Resolution hat für uns in Georgien eine große Bedeutung. Südossetien und Abchasien, die beiden Regionen, die ihre Unabhängigkeit von Georgien durchsetzen wollen, werden nämlich von Separatisten kontrolliert. Sie werden zwar von Russland unterstützt, agieren jedoch außerhalb staatlicher Kontrolle.
Wie hat die Resolution Ihre Arbeit mit Binnenvertriebenen, besonders mit vertriebenen Frauen und Mädchen, unterstützt?
Kharashvili: Der Konflikt hat über 260 000 Menschen aus Südossetien und Abchasien gezwungen, ihre Heimat zu verlassen und sich in anderen Teilen Georgiens ein neues Leben aufzubauen. Die Resolution 1325 hat in dieser Situation zivilgesellschaftliches Engagement, besonders von Frauen, erleichtert und befördert. Seit ihrer Verabschiedung haben Frauenorganisationen die georgische Regierung aufgefordert, die Resolution schnell umzusetzen, was sie jedoch lange nicht getan hat.
Bei IDPWA begannen wir 2004 mit der Resolution zu arbeiten. Zuerst organisierten wir ein Netzwerk von Organisationen binnenvertriebener Frauen aus ganz Georgien. Später erarbeiteten wir zusammen mit anderen Organisationen aus Georgien, Armenien und Aserbaidschan ein Handbuch über Gender und Friedenserziehung, mit dessen Hilfe wir die Resolution in den drei Ländern bekannt gemacht haben.
Es folgten weitere Aufklärungskampagnen in Konfliktregionen, z.B. durch die Bildung eines Netzwerks von Frauenorganisationen aus dem Südkaukasus. IDPWA engagierte sich für grenzüberschreitende Beziehungen zwischen Frauenorganisationen aus Armenien, Aserbaidschan und Georgien und den von Separatisten kontrollierten Regionen Abchasien und Nagorny Karabach und machte die Resolution in Gemeinden und Gemeindeverwaltungen bekannt.
Zwischen 2001 und 2008 haben IDPWA und andere Frauenorganisationen die georgische Regierung immer wieder aufgefordert, vom Konflikt betroffenen Frauen zu berücksichtigen und Gleichberechtigung zu fördern. Unsere Forderungen diskutieren wir in der Staatlichen Kommission für Gleichberechtigung und dem Parlamentarischen Rat für Gleichberechtigung. Unsere Lobbyarbeit hat dazu beigetragen, dass der Rat 2006 ein Konzept zur Gleichberechtigung verabschiedete. Leider haben wir in Bezug auf die Resolution 1325 nichts erreicht.
Im August 2008 eskalierte der Konflikt um Südossetien und Abchasien und es kam zum Krieg. Er machte auch in Regierungskreisen deutlich, dass Frauen von Konflikten anders betroffen sind als Männer und dass daraus besondere Herausforderungen entstehen. Aus dieser Erkenntnis heraus begannen 2011 die Beratungen für die Erarbeitung des ersten Nationalen Aktionsplans (NAP) zur Umsetzung der Resolution 1325. Die Zivilgesellschaft war aktiv am Prozess beteiligt und zum Jahresende stimmte das georgische Parlament dem Plan zu. Es gründete sogar einen Koordinierungsrat zur Umsetzung der Resolution. Für nichtstaatliche Organisationen (NGOs) eröffneten sich dadurch ungeahnte Möglichkeiten, in Regierung und Parlament Lobbyarbeit für die Anerkennung der Rechte und Bedürfnisse von binnenvertriebenen Frauen durchzuführen. Diese Chance haben wir uns nicht entgehen lassen!
Ende 2016 will die deutsche Regierung ihren zweiten Aktionsplan zur Resolution 1325 verabschieden. Zivilgesellschaftliche Organisationen befinden sich dazu mit der Regierung im Dialog. Welche Empfehlungen haben Sie für die Zivilgesellschaft, besonders für Frauenorganisationen, Brot für die Welt und politische Stiftungen in Bezug auf die Inhalte des neuen Aktionsplans?
