Es waren ungefähr 5000 Teilnehmer, die am heutigen Montag gemeinsam in den Humanitären Weltgipfel in Istanbul gestartet sind. Gibt es schon greifbare Ergebnisse?
Ja und Nein. Was es nicht gibt, sind die üblichen Resultate in Gestalt einer offiziellen Erklärung, über deren Wortwahl sich Regierungen erst tagelang streiten, dann einigen – und dann womöglich doch nichts davon umsetzen. Denn der Prozess vor dem Gipfel, aber auch während des Treffens und danach ist nicht leicht nachvollziehbar.
Der nötige Schwung für Veränderungen?
Immerhin: UN-Generalsekretär Ban Ki-moon hat - wie schon in Paris beim Klimagipfel - Akteure, die wie er den dringenden Bedarf für Änderungen sehen und die bereit sind, diese Änderungen auch umzusetzen, zusammengebracht oder zumindest ermutigt, mit Textentwürfen, Initiativen und Selbstverpflichtungen nach Istanbul zu kommen. Dadurch gibt er die Richtung vor und will Dynamik erzeugen. In jeder Veranstaltung des Gipfels haben Akteure aus Zivilgesellschaft, Privatwirtschaft, Regierungen und Vereinten Nationen neue Kooperationen, Initiativen und Werkzeuge vorgestellt.
Konzepte auf dem Prüfstand
Anscheinend ging die Strategie des Generalsekretärs auf – in dem Sinn, dass die regionalen Vorab-Konsultationen und seine darauf basierende Veröffentlichung seiner Agenda für Menschlichkeit als Bezugspunkt für die Diskussion jene notwendige Dynamik erzeugen konnte, um bisherige Konzepte, Praktiken und Strukturen der Humanitären Hilfe infrage zu stellen. Ob das auch reicht, Neues in die Tat umzusetzen, muss sich erst noch zeigen. Teilweise wird das sicher gelingen. Aber die Akteure, die mit ihren politischen Interessen und Machtkämpfen beispielsweise bisher eine effektive Hilfe für unterschiedslos alle Hilfsbedürftigen in Syrien verhindert haben, dürfte das wenig kümmern.
Völkergemeinschaft handelt - manchmal nicht
Humanitäre Hilfe kann nun mal und darf kein Ersatz sein für politische Lösungen. Und das ist das größte Problem der Konferenz in Istanbul: die gegenwärtige politische Handlungsschwäche der Völkergemeinschaft, die dramatischen Verstöße gegen das Humanitäre Völkerrecht und die humanitären Prinzipien und die Gewaltexzesse gegen die Zivilbevölkerung zu beenden. Diese dringend notwendige Arbeit an den Ursachen der menschengemachten Katastrophen kommt zu wenig in den Zielen vor. Da hilft auch nicht eine bessere Verzahnung von Humanitärer Hilfe mit Entwicklungshilfe – auch wenn das ein wichtiges Thema ist.
Bewegung bei Fragen der Finanzierung
Ein gutes Beispiel für neue Initiativen und Ansätze war der heutige Runde Tisch zur Finanzierung Humanitärer Hilfe. Die Beiträge bestätigten uns in unseren Positionen, Cash Transfer-Programme auszubauen, den Zugang zu Finanzmitteln für lokale Akteure zu vereinfachen, nicht-zweckgebundene Mittel und Töpfe mit flexibel einsetzbaren Mitteln zu erhöhen und gerade Organisationen am Ort zu unterstützen, ihr Wissen und Können zu erweitern.
Geldgeber vom Golf
Sehr deutlich traten dabei die „Emerging Donors“ auf - etwa aus den Golfstaaten. Sie beteiligen sich seit einiger Zeit zunehmend an der Finanzierung Humanitärer Hilfe. In der deutschen Diskussion war das immer wieder gefordert worden. Vertreter der Golfstaaten kündigten an, angesichts einer „Überforderung der westlichen Geber“ dank der Unterstützung muslimischer Gläubiger ihren Beitrag zur Humanitären Hilfe künftig noch stärker leisten zu wollen. Das ist zunächst einmal zu begrüßen, denn es erhöht das verfügbare Finanzvolumen für die Katastrophenhilfe. Welche Folgen das für die Diskussion über humanitäre Prinzipien und Standards hat, bleibt abzuwarten, klar ist derzeit nur: Die „Emerging Donors“ wollen mitreden und in das internationale Humanitäre System einbezogen werden.
Lokale Hilfsorganisationen im Blick?
Dabei sein wollen auch andere, nämlich lokale Hilfsorganisationen. Sie sind diejenigen, die im Krisen- und Katastrophenfall als Erste Hilfe leisten – die auf der anderen Seite marginalisiert werden. Sie haben Potential, aber das wird nicht systematisch einbezogen.
Ob diese Organisationen tatsächlich zu Partnern „auf Augenhöhe“ werden, wie immer wieder betont wurde, oder ob sie doch nur instrumentalisiert werden für die Umsetzung internationaler Pläne und Maßnahmen, wird sich in Zukunft zeigen. Zumindest bei den Vorab-Konsultationen gab es entsprechende Forderungen: mehr Zugang zu Ressourcen, Informationen und Koordinierungsrunden sowie Mitwirkung an Eckpfeilern der Hilfsprojekte.