Kharashvili: In Anbetracht der Realität, konzentriert sich der Aktionsplan wahrscheinlich auf die Unterstützung geflüchteter Frauen und die Stärkung der Unterstützungsmechanismen innerhalb Deutschlands und im Ausland mit dem Ziel, den Strom der Flüchtenden zu reduzieren. Das ist verständlich, aber die zweite Säule der Resolution – aktive Teilnahme von Frauen an Verhandlungen und Entscheidungen – darf nicht vergessen werden. Frauen müssen so gestärkt werden, dass sie Selbstbewusstsein erlangen und ihre Interessen innerhalb ihrer Gemeinschaften artikulieren und durchsetzen können. Sie dürfen weder von extremistischen Männern noch von ihren Familien instrumentalisiert werden.
Trotz der Flüchtlingskrise sollte Deutschland weiterhin Frauen in befreundeten Ländern wie Georgien stärken. Deutschland hat die Stärkung der georgischen Zivilgesellschaft lange gefördert. Heute kann eine starke georgische Zivilgesellschaft eventuell eine moderierende Rolle in anderen Krisenländern einnehmen. Das mag in Syrien oder Afghanistan nicht funktionieren, wohl aber in der Ukraine. Dort können georgische Organisationen eine Rolle spielen im Zusammenhang mit Korruptionsbekämpfung, demokratischer Entwicklung, Unterstützung von Binnenvertriebenen und Friedenssicherung. Diese Zusammenarbeit stärkt wiederum die Zivilgesellschaft in Georgien, hilft ukrainischen Organisationen, ihr Verständnis von Friedenssicherung zu aktualisieren und trägt dazu bei, eine aktive Zivilgesellschaft auf regionaler Ebene zu schaffen. Das ist äußerst wichtig angesichts der Einschränkung und Verfolgung, die sich Zivilgesellschaft sowohl in unserer Region als auch weltweit ausgesetzt sieht.
Werfen wir einen Blick auf die deutsche Regierung. Was sollte die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik in Zusammenhang mit der Resolution 1325 in den Blick nehmen? Was könnten die Botschaften tun?
Kharashvili: Während des OSZE Vorsitzes 2016 hat die deutsche Regierung Themen wie Gewalt gegen Frauen, Friedensdialoge und die Durchsetzung von Rechten, die die Resolution 1325 vom Konflikt betroffenen Frauen gewährleistet, angesprochen. Ich glaube, es ist jetzt wichtig, dass die deutsche Regierung ihren Blick auf die Länder des Südkaukasus richtet und dort die Zivilbevölkerung in ihrem Bestreben unterstützt, Frieden zu schaffen und die Teilhabe von Frauen und Mädchen an Entscheidungsprozessen zu stärken.
Der aktuelle georgische Aktionsplan 1325, es ist der zweite, ist nicht zufriedenstellend. Die Zivilgesellschaft war bei der Erarbeitung viel weniger einbezogen als beim ersten Mal. Außerdem fehlt eine angemessene Finanzierung zur Umsetzung. Der Schwerpunkt des Plans liegt auf der militärischen Sicherheit. Das Verteidigungsministerium ist der wichtigste Akteur. Die menschliche Sicherheit der vom Konflikt betroffenen Bevölkerung ist kaum berücksichtigt. Frieden und die Belange von Frauen hätten viel deutlicher thematisiert werden müssen. Die deutsche Regierung könnte sich z.B. dafür einsetzen, dass die Sicherheitssituation der betroffenen Menschen einem Monitoring unterliegt, das von unabhängigen Beobachter_innen durchgeführt wird. Außerdem kann Deutschland dazu beitragen, dass die Kapazitäten und Kompetenzen von Frauen- und anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen gestärkt werden, sodass sie sich an politischen Entscheidungsprozessen und Wiederaufbau aktiv beteiligen können. Geld ist dafür natürlich auch nötig. Frauen und andere Gruppen, z.B. Minderheiten, müssen aktiv in die demokratische Entwicklung eingebunden sein. Es liegt in der Verantwortung der georgischen Regierung, das alles zu ermöglichen. Von Deutschland erhoffen wir, dass es weiterhin die Rechte der von Konflikten betroffenen Menschen stärkt. Dabei muss die Unterstützung von Frauenrechtsgruppen und regionalen gemeindebasierten Organisationen angestrebt werden. Dazu könnten von den Botschaften kleine Fördergelder bewilligt werden. Die deutschen Botschaften in Georgien, Armenien und Aserbaidschan könnten aufgrund ihrer strategisch günstigen Lage in allen drei Ländern außerdem regionale Projekte zur Resolution 1325 unterstützen.
2016 hat Deutschland den OSZE Vorsitz inne und moderiert die sogenannten Genfer Gespräche, in denen die territorialen Konflikte in Georgien einer Lösung zugeführt werden sollen. Welche Hoffnungen und Erwartungen hegen Sie in diesem Zusammenhang?
Kharashvili: Eine große Lücke stellt die geringe Zahl von Frauen, die an offiziellen Friedensverhandlungen teilnehmen, dar. Frauen als Mediatorinnen und Verhandlerinnen vorzubereiten, ist eine außerordentlich wichtige politische Aufgabe. In Georgien brauchen wir Mediator_innen in allen Bereichen, sowohl am Verhandlungstisch als auch in Familien, z.B. bei häuslicher Gewalt. Bisher haben die verhandelten Parteien die Forderungen der Zivilgesellschaft, an den Genfer Gesprächen teilzunehmen oder wenigsten Empfehlungen abzugeben immer mit dem Argument zurückgewiesen: „Ihr habt nicht die nötigen Fähigkeiten und Kenntnisse dafür.“ Die brauchen wir, das ist richtig. Es ist jedoch genauso wichtig, dass die, die in Genf verhandeln, den Frauen zuhören. Die georgische Seite tut das bereits. Vor oder nach den jeweiligen Gesprächen in Genf treffen sich Mitglieder der georgischen Verhandlungsdelegation mit Vertreter_innen der Zivilgesellschaft, informieren sie über die Gespräche und holen ihre Meinungen ein. Es wäre sehr gut, wenn andere Konfliktparteien ebenso vorgehen würden.
Vor 2008 weckten die Pläne des deutschen Außenministeriums Hoffnungen in Georgien. Leider konnten diese Pläne jedoch aufgrund des Kriegs im August 2008 nicht umgesetzt werden. Nun liegt es erneut an Deutschland, einen neuen Frieden zu erwirken und zu bewahren – nicht nur in Georgien, sondern im gesamten Kaukasus. Dazu sehe ich den Nationalen Aktionsplan für die Umsetzung von Resolution 1325 als wichtiges Werkzeug an, und zwar sowohl bei ad hoc-Friedensverhandlungen als auch im Rahmen der Genfer Gespräche. Es ist überaus wichtig, Frauennetzwerke, die sich für Frieden einsetzen, zu unterstützen ebenso wie die Organisation der Lobbyarbeit von Frauen auf regionaler Ebene, um Einfluss auf Politiker auszuüben und langfristige Erfolge zu erzielen. Als Mitglied der OSZE Troika hat Deutschland eine besondere Verantwortung, die regionale Politik im Kaukasus zu beeinflussen.
Die verschiedenen Konflikte, die im Südkaukasus ausgetragen werden, werden leider oft als träge angesehen. Auch der Krieg über Nagorno Karabakh im April 2016 hat dies nicht geändert. Der Südkaukasus muss daher wieder in den Fokus Deutschlands sowie der OSZE rücken, damit der Frieden durch die Unterstützung bestehender und entstehender Friedensinitiativen, einschließlich der von Frauen, eine Chance erhält.
Wir hoffen, dass unter dem OSZE-Vorsitz Deutschlands ein neuer Friedensplan entsteht, nicht nur für Georgien, sondern für den gesamten Südkaukasus. Für mich wäre ein regionaler Aktionsplan oder eine Strategie zum Thema Frauen, Frieden, Sicherheit ein Beitrag, um Rechte und Sicherheiten für die Zivilbevölkerung zu gewährleisten. Dabei ist es besonders wichtig, Frauen eine Stimme zu geben. Dies kann im Rahmen von Lobbyarbeit geschehen, aber auch durch Politikerinnen, die mit dem Bereich Konflikt und Frauenrechte vertraut sind. Es sind solche Frauen, die wir fördern und ausbilden möchten.