#ShareHumanity@diakoniekh und @Support2Life gemeinsam beim @WHSummit Lokale Partner stärken pic.twitter.com/CUcfhexJMg
— Anne Dreyer (@annemdreyer) 23. Mai 2016
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Dramatischem Appell fehlten Zuhörer
Kein gutes Zeichen ist, dass sehr wenig lokale Hilfsorganisationen aus den südlichen und östlichen Ländern an den Verhandlungstischen saßen. Ebenso waren wenige Regierungen des Südens vertreten. Die Tatsache, dass zum Side Event des somalischen Präsidenten nur wenige kamen, sprach Bände: Als der Präsident des afrikanischen Landes dazu aufrief, Somalia, dessen Bevölkerung noch immer in großen Teilen humanitäre Hilfe braucht, jetzt nach Ende der schlimmsten Gewalt nicht im Stich zu lassen, war der Saal höchstens zur Hälfte besetzt...
Guter Start von #ShareHumanity? #Somalia-s Präsident ruft auf zu mehr #Solidarität - in einem halbleeren Raum... pic.twitter.com/mDhQjfpL60
— Diakonie Kat.-hilfe (@diakoniekh) 23. Mai 2016
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Auch Kritik an neuen Akteuren
Neue Akteure aus Entwicklungspolitik (wie die Weltbank) und aus Wirtschaft (etwa Master-Card) werden zunehmend als Geldgeber und Programmverantwortliche der Humanitären Hilfe umworben. Der irische Präsident konnte sich den Hinweis nicht verkneifen, dass diese neuen Akteure konsequent daran erinnert werden sollten, ihre hauptsächlichen Entwicklungs- und Geschäftsmodelle ehrlich auf deren Einfluss auf die Situation der Menschen zu überprüfen – statt sich mit Geld für Humanitäre Hilfe „reinzuwaschen“. Denn Humanitäre Hilfe, wie der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier in seinem Beitrag unterstrich, braucht nicht nur eine angemessene Finanzierung, sondern auch Humanitäre Prinzipien.
Wie wahr: @md_higgins kritisiert @WorldBank + #IMF :Afrikanische Länder mussten Zinsen zahlen --> kaum Geld für Gesundheitssystem --> #Ebola
— Diakonie Kat.-hilfe (@diakoniekh) 23. Mai 2016
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Lob für Religionsgemeinschaften
Erfreulich ist für mich auch die starke Beachtung der Themen Religion und Humanitäre Hilfe. Auch das hatte Ban Ki-moon per Vernetzung verschiedener Akteure vorbereitet. Erstmals in der Geschichte der UN-Gipfel wird Religionsgemeinschaften eine speziell hilfreiche, besondere eigene Rolle als humanitäre Akteure zugestanden. Sie genießen oft - im Unterschied zu internationalen Organisationen - großes Vertrauen der Betroffenen und anderer Akteure am Ort und bleiben den Menschen in den Dörfern und Regionen immer verbunden, indem sie beispielsweise den Weg bis zur Rehabilitation mit ihnen gehen. Der Generalsekretär der ACT Alliance, John Nduna, stellte im Namen aller Mitglieder des weltweiten Netzwerks kirchlicher Hilfsorganisationen - zu dem auch die Diakonie Katastrophenhilfe und Brot für die Welt gehören - in einer Special Session nochmals dar, welche besonderen Chancen religiöse humanitäre Helfer haben. Außerhalb dieser Special Session zum Thema wurde die besondere Rolle von Religionen aber in keinem Zusammenhang mehr erwähnt - auch nicht, wo es nahe gelegen hätte, etwa in der Diskussion um Freiwillige.
Premiere: @WHSummit sieht Religionsgemeinschaften als hilfreiche humanitäre Akteure, nah am Menschen! #ShareHumanitypic.twitter.com/LCQbPvBxB3
— Diakonie Kat.-hilfe (@diakoniekh) 23. Mai 2016
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...und @WHSummit Special Session lobt "unsere" @ACTAlliance: Sie ist eines der bedeutendsten Netzwerke in der humanitären Hilfe. Danke! :-)
— Diakonie Kat.-hilfe (@diakoniekh) 23. Mai 2016
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Kaum staatspolitisches Gewicht bei zentralen Themen
Nicht alle Länder hatten hochrangige Regierungsvertreter entsandt. Mit der Teilnahme von Bundeskanzlern Angela Merkel, Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Entwicklungsminister Gerd Müller zeigte Deutschland so massiv Präsenz gezeigt wie kaum ein anderes Land – vom Gastgeberland Türkei einmal abgesehen. Weder die USA, China, Russland, Frankreich noch Großbritannien schickten ranghohe Vertreter. Aus diesem Grund blieb leider auch der eigentlich sehr wichtige Runde Tische zu „Politischer Führung für die Verhinderung und Beendigung von Konflikten“ deutlich hinter seinem Anspruch zurück, konkrete Verpflichtungen vorzustellen.
Viele Sprecher äußerten den Wunsch, dass das internationale politische System schon zu Beginn politischer Krisen schneller und flexibler eingreifen möge und es dazu seine Fähigkeiten zur Mediation ausbauen müsse. Viele dieser Beiträge spiegelten allerdings die offensichtliche Unfähigkeit vieler Staaten wider, die Ebene der gegenseitigen Anschuldigungen zu verlassen und einen konstruktiven Dialog führen zu wollen.